Schwarze Wolke: Geldentwertung in der Zeit der Weimarer Republik
Arbeitslosigkeit, Massenelend und Geldwertverfall schlugen nach Ende des Ersten Weltkrieges keineswegs unerwartet ein. Die Künstlerin Käthe Kollwitz schrieb 1920: „Mit etwas dumpfem Druckgefühl geh ich dem Jahr entgegen. Hoffnungen hat man nicht viele. Illusionen auch nicht. Geht die Verelendung so weiter vor sich, rutschen wir allmählich alle ins Proletariat.“ Zwei Jahre später notierte sie: „Wirtschaftlich die schwarze Wolke.“ Inflation war keine abstrakte Angelegenheit. Die schiere Not kam geradewegs im Alltag der Menschen an. „Kann ich mir morgen noch Brot und Milch leisten?“ So lautete die bange Frage.
Fotografisch bildeten sich schnell zwei Richtungen aus, um das Thema zu illustrieren. Einerseits der bürgerliche Blick, der mit großen Augen auf die Geschehnisse schaute: In der „Berliner Illustrirten Zeitung“ erschienen Reportagen, in denen Armut als nachgerade exotisch-ethnografische Naturerscheinung dargestellt wurde: Wie leben denn die Menschen überm Fluss?
Andererseits entstand die sozialdokumentarische Fotografie, die aus dem Inneren des Elends berichtete. Die Arbeiterfotografie veranschaulichte, wie morsch Staat und System in ihren Grundzügen geworden waren. Die erste heiße Phase der Inflation in den 1920er-Jahren ging einher mit dem Aufstieg des Fotojournalismus, der viele Phänomene der Epoche in Bilder kleidete. Zugleich bildete sich das Berufsethos des „rasenden Fotoreporters“ – vergessen waren die Atelierlichtbildner mit ihren statischen Modellen und Motiven. Die Fotografie in den Zwanzigern begann, die Geschehnisse in Geschichten zu verpacken.
Siehe jene Fotos, auf denen Kinder mit Bergen wertloser Geldbündel spielen. Auf den ersten Blick eine anekdotische Angelegenheit. Beim näheren Hinsehen handelt es sich allerdings um den manipulativen Versuch, Komplexes auf schlichte Weise zu visualisieren: das Pendant der Stockfotografie unserer Tage, die Bilder auf Vorrat produziert, damals wie heute vertrieben und verkauft von großen Agenturen.
In den allermeisten Fällen wurden diese Szenen von Fotografen inszeniert, deren Namen wir heute nicht mehr kennen, die Zuarbeiter einer sich rasant etablierenden Medienindustrie waren. Die großen Zeitungsverlage eiferten nach eindrücklichen Bildern – wie jenem vom Berliner Bankmitarbeiter vor einer mannshohen Wand aus Geld. Das Thema Inflation musste fotografisch so dargestellt werden, dass es für die Zeitgenossen auf den ersten Blick fassbar war: der Alltag, in Sensationen übersetzt. Dabei ging es nie um die bloße Kopie der Wirklichkeit. Selbst die sozialdokumentarische Fotografie nahm sich gewisse Freiheiten: Jedes Foto, das am Ende in den Zeitungen zu sehen war, durchlief Inszenierungsschritte – von den eigentlichen Aufnahmen über die Platzierung im Blatt bis zu den beigestellten Überschriften und Bildtexten.
Die Welt so zu zeigen, wie sie wirklich ist? Das war damals bereits unmöglich. Von Beginn an wurde der Fotografie das Surplus zugeschrieben, „Wahrheit“ abzubilden. Diese dokumentarische Aura gehört gegen den Strich gebürstet – auch wenn der Kern des Authentischen auf vielen Fotos aus der Inflationszeit unübersehbar bleibt.
Wie auf dem Bild der verarmten Berliner Familie: neun Personen in einem winzigen Zimmer. Wie lässt sich Elend zeigen? Indem man die Lebensverhältnisse von Menschen dokumentiert. Die Bilder, welche die unmittelbaren Auswirkungen der Inflation zeigen, verschwinden nach der Währungsreform 1924 genauso schnell, wie sie gekommen waren. Die Bilddokumente der Armut bleiben als Mahnmal und Anklage bis in die frühen 1930er-Jahre – bis diese Form der Fotografie unter den Nationalsozialisten verschwinden musste. Bis dahin hatten Medien wie die „Arbeiter-Illustrierte-Zeitung“ das Genre der Fotoreportage durchaus als „Waffe“ betrachtet, die Gesellschaft zu verbessern.
Auf vielen historischen Fotos sind Menschenmassen zu sehen. Es ist nicht sofort zu erkennen, ob es sich um das Zusammenströmen vor einer Bank oder um ein Sport-Event handelt. Die damaligen Betrachter dieser Bilder mussten ein psychologisches Gerüst an Vorstellungen mitbringen, um diese Fotos lesen zu können. Die Bilder erzählen davon, dass sich keine Besserung abzeichnen will: Jeder neue Tag verläuft schlechter als der vorangegangene.
Mittels Montage wurden schließlich abstrakte Zahlen in drastische Bilder transferiert: das Luxusauto, dessen Gegenwert inflationsbedingt nur mehr einen Brotlaib beträgt. Ein an Absurdität unüberbietbares Dokument, das zwei Bildebenen verschränkt, die in Wirklichkeit nichts miteinander zu tun haben. Der Mensch braucht Brot, um zu leben. Heute wie morgen. Ein Tag, ein Auto. Drei Tage, drei Autos. Die Visualisierung einer enormen Wertvernichtung.
Die meisten Pressebildarchive wurden durch Krieg und mangelnde Archivierung vernichtet. Wir haben es hier mit Relikten zu tun, Fragmenten einer untergegangenen Epoche. Bis heute übersetzen diese Fotos jedoch das Drama, an dem die Zeitgenossen Tag für Tag verzweifelten, ins Anschauliche.
Für die Zeitreise in die ferne fotografische Vergangenheit gibt es wohl keinen besseren Wegbegleiter als den 1964 in Südtirol geborenen Publizisten, Ausstellungsmacher und Fotohistoriker Anton Holzer. Die 1981 vom Wiener Kulturwissenschafter Timm Starl in Frankfurt am Main gegründete und seit mehr als 20 Jahren von Holzer herausgegebene Zeitschrift „Fotogeschichte“ (anton-holzer.at) widmet sich vierteljährlich in ausgesuchten Beiträgen bekannter Autorinnen und Autoren dem Status quo der Fotogeschichtsforschung. Zuletzt veröffentlichte Holzer im Darmstädter Theiss Verlag die Bild- und Textsammlung „Krieg nach dem Krieg“ (2017) und kuratierte gemeinsam mit Frauke Kreutler die noch bis Ende Oktober laufende Ausstellung des Wien Museums: „Augenblick! Straßenfotografie in Wien“. Aus dem Österreich der 1920er-Jahre sind Holzer so gut wie keine Fotos zur Inflation bekannt; die Hyperinflation im Deutschland zwischen den Weltkriegen ist mit Abstand besser dokumentiert.