Kultur im Ausnahmezustand

Schweiß, Speichel und Hitze: Schauspielerin Grischka Voss über den Corona-Lockdown

Kunstschaffende berichten von ihren Lockdown-Erfahrungen. Teil acht: Grischka Voss, Schauspielerin und Autorin.

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Protokoll: Stefan Grissemann

Anfangs fühlte ich mich komplett ohnmächtig. Die Information, dass ich jemand war, der beruflich nur Tätigkeiten ausführt, die nicht systemrelevant sein sollten, hat mich sehr beschäftigt und wütend gemacht, weil ich vor allem das Theater als ein Grundbedürfnis des Menschen, als psychohygienische Maßnahme betrachte. Und während des ersten Lockdowns hab ich mich lange nicht getraut, um Finanzhilfen anzusuchen, weil ich fand, das stehe mir nicht zu; ich hatte ja nichts gearbeitet, wieso sollte mich jemand bezahlen?

Ich musste alles absagen, womit ich als freie Künstlerin meinen Lebensunterhalt bestreite: meine Vorstellungen und Lesungen und auch die Kindertheater-Workshops, die ich gab. So beschloss ich, einen Roman zu schreiben, die Fortsetzung eines Stücks von mir, das ich Anfang 2020 in der Drachengasse uraufgeführt habe: "Bulletproof" ist ein Ein-Frau-Monolog mit Songs und performativen Elementen, eine selbstironisch-offensive Studie der immer noch tabuisierten weiblichen Lust. Schon in den "Bravo"-Heften, mit denen ich aufgewachsen bin, gab es nur Sextipps, die darauf abzielten, wie man Männer besonders gut befriedigte, es gab da nie Ratschläge, wie ich selbst es mir schön machen konnte.

In dem Roman, der gerade entsteht, experimentiere ich mit pornografischer Sprache, entwerfe Bilder und Szenen, die ich selbst aufregend finde. Das Buch soll, wie das Stück, Frauen dazu ermutigen, zu ihrer Lust, auch zur Selbstbefriedigung zu stehen. Das Schreiben stockt bisweilen: Mein Wille zur Arbeitsdisziplin ist theoretisch da, aber als Alleinerzieherin eines Teenagers habe ich auch Homeschooling-Pflichten, finde mich in der Situation einer Lehrerin wieder.

Meine Arbeit war stets ganz extrem auf hautnahen Kontakt ausgerichtet: ein Spiel von Schweiß, Speichel und Hitze. Derzeit bin ich dazu gezwungen, all das vorübergehend in meiner Fantasie auszuleben. 2020 sah ich noch als Herausforderung, flexibel zu bleiben. Seit 2021 mehren sich aber kleine depressive Schübe. Wie soll das weitergehen? Man ist finanziell am Ende, ich kann oft nicht mehr. Ich habe de facto ja keine Perspektive. Manchmal überlege ich, was ich handwerklich noch lernen könnte, um Geld zu verdienen. Denn alles, was ich kann, darf ich derzeit nicht. Wer weiß, wie lange noch. Das setzt mir schon zu.

Grischka Voss, 51, ist Theaterdarstellerin, Performerin und Buchautorin. Seit 2017 ist sie nicht mehr Teil des von ihr 1997 gegründeten Bernhard Ensembles. Seither definiert sie sich als Solistin und autobiografische Schriftstellerin ("Wer nicht kämpft, hat schon verloren") neu. Ihr jüngstes, bewusst offenherzig gestaltetes Sexualitäts- und Frauen-Empowerment-Solo "Bulletproof" soll im kommenden Oktober in der Wiener Drachengasse wiederaufgenommen werden. Sie lebt und arbeitet in Wien.