Musik

Schwermutproben: Neues von der britischen Band The Cure

Mr. Smith lädt wieder zur Jammertalfahrt: Die sublime Trauerarbeit des 14. The Cure-Albums „Songs of a Lost World“.

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Die Stimme hat gehalten. Und das war so wenig selbstverständlich wie die Tatsache, dass das ewig angekündigte und längst live getestete 14. Album von The Cure jemals erscheinen würde. Doch punktgenau zu Allerheiligen ist „Songs of a Lost World“ mit eh nur 16 Wintern Anlauf jetzt tatsächlich da – und Robert Smith, der nunmehr 65-jährige struwwelpetrige Säulenheilige dreier Goth-Generationen, lamentiert darauf in alter Friedhofsfrische nicht nur bewährt bittersüß, sondern eben immer noch rechtschaffen kraftvoll. Gerade so, als hätten wir immer noch 1982 und er und die Seinen gerade mit „Pornography“ den ersten Meilenstein ihrer beispiellosen Laufbahn gesetzt. Neben ebendiesen platziert sich dieser jüngste mel- oder besser: mollancholische Monolith der Band ebenso unverkennbar wie neben das sieben Jahre später erschienene Opus magnum der Briten, „Disintegration“.

Ja, Mr. Smith mag auch sein Geschick für unwiderstehlichen Pop in zahllosen klassischen Radio-Hits von „Boys Don’t Cry“ bis „Friday I‘m in Love“ eindrücklich nachgewiesen haben, auf „Songs of a Lost World“ baut er jedoch wieder auf jene unnachahmlich elegischen, eisig schönen Klangklagemauern, die letztlich das musikhistorische Vermächtnis von The Cure ausmachen. Wo diese sich einst auf eine jugendlich romantisierte Faszination für das Vergängliche stützten, sah sich die größte Trauerweide der Musiklandschaft diesmal jedoch mit sehr realen Verlusterfahrungen konfrontiert: Seit dem letzten Cure-Album hat Smith sowohl seine Eltern als auch seinen älteren Bruder verloren. Letzterem, dem zentralen Taktgeber seiner musikalischen Sozialisation, schickt er hier mit „I Can Never Say Goodbye“ den vermutlich direktesten und persönlichsten Song seines Katalogs hinterher, channelt mit vom Tränenfluss verschmiertem Kajal dabei sogar seinen inneren Shakespeare: „Something wicked this way comes, to steal away my brother's life“. Pump up the Jammer.

Das Soundgerüst des Albums korrespondiert mit der herzzerreißenden Direktheit der Texte: Konkreter, auch körperlicher als gewohnt entfalten sich diese Hall-Hochämter. Gern darf das Schlagwerk nun auch mächtig poltern, der Bass das Geschehen herzhaft vorantreiben und Neuzugang Reeves Gabrels, einstiger Bowie-Sidekick, sich mit griffiger Gitarrenarbeit in die Schwermutproben des Fürsten der Finsternis graben, der halt einfach nicht und nicht aufhören kann oder will, gegen die ihn umschließende Dunkelheit anzusingen. 

Im monumentalen Schlusskapitel, in „Endsong“, geht es elfeinhalb Minuten einnehmend zur Sache, bis im Finale nur noch „nothing“ übrig bleibt. Die Angst vorm großen Nichts haben uns The Cure freilich schon davor genommen – mit dem wehrhaften Leuchten dieses so erhabenen wie erhebenden Spätwerks.