Trauma-Studie: "The Underground Railroad"
Das Wagnis, aus Colson Whiteheads geradezu furchterregend mitreißendem Roman "The Underground Railroad" eine Serie zu machen, erschien groß. Ein historisch opulentes Rassismus- und Sklaverei-Drama als jüngstes Gewaltspektakel für die stets zerstreuungshungrige Streaming-Welt? Das ließ nichts allzu Gutes erwarten. Aber Amazon verpflichtete für dieses Unterfangen dann doch den richtigen Mann, einen der großen afroamerikanischen Kino-Stilisten: Barry Jenkins. Seit dem Welterfolg, den er mit seinem Film "Moonlight" landen konnte (und mit "Beale Street" künstlerisch bestätigte), weiß man, dass Jenkins die nötigen Mischverhältnisse zwischen Realismus und Stilisierung, zwischen Poesie und Politik herzustellen versteht.
Mit desorientierenden Bildern, mit Zeitlupen und rückwärtslaufenden Bewegungen, startet die Serie gewissermaßen programmatisch. "The Underground Railroad", zu sehen seit wenigen Tagen auf Amazon Prime Video, übersetzt Whiteheads gewaltige Fantasie von der unterirdischen Eisenbahnlinie, die all die vor dem Zugriff der weißen Sklaventreiber und Mörder Geflüchteten Richtung Norden, in die Freiheit bringen sollte, in stimmige Bilder. Denn eine Zugverbindung dieser Art gab es im 19. Jahrhundert natürlich nicht; mit "Underground Railroad" bezeichnete man allerdings kolloquial das real existierende, strategisch klug operierende Netzwerk an FluchthelferInnen.
Jenkins rückt nicht die - unausweichlich darzustellende - Gewalt dieser epischen Erzählung ins Zentrum, sondern die sozialen und psychischen Verhältnisse von Tätern und Opfern. Er baut, in markantem Gegensatz zu jener anderen aktuellen Serie, die schwarze Traumata zum radikalen Schocker umformt ("Them"), auf Zurückhaltung, Genauigkeit und Analyse, ohne dabei den Schmerz über das Gezeigte zu unterspielen. Die zehn Episoden, aus denen "The Underground Railroad" gebaut ist, sind nicht bloß hervorragend inszeniert und von großer Intensität; sie sind antirassistisches Bildungsmaterial: eine Serie zur Zeit.