"Shoplifters": Cannes-Siegerfilm im Kino

„Shoplifters“: Cannes-Siegerfilm im Kino

Der japanische Regisseur Kore-eda inszeniert sozial hellwache Bestandsaufnahmen mit liebevollem Blick für scheinbar Nebensächliches.

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Das Ende der traditionellen Familie ist das Basisthema seiner Filme: Der aus Tokio stammende Regisseur Hirokazu Kore-eda zeigt in seinem jüngsten Film, der den internationalen Titel „Shoplifters“ trägt (Kinostart in Österreich: 28.12.), dass Familien nicht nur durch Fleisch und Blut verbunden sein können, sondern auch durch Verbrechen und Solidarität; ein Mann und eine Frau, die mit einem Buben, einem erwachsenen Mädchen und einer betagten Dame in familiärer Wohngemeinschaft, aber durchaus prekär in einem Tokioter Vorort leben, beschließen, ein kleines Mädchen, das sie für verlassen halten, bei sich aufzunehmen. Ihre gemeinsame Existenz, die sie mit Ladendiebstählen aufrechterhalten, wird durch den Kidnapping-Fall, in den sich die Causa unversehens verwandelt, kompliziert.

Die Goldene Palme der 71. Filmfestspiele in Cannes ging im Mai dieses Jahres sehr verdient an „Shoplifters“; Kore-eda, 56, der mit seinen feinfühligen, aus dem Leben gegriffenen Familienstudien auch als Nachlassverwalter seines großen Landsmanns Yasujiro Ozu gilt, war in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre mit existenzialistischen Filmstudien wie „Maborosi“ und „After Life“ zu einer fixen Größe im globalen Autorenfilm aufgestiegen. Aber erst mit Arbeiten wie „Nobody Knows“ (2004) und „Wie der Vater, so der Sohn“ (2013) fand Kore-eda tatsächlich zu seinem ureigenen Stil, zu subtilen Filmerzählungen, die Komisches und Tragisches zart abgemischt kombinierten.

Neuer Film "Die Wahrheit"

Kore-eda, der seine Karriere vor fast drei Jahrzehnten mit dokumentarischen Filmen begonnen hatte, meidet simplen Moralismus, inszeniert sozial hellwache Bestandsaufnahmen mit liebevollem Blick für scheinbar Nebensächliches. So ist auch „Shoplifters“ als eine in sanften Realismus gebettete Kritik an japanischem Hierarchie- und Erfolgsdenken zu verstehen.

Derzeit stellt Kore-eda übrigens seinen ersten in Frankreich gedrehten, mit Catherine Deneuve und Juliette Binoche besetzten Film fertig: Er trägt einen Arbeitstitel, der das hohe Ziel dieses Künstlers nennt: „Die Wahrheit“.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.