Sibylle Berg: Alles prima

Wehmut, Wortwitz und Widersinn: Ein Dokumentarfilm ergründet das Phänomen Sibylle Berg.

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Angst? Wieso denn Angst? Die Autorin, um die es hier geht, erscheint jedem, der ihr begegnet, sanft, freundlich und humorbegabt. So klingt die Frage, die der Titel eines neuen Filmporträts stellt, das ihr gilt, durchaus rhetorisch: "Wer hat Angst vor Sibylle Berg?" Gut, eine gewisse Angriffslust kann sie mitunter nicht verhehlen, und ihre Freude an unzweideutigen Formulierungen mag manch prüden Zeitgenossen ein wenig verstören. Die grundlegende Ironie, mit der Sibylle Berg, 53, die Welt in ihren Texten und Auftritten konfrontiert, hat offenbar eine Schärfe, die Sympathie und Feindseligkeit zugleich hervorruft.

Es ist dennoch nicht leicht zu erklären, warum diese Schriftstellerin ihren inzwischen stark erweiterten Bekanntenkreis derart polarisiert. Eine Theorie, warum so viele Menschen sich von ihr irritiert fühlen, hat sie nicht, wie sie im profil-Gespräch erklärt. "Ich habe, ohne Scheiß, tatsächlich keine Idee. Ich finde mich reizend." Sich von Kunst provoziert zu fühlen, sei ihr "wesensfremd". Aufregen könne man sich doch "nur über rechtskonservative Machtgeile und menschenverachtende Volltrottel". Nachsatz: "Hoppla, war das jetzt provokativ?"

Sibylle Berg ist, ihrer andeutungsweise schüchternen Präsenz zum Trotz, eine äußerst öffentliche Frau. Auf Twitter versorgt sie ihre Klientel alle paar Stunden mit politischen Einwürfen von links ("Hat Österreich einen neuen Führer?"), frechen Wünschen zur Nacht ("Schlaft gut, ihr kleinen Analfrettchen") oder Entgegnungen auf die Zumutung, von Fremden per Tweet mit Charlotte Roche in einem Atemzug genannt zu werden ("Du bist des Teufels. Mit Elfriede Jelinek. Ich bin Hochkultur, Alter").

Jetzt weiß ich um meine Mittel und Möglichkeiten, die Angst vor dem Versagen ist viel schwächer geworden

Untätig ist Sibylle Berg auch sonst nicht: Neben ihrer Online-Präsenz schreibt sie Romane, Theaterstücke, Essays, Erzählungen, Kolumnen und Hörspiele. Die "Rauschzustände", die sie beim Schreiben früher erlebt habe, tauchten allerdings immer weniger auf, sagt sie. Zu Beginn ihres Schaffens habe sie "sehr viel weniger gearbeitet, viel mehr gedacht und gezweifelt". Sie sei daher langsamer gewesen, das Arbeiten selbst aber rauschhafter. "Jetzt weiß ich um meine Mittel und Möglichkeiten, die Angst vor dem Versagen ist viel schwächer geworden, weil das auch im Angesicht der Tatsache, dass ich höchstens noch 50 Jahre lebe, unwichtiger wird." Sie arbeite einfach "sehr gerne -auch weil ich nicht weiß, was ich sonst mit mir machen soll. Von daher: Alles gut."

Leider scheitert der Dokumentarfilm, der Ende dieser Woche auch Österreichs Kinos erreicht, an seiner Protagonistin - was auch daran liegen mag, dass sie als Phänomen nicht leicht greifbar, eben widersprüchlich ist. Intelligent geordnet mag man den Film nicht nennen: "Wer hat Angst vor Sibylle Berg?" findet von Anfang an keinen Zugang und keine Haltung zur Autorin, die zwar in praktisch jedem Bild dieses Films steht, sitzt oder liegt, dabei aber seltsam ungezeichnet bleibt. Schon der Prolog ist eine Themenverfehlung: In Los Angeles startet die Erzählung, mit einer sieben Minuten währenden, kaum aussagekräftigen Führung durch das Designer-Haus des Milliardärs James Goldstein. Berg bewundert in heiter gebrochenem Englisch Architektur und Ausblick, später sieht man ihr beim frenetischen Tippen und Büchersignieren zu, spaziert mit ihr und den Komplizinnen Helene Hegemann und Katja Riemann durch irgendeinen Park, erlebt sie mit ihren Studentinnen in der Straßenbahn und bei Theaterproben. Die Dreharbeiten scheinen zwanglos gewesen zu sein: Die Regisseurinnen - Wiltrud Baier und Sigrun Köhler - werden von der Autorin in einer Szene leutselig als "Doku-Schlampen" vorgestellt.

Immerhin dringen Baier und Köhler auch zu heikleren Punkten vor, berühren Dinge, über die Sibylle Berg ungern spricht. An die dunklen Aspekte ihrer Biografie (die Jugend im "kalten, grauen Drecksland" der DDR, ihren schweren Autounfall 1992, den Selbstmord der alkoholkranken Mutter) will sie nicht erinnert werden. Sogar Bergs Karrierestart vor 20 Jahren war deprimierend, es hagelte Absagen auf ihre ersten Manuskripte; wenn sie mit 40 vom Schreiben immer noch nicht leben könnte, so hatte sie sich damals geschworen, würde sie den Freitod wählen.

Mit anderer Literatur habe ich es nicht so

Als eine Mischung aus Traurigkeit und Albernheit beschreibt sie sich im Film gut gelaunt: Die grotesken Puppenskulpturen des kanadischen Künstlers Jonathan Pylypchuk erinnern Sibylle Berg frappant an sich selbst. Zur gedankenschweren Kultur -Autorin stilisiert sie sich aber keineswegs. Understatement hat sie da schon lieber: "Ich mach Randgruppenscheiße", murmelt sie im Film vor sich hin, mit dem Reichtum werde das daher "nix mehr".

Mitunter scheint der Wortwitz, den sie in Endlosschleife offenbart, nur eine Maske zu sein, ein Schutz vor der eigentlich gebotenen Tristesse und der allgemeinen Zudringlichkeit der Welt. Im Umgang mit Journalisten habe sie gelernt, "zu faken und Lügen zu erzählen". Aber dann gewinnt man den Eindruck, dass sie stets sehr offen, ganz bei sich ist - als wäre der eigentliche Fake vielmehr jener, sich ständig als unecht darzustellen. Dem Filmteam begegnet sie friedlich, aber skeptisch: Erstens rechne sie nicht mit nennenswerten Fragen, außerdem lüge sie dann eh nur.

Mit fünf, erzählt sie, habe sie schon Edgar Allan Poe gelesen, die großen deutschsprachigen Autoren dagegen stets abgelehnt: Max Frisch hasse sie und Thomas Mann findet sie "so was von blöd". Die Mode ist ihr da näher, den Designer Rick Owens nennt sie "Gott". Mode interessiere sie "wie fast alles, was mich umgibt. Architektur, Kunst, Theater, Serien, Informatik, Naturwissenschaft, Robotik, Medizin, alles beeinflusst meine Arbeit. Nur mit anderer Literatur habe ich es nicht so."

Sie wird schon prima sein, die Literaturszene. Sie ist aber auch ein bisschen unwichtig

Ausgerechnet die gemächliche Schweiz hat sich Sibylle Berg als Exil ausgesucht, weil dies ihr "Traumland" schon war, "als ich noch gar nicht wusste, wie es eigentlich aussieht". Sie lebt nun seit über 20 Jahren in der Schweiz, "und ich sehne mich nach keinem anderen Ort. Das Land passt zu meinem Tempo und meiner Zurückhaltung. Es ist das Land, in dem ich die Todesanzeigen lese und über dessen Politik ich mich aufrege. Es ist übersichtlich und neigt zu Zwängen. Das kenne ich. Wenn ich mir am Tag zum zehnten Mal die Zähne putze, fühle ich mich hier sehr aufgehoben."

Vor fast 20 Jahren erschien ihr Romandebüt, "Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot". Seither sind ein Dutzend Romane, an die 20 Theaterstücke sowie unzählige Kurzgeschichten und Glossen entstanden. Gerade hat sie ein neues Buch abgeschlossen, das Ende September erscheinen wird ("Wunderbare Jahre. Als wir noch die Welt bereisten"), und die Arbeit an einem Theaterstück für London aufgenommen. An einer Drehbuchfassung ihres Romans "Der Tag, als meine Frau einen Mann fand" schreibt sie ebenfalls gerade, Regie soll der Wiener Antonin Svoboda führen.

Zur Branche, in der sie sich bewegt, fällt ihr übrigens wenig ein: "Sie wird schon prima sein, die Literaturszene. Sie ist aber auch ein bisschen unwichtig, wie alle Szenen, oder?" Außer Fachbüchern lese sie nichts mehr - aus Zeitgründen, aber auch aus Angst vor Beeinflussung: "Die Gefahr der Kopie ist mir zu groß." So macht sie, unbeeindruckt von den Erzeugnissen der Kollegenschaft, einfach weiter, lebt zwischen Rückzug und Offensive, hält das Tragische und das Komische in ewiger Balance - denn das Traurig-Heitere, das sei kein Ziel für sie, sondern schlicht: ihre Lebenshaltung.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.