Silberstaub im Himmel: In memoriam Peter Patzak, 1945–2021
Wenn er an Wien im Kino denke, „nicht an das alte Wien oder das Wien nach dem Krieg, sondern an die ruhige, moderne Stadt“, schrieb Regisseur Martin Scorsese 2009 im Vorwort eines Buchs, das Peter Patzak gilt, „dann sehe ich sie durch Peters Augen“. Tatsächlich kann man Wien in den Filmen Patzaks, etwa in dem Thriller „Situation“ (1973, am Drehbuch hatte Oscar Bronner mitgeschrieben) oder in „Zerschossene Träume“ (1976), auf ganz eigenwillige Weise neu erleben: Patzaks Blick galt nicht dem Bekannten, sondern dem Übersehenen.
Seine stärkste Phase als Filmemacher erlebte er früh, sie reichte von den mittleren 1970er-Jahren bis in die frühen 1980er. Nach ein paar experimentellen Arbeiten, auch Trash- und Exploitation-Filmen („Parapsycho – Spektrum der Angst“, 1975) verabreichte Patzak gemeinsam mit dem Autor Helmut Zenker, den er schon in der Schule kennengelernt hatte, dem österreichischen Fernsehen im Hochsommer 1976 ein Aufputschmittel mit ungeahnter Langzeitwirkung. „Hartlgasse 1a“, der erste Film der „Kottan ermittelt“-Reihe, servierte den Wiener Miserabilismus in tragikomischer Schärfe und die polizeiliche Arbeit als ultrarealistische Farce. Die Titelfigur, den Major Adolf „Dolferl“ Kottan spielte zunächst Peter Vogel (in den legendären beiden ersten Episoden), 1978 übernahm Franz Buchrieser die Rolle, die er 1980 an Lukas Resetarits weiterreichte.
In den noch in Spielfilmlänge produzierten ersten sieben „Kottan“-Filmen demonstrierte Patzak nicht nur sein fabelhaftes komödiantisches Timing, sondern auch sein präzises Auge für soziale Verhältnisse. Mit der Kleinbürger-Gewaltstudie „Kassbach“ (1979, getragen von dem kompromisslosen Menschendarsteller Walter Kohut) ging Patzak noch einen Schritt weiter in seiner kühlen Bestandsaufnahme eines fremdenfeindlichen Alltags.
Der Polizistensohn Patzak, geboren im Jänner 1945 in Wien, interessierte sich früh für die Malerei, zu seinen Mentoren gehörte Albert Paris Gütersloh. Die Idee, Filme zu machen, kam ein wenig später. Zwischen 1968 und 1970 lebte Patzak in New York, nach seiner Rückkehr machte er mit dem Filmemachen Ernst. Er blieb eine illustre, stets ein wenig flüchtige, introvertierte Figur. Wenn er einen anrief, um auf Fehler oder Verdrängtes hinzuweisen, und mit dem Basso continuo seiner Stimme tiefenentspannt, bisweilen schwer verständlich vor sich hin grummelte, schien er die Coolness seiner Präsenz auch vokal zu bestätigen. Peter Patzak gehörte nicht zur Fraktion der leicht Erregbaren oder übertrieben Aufgeregten, die in Österreichs Filmszene nicht gerade unterrepräsentiert sind. Er besaß die Souveränität, so weit an sich zu glauben, dass er von Kritikertadel oder Projektablehnungen nicht merklich aus der Ruhe zu bringen war.
In den frühen 1990er-Jahren nahm er eine Regieprofessur an der Wiener Filmakademie an, zwischen 2008 und 2013 avancierte er dort auch zum Institutsvorstand. Bis 2006 arbeitete er als Filmemacher kontinuierlich, vor allem im deutschsprachigen Serienfernsehen: Dann riss das Interesse der TV-Redaktionen an ihm ab. Man habe ihn einfach vergessen, erklärte Patzak später ohne einen Anflug von Selbstmitleid. Vom Kino nahm er 2010 Abschied, mit „Kottan ermittelt: Rien ne va plus“, einem letzten Rückgriff auf die Figur, die er 35 Jahre davor geprägt hatte.
Patzak war vielfältig kreativ, er schrieb, produzierte, komponierte fallweise auch die Musik zu seinen Filmen selbst. Gemalt hatte er neben seiner Regielaufbahn stets, schon als Teenager stellte er erste Werke aus. Das reine Leuchten der Farben in seinem Spätwerk erschien ebenso abgeklärt, so unantastbar wie ihr Schöpfer. „Der Geist der Farbe“, so hieß auch sein 2005 erschienenes Romandebüt. Bis zuletzt hatte er seine Frau Eve Joy Patzak in ihrer künstlerischen Arbeit unterstützt, mit der sie sich nach einem Schlaganfall 2013 ins Leben zurückgekämpft hatte. Enge Verbindungen unterhielt Patzak seit Jahrzehnten zum Haus der Künstler in Gugging, wo auch seine Frau als Psychologin geforscht und gearbeitet hatte.
Am Donnerstag vergangener Woche starb Peter Patzak 76-jährig nach einer Notoperation am Herzen in einem Spital in Krems. In seinen autobiografischen Miniaturen heißt es an einer Stelle: „Ich gehe ins Gartenhaus, dorthin, wo meine Bilder entstehen, öffne das Fenster. Der Mond liegt als unentschlossene Sichel auf der Lauer, und dennoch ist um ihn ein Kreis, wie mit Silberstaub in den Himmel tätowiert. Er sagt: ,Verrate dieses Geheimnis nie: kein Anfang, kein Ende.’“