Auch die eingeladenen Kunstschaffenden staunen nicht schlecht, was sie in ihrem sommerlichen Domizil erwartet. „Es ist schon verrückt, dass ein ganzer Ort um einen tosenden Wasserfall gebaut wurde“, bringt der Holländer Hyland Mather die fast schon surreale Lage und Architektur von Bad Gastein auf den Punkt. Seine konstruktivistisch anmutende Installation an der Absperrung des Hotels Mirabell – seit Jahren eine Baustelle – passt in ihrem improvisierten Charakter perfekt zu dem alpinen Dorf, das Leerstandsweltmeister sein könnte: Das brutalistische Kongresshaus, das der Salzburger Architekt Gerhard Garstenauer 1974 gebaut hat, und das Haus Austria direkt im Zentrum sind Ruinen, die von wagemutigen Lost-Places-Touristen aus aller Welt illegal erkundet werden. In Bad Gastein bröckelt es an vielen Stellen. Mathers Installation wird das Festival jedenfalls überdauern, sie wird gut altern und Menschen vor die kreative Frage stellen, ob das bewachsene, verwitterte Holz nun Kunst oder doch spielerischer Zufall sein mag.
Es gibt aber auch Positives zu berichten: Mit dem Straubinger Grand Hotel und gegenüber dem modernen Badeschloss, das wie ein Granitblock imposant in die Höhe ragt, wurden im Vorjahr gleich zwei markante Hotels eröffnet. Das neue Leben tut dem verschlafenen Kurort, der zuletzt in den 1980er- und 1990er-Jahren ein Party-Hotspot (Falco, Bono, Shirley Bassey) gewesen ist, sichtlich gut. Gerade im Sommer entdecken vermehrt Touristen aus dem arabischen Raum den geschichtsträchtigen Ort mit seinen verwunschenen Häusern, die sich atemberaubend in die Schlucht schmiegen. Bad Gastein ist eine Diva, die auch zur Festivaleröffnung gezeigt hat, was sie kann: Schwer hingen die Wolken im dunklen Tal, es blitzte und donnerte. Aber pünktlich zu den Open-Air-Ansprachen strahlte wieder die Sonne, vergessen war der Weltuntergang.
Kunst im Kraftwerk
Zu den Highlights zählt jedes Jahr die kleine, feine Kunstmesse „art:badgastein“ im ehemaligen Kraftwerk, einem idealen Ort, um zeitgenössische Kunst zu präsentieren. Die Wände tragen noch den Originalverputz, und wie überall in Bad Gastein hört man das mächtige Rauschen des Wasserfalls. Die Stimmung ist entspannt familiär, Kunstschaffende, Sammlerinnen und Galeristen kommen ungezwungen miteinander ins Gespräch. Die Wiener Galerie Zeller van Almsick hat mit René Wagners poppigen Autofantasien, die glänzenden Lack auf Vasen und Bilder bannen, sowie mit der feministischen Aneignung von Kühlerhauben-Pin-up-Fotos von Xenia Lesniewski zwei starke Positionen im Programm. Eine herausragende Entdeckung sind die bestickten Bilder und Keramiken der Hamburger Künstlerin Miriam Zadil (Galerie Carolyn Heinz). Sie orientiert sich an griechischen Mythen und anderen blutigen Erzählungen, die sie fantasiestark, humorvoll, aber nicht minder bedrohlich weiterspinnt: Auf dem großformatigen Werk „Phaidras Liebe“ (2024) sind zerstückelte Körper zu sehen, dazu ein griechischer Chor, der aus singenden Socken besteht.
Dieses Wochenende werden die Masterclasses im Kraftwerk eröffnet. Nachwuchs-Kunstschaffende von Ausbildungsstätten aus Wien und München nutzen da erste Auftrittsmöglichkeiten. Heuer mit dabei sind unter anderem die lapislazuliblauen Traumgemälde des Münchners Pascal Koertel, Jahrgang 1997, sowie eine wilde Mischung aus Objekten, Zeichnungen, Keramik-Installationen und Gefundenem von Meike Schulze Hobeling, geboren 1993. Und wie sieht Festivalchefin Andrea von Goetz die aktuelle Aufbruchsstimmung in Bad Gastein? „Brüche jeder Art gehören zur Identität dieses Ortes“, sagt sie gelassen. Bad Gastein ist und bleibt eine kreative Baustelle, in der sich Aufbruch und Verfall bestens ergänzen. Passend dazu wäre im kommenden Jubiläumsjahr vielleicht doch auch eine Inszenierung, die sich eines der leer stehenden Gebäude zunutze macht. Muss ja nicht Schnitzler sein.