Kultur

"Sisi": Neuer Roman von Karen Duve

In ihrem neuen Roman "Sisi" vergaloppiert sich die deutsche Autorin Karen Duve zwischen Porträt und Karikatur der legendären Kaiserin.

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Die Kaiserin sucht Trost in der Hofreitschule, als sich die Beziehungen zwischen der Monarchie und England verschlechtern. "Ihre große Traurigkeit pausiert, sowie sie einen der Lipizzanerhengste reitet",schreibt Karen Duve, 60, in "Sisi": "Das Lebensfeuer der Tiere springt auf sie über." Von Rössern und vom Reiten ist in Duves neuem Roman viel die Rede. "Sisi" ist so etwas wie eine 400 Seiten starke Herzensausschüttung an den Freund unter dem Sattel. Nach ihrem Sachbuch-Selbstversuch "Anständig essen" (2011) und der Märchennachdichtung "Grrrimm" (2012) knüpft die gebürtige Hamburgerin mit "Sisi" zeitlich wieder an ihren Historienroman "Fräulein Nettes kurzer Sommer" (2018) um die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff an.Elisabeth "Sisi" von Österreich-Ungarn (1837-1898), die in Film, Literatur und Musical als popkulturelle Großversion des Monarchistischen herumgeistert, geht in Duves Roman auf die 40 zu. Sisi ist kreuzunglücklich an der Seite von Ehemann Kaiser Franz Joseph, dem Inbild des Hüftsteifen und Humorlosen. Sie reist nach Ungarn und England, nimmt an Jagdausflügen teil. In den Gedankenblasen über ihrem Kopf traben und galoppieren gleichsam ständig Araber und Fuchs, Haflinger und Vollblüter nebst den Zirkuspferdchen Flick und Flock. Die seltenen Monologe und Gespräche abseits von Gaul und Galoppieren werden so zu vagem Geplapper.

Der Roman liefert ein superlativisches Sisi-Stillleben, bisweilen reich an unfreiwilliger Komik: Sisi ist mit einer Taille "nicht von dieser Welt" gesegnet, dazu das "heilige Haar" und ihre "übermenschliche Selbstbeherrschung".Ihr ist das "normale Menschsein nicht mehr möglich",zugleich ist sie die "netteste Person der Welt", die "schönste Frau Europas", "eine herrliche Göttin",kurzum: "eine "Märchenfee".Einziger Makel: die verfärbten Zahnreihen, die Sisi bei geschlossenen Lippen für ihre Umgebung kaum verständlich nuscheln lassen. Die Geschichte einer Starrsinnigen und Komplizierten, die Duve ebenfalls erzählen will, kommt bei dem aufgekratzten Jubilieren leider zu kurz. Ihre Haare und die jüngste Tochter Valerie sowie das ewige Im-Sattel-Sitzen: Das ist laut Duve Sisis Daseinsdreiklang.

Auf Schloss Gödöllő vor den Toren Budapests, der bevorzugten Residenz der österreichischen Kaiserin und ungarischen Königin, wartet Sisis kostbarster Schatz. "Dieser Baum ist mein bester Freund in dieser Welt", lässt Duve die Monarchin schwärmen: "Jedes Mal, wenn ich herkomme, und jedes Mal, bevor ich abreise, gehe ich zu ihm, und wir blicken uns einige Minuten schweigend an. Er sieht meine Seele und weiß alles, was in mir ist."

Autorin Karen Duve (60) teilt ihre Vorliebe für Pferde mit Sisi.

In ihrem Surrealismus passt die Szene gut in diesen Roman. Im Nachwort erklärt Duve, dass sie viele Zitate eingearbeitet habe. Elisabeth sei eine "Art Waldgeist, eine Fee" von Gödöllő gewesen, ist in "Sisi" zu lesen. Man wünscht sich nicht nur an dieser Stelle Duves Widerspruch. Der Roman liefert die abenteuerliche Beglaubigung des Sprüchleins, wonach das Glück der Erde auf dem Rücken der Pferde liege: "Wenn sie galoppiert, lodert eine Glut in ihr. Ihr Gehirn arbeitet losgelöst von diesem glutgefüllten Körper."

Kaum entfernt sich "Sisi" von seinem Galopp-Generalthema, glücken Duve allerdings großartige Szenen. Etwa der Schlüssellochblick ins Schlafgemach von Franz Joseph, eine Poesie-Performance, die jedes Prädikat verdient: Um 3.30 Uhr erhebt sich Ihro Gnaden, schwingt schlanke Beine über die Bettkante und schleicht zum Leibstuhl. Dann zieht der Kammerdiener dem Kaiser das Nachthemd über den Kopf. Der Kaiser ist nackt! Genüsslich lässt Duve die entblößte Hoheit von seiner Dienerschaft umkreisen: "Leg' mich zu Füßen Eurer Majestät und wünsch' einen guten Morgen." Es gibt in "Sisi" nicht wenige Sätze, in denen Duve wie leichthin die leeren Zeremonien an den Residenzen des 18. Jahrhunderts enttarnt: "Die Fürstin Hohenlohe schaut wie ein Kreuzworträtsel nach allen Richtungen."-"Der Kaiser ist eine Insel. Seine Einsamkeit hat etwas Absolutes." Selten genug umkreist Duve jedoch das verbohrte dynastische Denken am Kaiserhof und das Mauscheln in den labyrinthischen Palastkorridoren. Wenn man der Autorin glauben darf, war in dieser vergangenen Welt allein das große Geklapper von Pferdehufen wichtig. Ein Pferd, ein Pferd! Sisis Königreich für ein Pferd!

Karen Duve: Sisi

Galiani Berlin. 401 S., EUR 26,80

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.