Nach der bleiernen Zeit der Covid-Jahre habe die Band im Live-Spielen „neu zusammengefunden“, erinnert sich Spechtl im profil-Interview, das im engen Oberstübchen des Plattenladens „Recordbag“ in Wien-Margareten stattfindet. Aus der Energie des Auftretens heraus sei die Lust gekommen, wieder eine Platte zu machen. Noch nie sei in derart kurzer Zeit ein Album von Ja, Panik entstanden: Neun Monate nur habe es vom ersten Song bis zum Mastering gedauert, und er habe am Ende so viel Textmaterial gehabt, dass man jedes Stück mehrmals betexten und dann ein Best of daraus schneiden konnte.
Spiel nicht mit den Schmuddelkindern
Spechtl zitiert gern Karl Marx, und die Schrecken des Kapitalismus sind ihm bevorzugte Song-Themen. Das Geld als Debattenstoff begleitet Ja, Panik schon seit den Alben zwei („The Taste and the Money“, 2007) und drei („The Angst and the Money“, 2009). Viele Stücke der Band sind Oden ans prekäre, kaputte Leben. Hinter dem kryptischen Albumtitel „Dmd Kiu Lidt“ von 2011 etwa verbirgt sich der bedenkenswerte Satz: „Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit.“ Er spreche gern übers Geld, sagt Spechtl, ihn interessiere, wo es herkomme und wie es benutzt werde, „darüber sollte man viel mehr reden. Der spießige Grundsatz, demzufolge man über Geld nicht spreche, ist mir zuwider.“ Die Debatte über Erbschaft- und Vermögensteuern sei möglichst lautstark zu führen, findet er, „ich bewundere die Aktivistin Marlene Engelhorn total. Kapital und Reichtum sind in dieser Welt auf einige wenige konzentriert, auf Dynastien eigentlich, auf ein Milieu zwischen Königshaus und Religion. Da werden Fragen zur Besteuerung immer wichtiger.“
Der Titel des aktuellen Tonträgers, „Don’t Play with the Rich Kids“, erinnert von fern an ein sarkastisches Lied des deutschen Politbarden Franz Josef Degenhardt von 1965: „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ („Sing nicht ihre Lieder / Geh doch in die Oberstadt / Mach’s wie deine Brüder / … Sie kämmten ihm die Haare und die krause Sprache glatt / Lernte Rumpf und Wörter beugen“). Sind die Reichen die neuen Schmutz- und Straßenkinder? „Für uns Arme schon“, sagt Spechtl trocken und verbessert sich gleich noch: „für uns Proleten“. Er lächelt, natürlich kaum wahrnehmbar.
Gegen Elitismus und Nationalismus tritt er nachdrücklich auf. Denn ein Kosmopolit ist der 1984 im burgenländischen Oberpullendorf geborene, seit 15 Jahren in Berlin lebende Andreas Spechtl fraglos: In Teheran hat er einst ein Album aufgenommen, und seit seine Partnerin in Argentinien an der Uni arbeite, verbringe er eben die Hälfte seiner Zeit dort, meist in den Millionenstädten Córdoba und Buenos Aires, wo er ebenfalls gut schreiben und komponieren könne. Ein verschließbares Arbeitszimmer genüge.
Argentinien hat es auch auf „Don’t Play with the Rich Kids“ geschafft: Die Stadt Ushuaia ist die südlichste der Welt; nach ihr ist die Schlussballade der Platte benannt. „An der Kante der Welt / Die, wie du sie kanntest, zerfällt“, heißt es darin sprachspielerisch.
Politik in Schlagwörtern
Spechtls Fantasie-Weltort heißt „Libertatia“, ihm hat er 2014 ein ganzes Ja, Panik-Album gewidmet. Aber Theorie und Politik haben im Pop ihre Grenzen. „Man kann nicht von sich selbst verlangen, dass all die politischen und sozialen Anliegen, die man hat, in der Kunst verhandelt werden müssen. Ich bin eher Fan von Schlagwörtern – und von Diskursmöglichkeiten abseits der Musik: dass wir beide hier beispielsweise sitzen und über eine Erbschaftsteuer sprechen. Das muss sich doch nicht alles auf dem Album wiederfinden.“
Aber noch einmal zurück zum Geld: Er finde interessant, sagt Spechtl, 39, was während der letzten Jahre in seinem Umfeld passiert sei unter Leuten, die heute Mitte, Ende 30 seien. „Bei vielen von ihnen wartet am Ende doch die Eigentumswohnung und die finanzielle Absicherung. Ich bin das niemandem neidig, aber es ist spannend: Das waren die, die in ihren Zwanzigern am krassesten gegen das System gewütet, sich ein Leben neben den Normen erlaubt haben. Und plötzlich verstehe ich, warum sie das konnten: weil es dieses Sicherheitsnetz gab.“ Das sei ja auch das Urproblem von Punk: Der musikalische Nihilismus sei eigentlich von rich kids erfunden worden. „Je prekärer die Gesellschaft wird, desto mehr Leute tummeln sich in der Kunst, die sich das noch leisten können. Dann wird es aber ein bisschen fad.“
Gegen sich selbst gehe er, ob er nun an seinen Soloalben, an Theatermusiken oder Veröffentlichungen von Ja, Panik arbeite, „überall mit derselben Strenge vor“. Aber Ja, Panik sei eben die Gruppe, in die er „quasi hineingeboren wurde, sie wird mich mein Leben lang nicht mehr verlassen. Solange wir uns alle die nötige Freiheit lassen, wird es diese Band für immer geben.“
Die Arbeit an den Texten, die für Ja, Panik so entscheidend sind, sei diesmal anders gewesen, in hohem Maße improvisiert nämlich. „Die Musik war früh da, es gab die groben Demos, die hörte ich im Auto und sang während des Fahrens dazu: Ich nahm, was immer mir einfiel, mit dem Handy auf. Oder ich ging morgens gleich laufen, trank einen Kaffee und drehte dann das Mikro auf. Einfach freestyle zweisprachig draufrappen. So ist da vieles entstanden.“ Oft habe er sich die Ergebnisse erst am nächsten Tag angehört, um sich selbst zu überraschen. „Ich liebe es, mir kleine Spielchen aufzuerlegen, mir den Boden unter den Füßen wegzuziehen.“ Anschließend werde das Ganze zusammenredigiert, er füge dann auch Dinge aus seinem Notizbuch ein, aber die Basis seien eben improvisierte Texte gewesen. „Das hört man auch, sie sind offen, ein bisschen unfertig, oft ohne Reim: Der Text läuft ins offene Messer. Ich mag das sehr.“
Die Offenheit ist für Ja, Panik zu einer Grundbedingung geworden: „In der Rückschau sind die mir liebsten und interessantesten Stücke oft jene, von denen ich damals das Gefühl hatte, sie zu schnell aus der Hand gegeben zu haben. Sie sind der Welt gegenüber offen geblieben, sind nicht gealtert, haben sich nicht verschlossen.“
Freude am Bullshit
Soziale Medien bediene er „nur beruflich“, wie er sagt: „Niemand, der mir folgt, weiß über mich als Privatperson Bescheid.“ Mit autobiografischen Statements sollte man Spechtls Texte daher nicht verwechseln, die von ihm gern genutzte Ich-Erzählung führt in der Regel absichtsvoll auf Ab- und Holzwege. In seinen Songs fließe alles zusammen, womit er sich so konfrontiere. „Ich bin ja auch mein Umfeld, bin alles, was ich höre, sehe und lese. Ich bin der Schwamm, der das alles aufnimmt. Und ich hab meine diebische Freude daran, dass man bisweilen meinen könnte, bestimmte Texte seien besonders persönlich oder emotional, wo sie eigentlich totaler Bullshit sind. Umgekehrt sind manche Dinge, die völlig erfunden klingen, wahr.“ Dieses Spiel habe David Bowie perfektioniert, daran will Andreas Spechtl nicht rütteln. Er weiß, dass es um Größeres geht als nur um ihn selbst. „Who cares, wer ich bin. Es ist egal!“
Ja, Panik live: 12.4., ARGEkultur Salzburg, 13.4. Konzerthaus Wien
Halt deine Angst in Schach: Der jüngste Longplayer der famosen Gruppe Ja, Panik.
Unter einer Decke stecken sie an einem namenlosen Strand, im landschaftlichen Nirgendwo, am Cover ihres neuen Albums, das sie „Don’t Play with the Rich Kids“ genannt haben. Sie kennen keine Dunkelheit, die betuchten, stets sonnengeküssten Kinder, singt Andreas Spechtl in seinem charakteristischen Deutsch-Englisch-Gemisch in dem Song „Mama Made This Boy“.
Ja, Panik ist eine Band, die weit zurückgeht: Den Bassisten Stefan Pabst beispielsweise kannte Spechtl schon als Zehnjähriger, mit ihm macht er seit 25 Jahren Musik. In der Hochphase der Arbeit an dem neuen Album habe er täglich ein, zwei Stunden mit Pabst telefoniert, sagt Spechtl – und vieles verhandelt. Sachen wie: Ist der Reim gut? Passt dieser Satz da hin? Stefan Pabst sei „eine Art Produzent meiner Texte“.
Gemeinsam mit Drummer Sebastian Janata und der Multiinstrumentalistin Laura Landergott haben Pabst und Spechtl eine erstaunlich direkte, umweglose Indie-Rock-Platte kreiert. „Ja, Panik geht meist eher in den Kopf, ist oft stark vergrübelt und getüftelt. Diesmal wollten wir uns ein paar offene Enden lassen, um nicht alles perfekt abzuschließen, uns auch ein paar Zweifel zuzutrauen“, so Spechtl: „Ich glaube, man kann dieses Album auch emotional begreifen.“
Aufgenommen wurde es im Berliner Ja, Panik-Studio, aber auch am Land, in einem kleinen Burgenländer Hühnerstall im Haus der Mutter Spechtls, wo man die Stimmen und ein paar Gitarren einspielte. „Im Sommer ist es toll dort“, erzählt Spechtl, „in diesem 300-Einwohner-Dorf an der Grenze zur Slowakei und zu Ungarn. Wir kommen ja alle aus dieser Region, daher ist das für uns so ein Vibe-Ding: Wir haben dort zehn Tage lang gemeinsam gewohnt, nicht nur um zu arbeiten, sondern auch, um dann und wann ein Glas Wein zu trinken oder einen Joint zu rauchen.“