Ottessa Moshfegh
Literatur

Spaß und Schrecken im neuen Roman von Ottessa Moshfegh

In „Der Tod in ihren Händen“ serviert US-Jungstar Ottessa Moshfegh allerfeinsten Horror, herumgeisternde Nazi-Größen und andere Blutsauger inklusive.

Drucken

Schriftgröße

Kann das gut gehen? Ein Roman, in dem Hirnbrocken von Schultern gewischt und Urnen in dunkelschimmernden Seen versenkt werden? Vampire und Magda Goebbels geistern? Eine in die Jahre gekommene Frau im Tarnanzug durch finstere Wälder streift? Ein Buch, in dem der verhackstückelte Leichnam einer vermutlich ermordeten Teenagerin im Garten vergraben wird, auf dass die Gebeine Wurzeln schlagen und Sprösslinge austreiben?

Der krause Plot, von US-Jungstar Ottessa Moshfegh, 40, in „Der Tod in ihren Händen“ mit allerfeinstem Horror entworfen, geht sogar ziemlich gut auf. Es gibt in dieser Geschichte über die Aussteigerin Vesta, 72, zu viel Geistesumnachtung und Gemütszerrüttung, als dass deren Denken und Handeln unter einen Hut zu bringen wären.

Halbwegs eindeutig in Erfahrung zu bringen ist: Vesta, Sekretärin einer Abrechnungsstelle für Arztrechnungen im Ruhestand, war mit Walter, einem deutschen Erkenntnistheoretiker, unglücklich verheiratet und flüchtet nach dessen Krebstod gemeinsam mit ihrem Hund Charlie in den Osten der USA, in einen nahezu menschenleeren Ort namens Levant, wo sie ein Häuschen am Lake David bezieht, drei Hektar Grundbesitz, eine Insel in der Seemitte.

Auf einem ihrer Waldspaziergänge findet sie eine Notiz: „Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche.“ Es findet sich aber keine Leiche. Kein Blutfleck. Keine Spur. Vielleicht, mutmaßt Vesta, sei der Brief der „Auftakt einer längeren Geschichte“. Was nur eine von Vestas kolossalen Untertreibungen ist.

Der große Rest in „Der Tod in ihren Händen“ ist buchstäblich Kopfgeburt und Düstermärchen, von Moshfegh mit kalter Lust als Schauerstück erzählt. „Das verräterische Herz“ ist eine Geschichte Edgar Allen Poes überschrieben. „Der Tod in ihren Händen“ ginge auch mit dem Titel „Das verräterische Hirn“ durch, derart heftig pocht das Gesumm des Denkens und Stimmenhörens in Vestas Kopf. Moshfegh füllt die abgegriffene Floskel vom Sezieren mithilfe der Literatur mit neuem Leben, indem sie ihrer wirren Heldin regelrecht mit hochtourigem Mixer ins Gehirn fährt. Das Echte und das Imaginierte sind austauschbar, Realität und Wahn in einem flirrenden Wechselspiel verfangen.

Vesta pariert mit sehr eigenem Patentrezept auf alle Lebenslagen: „Sehr, sehr seltsam, wozu der Geist in der Lage ist.“ Hier die Alltagsroutine, da die Hirngespinste – und mittendrin Moshfeghs Protagonistin: Während des Frühstücks mit obligatem Bagel und Kaffee findet Vesta Zeit, über das Leben nachzudenken: „Es war laut und aufdringlich. Ein Klassenrüpel. Eine Barsängerin im hautengen Paillettenkleid. Ein Lastwagen, der unaufhaltsam die Straße hinunter donnerte. Ein Presslufthammer. Ein Buschfeuer. Eine Herpesblase.“ Dazu läuft im Radio „An der schönen blauen Donau“. 

Moshfegh lässt ihr Buch gekonnt zwischen gewöhnlichem Schrecken und gepflegtem Wahn pendeln, in der maliziösen Absicht, Vesta auf schiefer, spiegelglatter Ebene zu halten: kein Halt, nirgends. Dafür immer wieder diese Bilder: „Ich sah förmlich, wie in den Polizistenhirnen kopflose Ratten herumkrochen, aus ihren Hälsen spritzte Blut, die Halsknochen lagen blank, und die abgehackten Köpfe nagten an toten, kopflosen Rattenkörpern.“

Der Roman, der seinen Drive erst gegen Ende ein wenig dem Konventionalismus opfert, ist weit mehr als die schlichte Nacherzählung eines langsamen Untergangs. Moshfegh spielt leichthändig mit den Gattungsmerkmalen von Krimi, Märchen und Gruselgeschichte: „Hier war es totenstill“, schaudert Vesta wie im Thriller-Handbuch: „Nur der Ruf der Eistaucher war gelegentlich zu hören.“ Irgendwann stolpert sie sogar über eine Anleitung „Krimis schreiben – die besten Tipps und Tricks“.

Ottessa Moshfegh zelebriert ihren Schauder-Slapstick mit einer Schamlosigkeit, die Thomas Harris („Roter Drache“) und Psychothriller-Bestsellerautor Sebastian Fitzek („Der Augenjäger“) blass aussehen lassen. Sie verzichtet auf simples Psychologisieren, kein Lichtstrahl fällt in Vestas Black-Box-Verstand – was die ganze Sache am Ende wirklich unheimlich werden lässt. Vesta kommt der Welt allmählich abhanden. Nicht ohne in Gedanken die „Dreistigkeit der Sterne“ zu beklagen, die über ihr funkeln und schimmern: „So viele waren ausgebrannt, genau wie ich, aber sie leuchten immer noch.“

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.