Spike Lee: "Die korrupteste Administration, die in den USA je am Werk war"
profil: Ihr Leben und Werk dreht sich seit den 1980er-Jahren um afroamerikanische Geschichte; sogar ihr Produktionsunternehmen heißt "40 Acres and a Mule" - nach einem nie eingelösten Versprechen des amerikanischen Militärs auf Entschädigung früherer Sklaven. Befürworten Sie Reparationszahlungen an einst entrechtete schwarze Familien? Lee: Ja, verdammt noch mal! Die USA sind auf den Genozid der Ureinwohner und auf die Sklaverei gebaut. So wurden sie zur Weltmacht. Aber auch diese Wahrheit wurde nie öffentlich anerkannt. Und die triste Situation der afroamerikanischen Bevölkerung heute verblasst im Vergleich zum Schicksal der Native Americans, die einst tatsächlich in Konzentrationslager verfrachtet wurden. Mit diesem Völkermord will sich Amerika weiterhin nicht befassen, obwohl er Beginn und Grundlage dieses Landes ist. Dann kam noch die Sklaverei dazu: eine tödliche Mischung.
profil: Erleben auch Sie, als renommierter Regisseur, alltäglichen Rassismus - oder ist Ihr Arbeitsumfeld dann doch eine Blase, in der solche Ressentiments keine Rolle spielen? Lee: Ich lebe in keiner Blase. An manchen Tagen gelingt es mir nicht, auf der Straße ein Taxi zu kriegen.
profil: Im multiethnischen New York? Lee: Klar. Viele weiße Fahrer nehmen eben keine Schwarzen mit. Ich habe mir nie eingebildet, dass man mich angesichts des Erfolgs meiner Arbeit nicht mehr als schwarz ansehen würde. Ich habe irgendwann verstanden, dass die Leute mich immer zuallererst als Schwarzen wahrnehmen. Darüber beklage ich mich nicht einmal. Die kitschige Utopie, mich über meine Hautfarbe hinwegzusetzen und endlich nur noch "als der Mensch gesehen zu werden, der ich wirklich bin", hatte ich nie.
profil: Ihr neuer Film "BlacKk-Klansman" wirkt - obwohl eine historische Erzählung - seltsam aktuell. Lee: Zeit ist eben alles, und plötzlich stehen die Sterne in einer Linie. "BlacKkKlansman" ist so ein Fall.
profil: Sie haben Ihre Rassismusstudie einen wake-up call, einen Weckruf, genannt. Lee: Das ist wirklich nichts Neues. "Wake up!" rufe ich doch schon seit "Do the Right Thing" - und das ist bald 30 Jahre her: Samuel Jackson lässt vor dem Radiomikrofon einen Wecker klingeln und beginnt seinen Monolog mit den Worten "Wake up".
profil: Sogar auf der Baseballkappe, die Sie gerade tragen, finden sich diese Worte. Lee: Sehen Sie? Ich sag's immer noch. Ich rühre die alte Trommel. Das ist mein Refrain!
profil: Die dokumentarischen Bilder der Gewalt am Ende Ihres Films sind verstörend. Lee: Ein wake-up call eben. Ein Hollywood-Ende, in dem sich alles in Wohlgefallen auflöst, wollte ich nicht. Als ich vor genau einem Jahr die Aufnahmen aus Charlottesville auf CNN sah, in denen ein junger Neonazi mit dem Auto in die Menge der Gegendemonstranten raste, hatten die Dreharbeiten noch nicht begonnen. Ich wusste augenblicklich, dass diese Bilder am Ende von "BlacKkKlansman" stehen mussten.
profil: Sind Wut und Trauer die zentralen Motoren Ihres Films? Lee: Das ist Ihre Interpretation. Ich würde ein anderes Wort bevorzugen: Dringlichkeit. Denn die Uhr tickt.
profil: Man könnte sagen: Sie steht auf viertel nach zwölf. Lee: Absolut. Oder nennen wir es mit Thelonious Monk "'Round Midnight"! Worauf warten wir noch? Aber es geht hier nicht allein um die USA. Das ist eine weltweite Angelegenheit. Nehmen Sie Deutschland: Wie heißt diese Truppe hier? ADF?
profil: AfD. In Österreich sitzt übrigens auch eine rechte "Alternative" in der Regierung: die FPÖ. Lee: Rassismus betrifft inzwischen leider die ganze Welt.
Die Einwanderer, genau. Machen wir sie doch zu Sündenböcken!
profil: Verschärft von diversen Migrationswellen. Lee: Die Einwanderer, genau. Machen wir sie doch zu Sündenböcken! Wenn etwas schiefläuft, sind eben die Syrer schuld!
profil: Offenbar haben zu viele Menschen zu große Angst. Lee: Die Angst ist Teil der Taktik. Das ist nicht neu: Diese Leute haben nicht unsere Religion, sie sehen eigenartig aus, und dann nehmen sie uns angeblich die Jobs weg und unsere Kultur. Man heftet ihnen einfach alles erdenklich Negative an, und schon hat man etwas, worüber man sich gemeinsam erregen kann. Das ist alt, alt, alt - und wird bis zum Erbrechen wiederholt.
profil: Und Präsident Trump befeuert diese Art der Hetze mit einer Mischung aus Bigotterie und Lügen. Lee: Bigott und verlogen war er doch schon lange, bevor er ins Weiße Haus gekommen ist.
profil: Wieso wurde er dann gewählt? Lee: Weil die Demokraten eingeschlafen sind in ihrer Euphorie über den ersten afroamerikanischen Präsidenten, der vielen Wahlberechtigten acht Jahre lang ein Dorn im Auge war. Mit freundlicher Assistenz der Russen gelang es dann, die Republikaner überall zu installieren.
Der moderne Rassismus ist fest an die Ökonomie geknüpft. Da geht es in hohem Maße um Geld.
profil: Liegt das Problem nicht auch darin, dass kaum ein liberaler Politiker es wagt, den manifesten Rassismus beim Namen zu nennen? Er wird einfach ausgeblendet - und rassistisch denkenden Wählern kurzerhand die triste Wirtschaftslage als Hauptmotiv unterschoben. Lee: Der moderne Rassismus ist fest an die Ökonomie geknüpft. Da geht es in hohem Maße um Geld.
profil: Seltsamerweise stehen afroamerikanische Filme - Blockbuster wie "Black Panther" - derzeit ebenso hoch im Kurs wie schwarze Theoretiker und Literaten - von James Baldwin und Toni Morrison bis zu Ta-Nehisi Coates, Colson Whitehead oder Teju Cole. Zugleich wird der offene Rassismus immer stärker. Wird die westliche Welt ideologisch extremer? Lee: Die Zeiten und Räume, in denen wir leben, sind verrückt und verschoben. Was einmal unten war, ist nun oben - die Wahrheit wird als fake denunziert, während blanke Lügen als Fakten angenommen werden. Künftige Historiker werden sich in großem Stil an unserer Ära abarbeiten. Und ich bin sicher: Agent Orange (Spitzname für Donald Trump, Anm.) und seine Komplizen werden als diejenigen dargestellt werden, die auf der falschen Seite der Geschichte waren - als die korrupteste Administration, die in den USA je am Werk war. Als Kleinkriminelle, die ihr eigenes Volk ausverkauft haben.
profil: Sie haben sich in einem Interview gegen die Vermutung verwahrt, dass "BlacKk-Klansman" ein Lustspiel sei. Lee: Ich habe schon Komödien gemacht, aber dieser neue Film ist keine. Es ist ein Drama, in dem es eben auch Humor gibt.
profil: Ein Branchenvertreter hat "BlacKkKlansman" ein "buddy cop movie" genannt. Auf Ihre Zustimmung stieß dies eher nicht. Lee: Nein, als ich davon erfuhr, reagierte ich schnell. Dieses unpassende Etikett musste vom Tisch.
profil: Aber Ihr Film verwandelt eine historische Undercover-Aktion gegen den Ku-Klux-Klan durchaus in Entertainment. Halten Sie den Umweg über den Witz für die effizientere Politik? Lee: Den Studierenden, die ich an der NYU unterrichte, erkläre ich immer: Es gibt niemals nur einen Weg, etwas zu erreichen. Wenn Sie eine gangbaren Weg finden, um Gutes zu schaffen: Go do it!
profil: Das globale Gelächter über Trump hat sich als nicht sonderlich wirkungsvoll erwiesen. Lee: Aber es gibt da dieses schöne alte Sprichwort: Nur das Lachen kann dich vom Weinen abhalten.
profil: Um hochrangige Rassisten loszuwerden, wird Lachen nicht genügen. Lee: Stimmt. Das kann man nur durch Wahrnehmung seines Wahlrechts erwirken. Wir müssen Koalitionen der Vernunft bilden, für Bildung, Arbeitsplätze, Abrüstung und Krankenversicherungen kämpfen. Und gegen die Waffenlobby vorgehen! Ich hasse die NRA!