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Staub, Pferd, Projektil: Warum Western wieder so beliebt sind

Das Western-Genre erlebt dieser Tage im Kino eine neue Hochkonjunktur. In Zeiten des politischen Faustrechts ist dies kein Zufall.

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Das Naheverhältnis, das Realität und Fiktion zueinander unterhalten, kann gefährliche Kippeffekte produzieren. In Hollywood wird das eine vom anderen bisweilen nicht ganz zweifelsfrei unterschieden. Ende Oktober 2021 ereignete sich in Albuquerque, New Mexico, während der Dreharbeiten an einem Western namens „Rust“, eine Tragödie. Der US-Schauspieler Alec Baldwin erschoss während einer Testaufnahme die ihm gegenüber sitzende Kamerafrau des Films, Halyna Hutchins; die austretende Kugel drang zudem noch in die Schulter des hinter ihr stehenden Regisseurs Joel Souza ein. Baldwin gab an, nicht gewusst zu haben, dass sich in seinem historischen Revolver scharfe Munition befand. Im Zuge der Untersuchung jenes Unglücks kam ans Licht, dass am Set von „Rust“ alle Sicherheitsstandards in den Wind geschlagen worden waren, dass man in den Drehpausen mit echten Patronen auf leere Dosen geschossen hatte – und dass die (inzwischen zu einer Haftstrafe verurteilte) Waffenmeisterin der Produktion offenbar jeden Überblick verloren hatte.

Auch in anderer, weniger lebensgefährlicher Hinsicht spiegelt sich im scheinbar so stilisierten Gegenwartswestern unmissverständlich die Wirklichkeit. Trumps Outlaw-Amerika findet sich in diesen Filmen allegorisiert wieder: in einer, fast wie im richtigen Leben, von Egomanie, Korruption und Waffengewalt versehrten Kinowelt. Zugleich ist dieses Western-Pandämonium aber eben stets auch der Versuch, über den Heroismus der Pioniere, über die Genese der Vereinigten Staaten die Qualitäten einer freien Welt zu zelebrieren: Im Kampf gegen Brutalität und Hass blitzt das alte Plädoyer für Individualismus, Gerechtigkeit und Zivilcourage auf.

Das Arthouse-Kino hat in den vergangenen paar Jahren, zeitgleich mit der überraschenden Wiederkehr der Country-Musik in den globalen Charts, eine Reihe großer, psychologisch raffinierter Spätwestern produziert: Jacques Audiards „The Sisters Brothers“ (2018), Jane Campions „The Power of the Dog“ (2021) und etwa Martin Scorseses „Killers of the Flower Moon“ (2023).

Schon im frühen Kino traten die Cowboys und die Outlaws in Szene, wurden der aufgewirbelte Staub und die unregulierte Waffengewalt gefeiert: Edwin S. Porters zwölfminütige Eisenbahn- und Pferdeoper „The Great Train Robbery“, produziert 1903 von Thomas Alva Edisons Kinofirma, war längst nicht der erste Western der Filmgeschichte, aber einer seiner erfolgreichsten; und im Grunde riss die Faszination des westlichen Kinopublikums für dieses Genre nie mehr ab.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.