Die Klischees stimmen halt: Autorin Stefanie Sargnagel

Stefanie Sargnagel: Witzige Witze

Auf einen Erkältungskaffee mit Stefanie Sargnagel, Autorin und Milieustudentin.

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Stefanie Sargnagel ist ziemlich verkühlt, die letzten Tage hat sie, wie man ihrem Facebook-Feed entnehmen kann, im Neocitranrausch verbracht („Auf Neocitran ist das ganze Leben wie ORF 2 irgendwie“). Davor hat die 29-jährige Autorin auf der Frankfurter Buchmesse gelesen – na ja, in der Nähe der Frankfurter Buchmesse („Mein Verlag hat mir hier ein Airbnb am Waldrand gemietet in einem Reihenhaus, und ich dachte mir: Na toll, jetzt muss ich mitten in der Nacht betrunken nach der Lesung bei einer deutschen Kleinfamilie läuten und am nächsten Tag zerstört an ihrem lebensbejahenden Nutella-Frühstück teilnehmen, während ihr Kinderschokoladesohn fragt, warum die Frau so stinkt.“).

Irgendwie lustig. Irgendwie aber auch nicht.

So schlimm war es dann freilich doch nicht (beziehungsweise: anders schlimm), und die Krankheit sei jedenfalls nicht psychosomatisch, versichert Sargnagel und raucht sich noch eine Tschick an (selbstgedreht, Billigtabak). Als Treffpunkt hat sie das Café Weidinger am Gürtel vorgeschlagen, was einerseits eine gute Wahl ist (man hat Ruhe, kann rauchen oder, wenn man gerade nicht reden möchte, auf eine vierspurige Stadtautobahn starren), andererseits aber auch eine etwas heikle Entscheidung, denn es ist Dienstag, und am Dienstag findet hier ein Nazistammtisch statt, an dem auch ihr Vater gern teilnimmt. Sargnagel: „Mir kommt vor, dass das keine normalen Rechten sind, sondern eher Spinner und Verschwörungstheoretiker.“ Also irgendwie lustig. Irgendwie aber auch nicht.

Andererseits kann Sargnagel, die gerade ihr zweites reguläres Buch veröffentlicht hat („Fitness“), mit seltsamen Menschen und Orten ziemlich viel anfangen, ihre (meist für das Magazin „Vice“ verfassten) Reportagen vom Donauinselfest, aus dem FPÖ-Bierzelt oder vom Opernball sind aus gutem Grund legendär; es handelt sich um eigensinnige, tolle, traurige, lustige Milieustudien, die vor Wahrheit schillern. In Frankfurt war das Milieustudium leider nur sehr eingeschränkt möglich: „Ich wollte mir irgendwelche Lesungen über Frisuren oder Nägelgestaltung ansehen, aber das waren leider genau die wirklich populären Sachen, und man konnte vor lauter Leuten nix sehen.“

Ihre Facebook-Kommentare erscheinen als ungefilterte Dokumentation der Sargnagel’schen Weltwahrnehmung und -gestaltung, die auch darin besteht, die Welt erst einmal nicht verurteilen, sondern verstehen zu wollen.

Sargnagels eigentliches Hauptwerk findet aber ohnehin abseits der klassischen Formen, nicht in Magazinen oder Büchern statt; die Slackerin („Die ‚Süddeutsche’ will einen Artikel von mir, und seit einer Woche komm ich nicht dazu, dass ich ihnen absage“) kultiviert Facebook als poetischen Ort, an dem sie einen entwaffnend offenherzigen inneren und öffentlichen Monolog führt, eine heiter-melancholische Kaskade aus Beobachtungen, Gedanken, Kommentaren und „witzigen Witzen“, wie sie es selber nennt. Ihre Facebook-Kommentare (aus denen auch ihre Bücher kompiliert sind) erscheinen als ungefilterte Dokumentation der Sargnagel’schen Weltwahrnehmung und -gestaltung, die auch darin besteht, die Welt erst einmal nicht verurteilen, sondern verstehen zu wollen, einen naiven Blick zu kultivieren, der sich aber, wenn es sein muss, ganz hervorragend auch mit schneidender Kritik verträgt – sowie mit erfrischend zeitgeistsensiblen Bonmots wie diesem hier: „Ich hab so gern ein Bier in der Hand aus Penisneid.“ (Eintrag vom 29. 4. 2015). Oder diesem: „Wenn der Akku von meinem Smartphone leer ist, verliert mein Leben diese fiktive Komponente.“ (5 .6. 2014)

Man kann sich und seine gesättigte Halbwegszufriedenheit sehr gut an Stefanie Sargnagel reiben und an ihrer Art, lieber nicht halbwegs zufrieden zu sein, sondern entweder ganz oder gar nicht, und wenn ganz, dann ganz besonders: „In meinen Poren sammelt sich der Atem meines Gegenübers in der Straßenbahnlinie 6. Partikel von Augsburger und Püree dringen in mich ein und legen sich auf die Mischung aus Talg und letzter Nacht und Rauch aus dem Café Jara. Das ist wie Make-up. Es macht mich schön.“ (22. 1. 2015)

Es sind schon alles Klischees, die ich da beschreibe, aber die Klischees stimmen halt auch.

Sargnagel weigert sich konsequent, mit Vorurteilen an die Welt heranzugehen, die Menschen schon vorwegwissend zu beurteilen. Sargnagels Texte erscheinen als Alltagskurzgeschichten ohne soziales Gefälle, von denen die Autorin selbst sagt: „Es sind schon alles Klischees, die ich da beschreibe, aber die Klischees stimmen halt auch.“ Das Klischee vom perfekten Leben, zum Beispiel. Mehrfach identifiziert Sargnagel dieses in „Fitness“, freilich an Orten und Personen, denen es nicht unbedingt klischeemäßig anhaftet: Pensionistenpärchen zum Beispiel, die gemeinsam Katzenfutter einkaufen. Oder den halbstarken Burschen, die sich jeden Abend mit ihren Kumpels im Fußballkäfig am Gürtel treffen. Sich selbst wünscht die bekennende Romantikerin entsprechend Verwegenes: „Meine Familie kommt mir im Vergleich zu mir immer so normal vor. Ich wäre auch gern so normal. Keine Ahnung. Ich kenne Leute, die aus Dörfern kommen, wo alle ihr Haus bauen. Meine Freunde lehnen das total ab und finden es urspießig, aber ich denke: Eigentlich wäre ich auch gern so. So ein Wandverbau-Leben.“

Aber auch aus dem Wandverbau heraus lässt sich natürlich gegen die Garstigkeit der Menschen vorgehen. Denn es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die man halt nicht naiv betrachten kann. Man muss dann etwas sagen, zum Beispiel: dass das so nicht geht. Aber idealerweise sagt man es wie Stefanie Sargnagel, Poetin des Alltags: „HC Strache empört sich öffentlich darüber, dass Kinder in der Schule türkische Wörter lernen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich die Wählerschaft ihre Kinder an den Beinen halten, schütteln und ‚Vergessen! Vergessen!’ schreien. ‚Sog Leberkas! Schlogobas! Tschusch!’“ (2. 6. 2015)

Stefanie Sargnagel: Fitness (Redelsteiner Dahimene Edition) Buchpräsentationen: 10.11., Schauspielhaus Wien 12.12., Flex, Wien (mit Maria Hofer, Puneh Ansari und Klitclique)

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.