Stefanie Sargnagel: Hintergründe eines Literaturskandals
Vorspiel
Zum Weltfrauentag veröffentlichte die „Kronen Zeitung“ einen Artikel über die Autorinnen Maria Hofer, Lydia Haider und Stefanie Sargnagel, der mit „Saufen und Kiffen auf Kosten der Steuerzahler“ überschrieben war, verfasst von Richard Schmitt. Der „Krone“-Online-Chef bezog sich darin auf das bereits am 25. Februar im „Standard“ publizierte „Gemeinschaftstagebuch“ der Schriftstellerinnen aus Marokko, in dem von Abenden mit Dope und Wein, vom Treten einer Babykatze und von BH-befreitem Herumstolzieren vor Muslimen die Rede war. Das und die Tatsache, dass Sargnagel mit einem staatlichen Reisekostenzuschuss von 750 Euro unterwegs war, gefiel der „Kronen Zeitung“, die sich stellvertretend für ihre Leserschaft auf die Suche nach der Moral machte, gar nicht. Kaum eine Literatur beschäftigt die Massen so wie Skandalliteratur. Spätestens hier wurde die Causa zum „Fall Sargnagel“.
Der „Krone“-Artikel generiert eine neue Art von Skandal. Wer die Feinde und wer die Verbündeten sind, ist rasch klar. Die Jungen Grünen solidarisieren sich mit dem Appell „Je suis Sargnagel“, auf den virtuellen Tratsch- und Klatschplätzen wird über Pro und Contra verhandelt. Das fiebrige Meinungs-Ping-Pong führt zu Postings, in denen die Autorin mit Vergewaltigungs- und Mordfantasien bedroht wird, was wiederum den Verfassungsschutz ermitteln lässt. Die Kärntner Ausgabe der „Kronen Zeitung“ bezeichnete Sargnagel als „willig“ und veröffentlichte ihre Klagenfurter Adresse, wo die Bachmann-Publikumspreisträgerin derzeit als Stadtschreiberin gemeldet ist.
Das ist der Punkt, an dem die Posse um die halblaunige Satire einer Marokko-Erkundung ins Alarmierende kippt, jener Moment, in dem sich alte Mechanismen mit realen Drohgebärden aufladen. Um das neue Durcheinander in ein halbwegs geordnetes Verfahren zu fügen, muss man mit Literaturwissenschaftern, Interessenvertretern, Autorinnen und Autoren reden, über deren Köpfe hinweg einst mediale Debatten tobten.
Der Fall S. zeichnet sich durch Possenhaftigkeit und Brutalität, Schwatzhaftigkeit und Gereiztheit aus. „Künstler dürfen alles“, meldete sich Sargnagel via Facebook zu Wort: „Nazis dürfen nix! Humanismus! Ätschibätsch.“
Überbrüller
„Veteran“ hört er nicht gern. Gerhard Ruiss, 65, ist Schriftsteller und Interessenvertreter der österreichischen Autorenschaft. Er hat sein Büro im Keller des Wiener Literaturhauses, wo er auch seine vielen Stellungnahmen zu Allfälligem tippt. Ruiss hat auf die causa prima sofort reagiert. „Es ist schlecht bestellt um das politische, gesellschaftliche und kulturelle Klima in Österreich“, schrieb er in einer Aussendung staatstragend. In seinem Schreibkeller hat er nun Zeit, den Hergang historisch einzuordnen. „Wir befinden uns in einer Endlosschleife“, sagt Ruiss. „Das Skandalritual existiert seit den 1960er-Jahren. Es bricht Erregung mit Parteienbildung aus, wobei keinerlei Aufarbeitung stattfindet.“ Den aktuellen Ereignissen liegen retrospektiv ausgerichtete Abläufe zugrunde: „Dem Text der drei Autorinnen kann man keinerlei Sensation abgewinnen, man kann ihn mögen oder auch nicht. Löst man ihn allerdings aus seinem literarischen Kontext und überführt ihn mit dem Gestus der Anklage in die Realität – gesoffen, gekifft und gehurt wurde, und das alles auf Kosten der Steuerzahler! –, so entkleidet man ihn seiner Fiktionalität. Es bleibt ein scheinfaktischer Skandal, der nie existiert hat, weil die beschriebenen Handlungen nie gesetzt wurden.“ Der Anlass bietet die Möglichkeit, gewohnheitsmäßige Debatten abzuführen: jene der Neidgenossenschaft, der Missgunst, der Feindbilder, die Künstlerinnen und Künstler noch immer darstellen. „Das Momentum wiederholt sich: All jene, die für Recht und Ordnung, Gott und Vaterland einstehen, festigen ihre Positionen. Wem das Potenzial hoher Bürgerschreckhaftigkeit eigen ist, der wird verächtlich gemacht.“
Ruiss trat früher mit einer Wiener Politband auf. Auf der Bühne verkörperte er den Bösewicht. Er weiß, wie es sich anfühlt, mit Tomaten und faulen Eiern beworfen zu werden. „Für den besoffenen Stammtischbruder folgte auf Freitagnacht der Samstagmorgen, auf Renitenz Ernüchterung und Katzenjammer. Das Überbrüllen fand früher real statt, wenn man nach der Theaterpremiere dazu noch in der Lage war. Heute findet es losgelöst in den Untiefen des Internet statt.“
Todesdrohungen und Vergewaltigungsaufrufe gegen Künstler seien im Netz inzwischen an der Tagesordnung. „,Skandal! Steuergeldverschwendung! Schlechte Kunst!‘ Das ist der Retroteil. Das Neue daran ist, dass Menschen bedroht werden. Damit ist der Boden aller Diskurse verlassen. Diese Strafrechtstatbestände müssen sofort angezeigt werden.“ Fast wehmütig blickt Ruiss auf die Skandale um Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek zurück. „Damals wurde in großen Konflikten über Charaktere verhandelt, heute sind die Darsteller austauschbar.“
Wege der Wut
Es ist ein hübscher Zufall, Marlene Streeruwitz, 66, in der bühnengleichen Kulisse des Wiener Cafés „Heumarkt“ zu treffen. Die Schriftstellerin stand selbst öfter im Zentrum öffentlicher Wortgefechte. In der Hamburger Inszenierung eines Jelinek-Stücks wurde sie 2006 etwa als sprechende Vagina dargestellt, wogegen die Autorin vergeblich die Gerichte bemühte. „Ist das überhaupt noch ein Literaturskandal?“, fragt Streeruwitz. „Es war immer die Person, nie der Text. Ich wollte, ich wäre dafür gehasst worden, weil die Wahrheit in meinen Texten der Skandal war. So aber blieb die Auseinandersetzung immer schon bei den weiblichen Sprechverboten hängen. Es kam auf dieser Ebene nie zu inhaltlichen Auseinandersetzungen.“ Herrscht in Österreich besondere Literaturfeindlichkeit? „Autorinnen und Autoren bilden hier die letzte nicht staatlich subventionierte, über die ,Seitenblicke‘ oder Standesorganisationen gebändigte Öffentlichkeit. Da geht es um eine Ordnungsvorstellung, die den Unruhefaktor einer intellektuell-literarischen Öffentlichkeit vernichtet sehen will.“ Streeruwitz-Texte in Zeitungen und Zeitschriften generieren in Online-Foren hohe User-Beteiligungen. Die gehässigen Kommentare, die sie über sich dann lesen kann, lässt sie links liegen. „Das Medium schafft die Mittel“, sagt die Autorin. Die Wut sucht ihre eigenen Wege.
Schweigen am Berg
Anruf bei „Krone“-Journalist Richard Schmitt. Er ist in Edelweißraid, Tirol, auf 2700 Metern Seehöhe, bei einem Bundesheer-Event. „Sie brauchen mich zu Sargnagel nicht mehr anzurufen“, erklärt Schmitt. „Dazu sage ich sicher nichts.“
Die Radauforscher
Andrea Bartl und Martin Kraus lehren und arbeiten am Institut für Literaturwissenschaft der Universität Bamberg. Sie beschäftigen sich seit geraumer Zeit mit Wesen, Funktion und Arten des Literaturskandals. „Skandalautoren“, ihre Studie zu dem Thema, umfasst knapp 1000 Seiten. Martin Kraus kann der Aufregung durchaus Positives abgewinnen: „Uns Literaturwissenschaftern zeigt er, dass Literatur lebt, Biss hat. Bei allem Ärger über den uncharmanten bis ungustiösen Umgang können wir uns darüber freuen, dass Literatur relevant ist.“
Der öffentliche Furor funktioniert wie in einem fünfaktigen Drama: In der ersten Phase bahnt sich das Geschehen langsam an, dann steigert es sich explosionsartig, erreicht unversehens seinen Höhe- und zugleich Wendepunkt, um dann wieder abzuebben.
Sexualität und der Umgang mit dem Holocaust nach 1945 sind Themen, die seit Jahrzehnten besonders skandalträchtig sind. Jeder Radau um die Dichtkunst, so die Studienautoren, zeichne sich zudem durch drei Aspekte aus: Er wird von einer Einzelperson ausgelöst, nie von abstrakten Organisationen; es gibt jemanden, der sich provozieren lässt und „Skandal“ schreit, worauf ein Teil der Öffentlichkeit einsteigt. „Der Fall Sargnagel entspricht insofern dem klassischen Literaturskandal, als ihm ein Kategoriefehler beim Publikum zugrundeliegt. Es wird verkannt, dass es sich bei dem Text der Autorinnen um Satire handelt. Man kann sich schwer vorstellen, dass der ,Krone‘-Skandalisierer nicht fähig war, den Beitrag als solchen zu verstehen. Da geht es um den Unwillen zum Verständnis, um den Willen, Konflikte zuzuspitzen.“
Die Vorgangsweisen ähneln einander, auch wenn andere mediale Aggregatszustände herrschen: „Die Parallelen zum Eklat um Bernhards ,Heldenplatz‘ sind deutlich: die Rolle der ,Kronen Zeitung‘; die Empörungsbereitschaft der Rechten gegenüber einer Satire, die subtil deren Weltbild unterwandert; die vorhergehende Bekanntheit von Bernhard und Sargnagel als Querulanten; die Betonung der Steuergeldverschwendung, mit der diese ,Kunst‘ subventioniert werde, sowie die Emotionalität der Empörung.“ Bei Bernhard entlud sich diese auf der Straße als Geschrei, in Form von Transparenten und Mistfuhren. Über Sargnagel ist ein Hagel von Hasspostings hereingebrochen.
Abspann
Urs Allemann geriet 1991 beim Bachmannwettlesen mit dem Text „Babyficker“ in Verdacht. Heute will der Schweizer Schriftsteller dazu nichts mehr sagen. Er lässt ausrichten, man solle sich über Dinge, die einen kalt ließen, nicht äußern. Die Schweizer Lyrikerin Birgit Kempker hatte ebenfalls einen heiklen Kasus durchzustehen. Ihr Prosagedicht „Als ich das erste Mal mit einem Jungen im Bett lag“, in dem sich ihr damaliger Freund wiederzuerkennen glaubte, provozierte 1998 Schlagzeilengewitter und Gerichtsurteile. Die Angelegenheit, gibt sich Kempker kurz angebunden, klebe an einem – „innen und außen“.
Stefanie Sargnagel dagegen entledigt sich der Affäre im Twitter-Takt. „Ich werde mich der Marokko-Geschichte keine Sekunde länger widmen“, postete die Autorin vergangenen Mittwoch am Ende einer langen Skandalwoche, sieben Tage, nachdem Schmitts Kommentar in der „Krone“ erschienen war.
Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 12 vom 20.3.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.