Ist Amerika das „Land of Hope and Glory“?
Sargnagel
Ich kann nur sagen: Alle USA-Klischees, die man erwartet, findet man vor. Das Leben ist wie ein großer Cartoon, weil man jedes Detail schon aus den Serien und Filmen der eigenen Kindheit kennt. Es überrascht eine nichts, außer vielleicht die krasse Armut, die man so nicht erwartet. Im Mais- und Schweinezucht-Land Iowa ist es für amerikanische Verhältnisse aber halbwegs stabil.
Es bedurfte angeblich einiger Überredungskunst, Sie zu der Reise nach Iowa zu motivieren. Lieber wären Sie vor dem heimatlichen Fernseher versumpert.
Sargnagel
Ja, die Abenteuerlust verliert man mit dem Alter, man wird bequemer. Mein Job als Künstlerin ist eh abwechslungsreich, weil ich viel durch die Gegend fahren muss. In meiner Freizeit bin ich über jede Stunde regulierten, faden Alltag froh.
Sind Sie erlebnismüde?
Sargnagel
Na ja, ich habe nicht mehr die Ressourcen, mich über meine eigenen Grenzen hinweg zu bewegen. Es wird halt alles so ein bisschen fader. Das ist offenbar normal, wenn man älter wird.
Der alte Goethe wusste, dass ein gescheiter Mensch die beste Bildung auf Reisen finde. Einverstanden?
Sargnagel
Ja, auch wenn sich das Reisen selbst sehr verändert hat. Mit 18 reiste ich nach Odessa. In dem Hotel übernachteten Historiker, Ahnenforscher oder Sextouristen. Alle hatten seltsame Gründe, nach Odessa zu reisen. Mittlerweile gibt es einen individualtouristischen Reisemarkt. Es gehört immer weniger Offenheit und Neugier zum Reisen. In Moldawien erlebte ich, wie amerikanische Touristen ausschließlich über bestimmte Bewertungen sprachen. Sie brachen dann nach Tschernobyl auf wegen der vielen positiven Bewertungen. Es gibt Menschen, die sehr viel reisen – und dennoch sehr blöd sind.
Wien, wo unter einem Himmel von Schädelweh vieles passiert, wie André Heller und Helmut Qualtinger sangen, bleibt Ihre Lebensstadt.
Sargnagel
Auf jede Reise folgt in Wien komisches Versumpfen. Vielleicht wegen der Beckenlage? Womöglich ist das etwas Klimatisches? In Wien werde ich automatisch leicht trübsinnig und niedergedrückt, obwohl es mir gut geht. Trotzdem rollt diese seltsame Wien-Schwere auf einen zu.
Was durften die Studentinnen und Studenten in Iowa von Ihnen lernen?
Sargnagel
Nicht sehr viel. Ich wollte Humor unterrichten, weil ich mir dachte, das könnte ganz lustig sein. Ich wollte über Humor sprechen, dessen aktivistisches Potenzial – musste aber bald merken, dass es total langweilig ist, über Humor zu reden. Wir analysierten den Witz von Cartoons – was ebenfalls wahnsinnig fad war. Über Humor zu theoretisieren, verdirbt den Spaß.
Wie geht die Humorproduktion in Ihren Texten und Zeichnungen vor sich?
Sargnagel
Meist intuitiv, erst im Nachhinein frage ich mich, warum ich dies und jenes lustig finde, oder auch nicht. Humor entsteht oft durch ein einziges kleines Wort, das einen Text lustig macht. Ich muss mich oft abtasten, weil ich sehr grenzwertige Witze liebe, das Geschmacklose gern mag, das Harte, das wehtut. Insofern muss ich manchmal nachdenken, was die Bedeutung eines bestimmten Witzes angeht, ob sich dieser noch ausgeht. Ist er rassistisch oder macht er sich über Rassismus lustig? Solche Sachen, das muss ich zuerst auch an mir selbst überprüfen.
Wo liegt Ihre Humorgrenze?
Sargnagel
Übervorsichtigen Humor, der aufpasst, dass ja niemand beleidigt ist, mag ich nicht. Halbwegs guter Humor ist doppeldeutig. Ich finde es lustig, wenn normative Grenzen überschritten werden.
Unter einem bestimmten Niveau sollte man aber nicht lachen.
Sargnagel
Ich lache nicht leicht, weil meine Schmerzgrenze höher ist. Deshalb verbringe ich so gern Zeit mit Christiane Rösinger, weil sie mich zum Lachen bringt, weil sie sehr, sehr böse sein kann, auf gute Art. Ich brauche eine höhere Dosis als normale Humormenschen.
Die notorische Gewissensfrage lautet gegenwärtig: Darf man das? Erschwert oder erleichtert das Ihre Arbeit?
Sargnagel
Je heftiger etwas tabuisiert wird, desto wichtiger und leichter ist es, darüber Witze zu machen. Tabus bewirken, dass Menschen die ganze Zeit angespannt sind. Die Zuschauer brechen nieder, wenn man auf der Bühne all die in Beton gegossenen Verhaltensregeln und Tabuisierungen unterläuft. Sie brauchen Entlastung von den Elefanten im Raum. Damit meine ich jetzt nicht unbedingt Rassismus oder Sexismus, das ist sowieso Mainstream und keine kreative Herausforderung. Tabus sind sehr milieuabhängig.
Kann Humor ohne Provokation überhaupt funktionieren?
Sargnagel
Humor ohne Provokation? Irgendwie langweilig. Es geht auch darum, ein bisschen in Wunden zu kitzeln. Leute müssen meine Art von Humor mögen, sie dürfen nicht zu empfindlich sein.
Ihr Humor erntete wiederholt Shitstorms. Wie gehen Sie damit um?
Sargnagel
Diesbezüglich bin ich relativ ignorant. Ich bin auch hineingewachsen: Zuerst waren da Leute aus dem Bekanntenkreis, die Kommentare schickten. Erst langsam wurden die Leute nerviger, die Kommentare immer noch blöder. Inzwischen ist es nicht mehr so extrem. Diese argen Angriffe haben fast aufgehört, sowohl von links als auch von rechts. Vielleicht gibt es wichtigere Probleme.
Überhaupt kein Zores mehr mit der FPÖ?
Sargnagel
Ich kriege immer weniger Hass ab, immer weniger böse Kommentare. Menschen jenseits meiner Bubble geraten nicht mehr an mich. Selbst die FPÖ agitiert auf Facebook nicht mehr großartig gegen mich, weil sie ihre eigenen Telegram-Kanäle hat.
Ist das Internet etwa erwachsen geworden?
Sargnagel
Social Media haben sich auf jeden Fall völlig verändert. Mit gewissen Dingen mussten viele erst den Umgang lernen, zum Beispiel mit dieser völligen Hysterie beim Diskutieren. Einige Eskalationsstufen haben in meiner Wahrnehmung abgenommen. Trotzdem bleibt das Netz ein totaler Emotionsverstärker, der enorm polarisiert.
Am 17. Juni 2015, schreiben Sie in Ihrem Buch „Statusmeldungen“, seien Sie zum ersten Mal im Gemeindebau-„Zielpunkt“ als Autorin erkannt worden. Mittlerweile sind Sie prominent.
Sargnagel
Es hält sich in Grenzen, vielleicht werde ich in einem gewissen Milieu erkannt. Es ist nicht so, dass ich jeden Tag angesprochen werde. In Berlin wurde ich früher ständig angeredet. Das passiert überhaupt nicht mehr.
Irgendwas läuft falsch.
Sargnagel
Na ja, so ist es halt. Ich bin nicht mehr der neueste Scheiß. Christiane Rösinger sagt mir oft: „Gewöhn dich dran. Das nimmt alles ab.“
Würden Sie den Job der Künstlerin nach wie vor empfehlen?
Sargnagel
Ich denke mir manchmal, dass ich gern einen normalen Job hätte, einfach wegen dieser Strukturlosigkeit, mit der man umgehen können muss. Man muss sich grundlos zur Kunstproduktion motivieren, was schwer genug ist. Ich bin sehr zerstreut und muss mir Pseudostrukturen schaffen. Zum Beispiel, indem ich mich mit anderen im Café Weidinger verabrede.
Sie könnten Soldatin beim Bundesheer werden, um Struktur in Ihr Leben zu bekommen.
Sargnagel
Vielleicht wäre das was. Ich gehe aber lieber mit meiner Mutter zum Heilfasten.
Wie läuft so ein Heilfastentag ab?
Sargnagel
Das ist wie Urlaub, total entspannend. Um sechs Uhr ist Spaziergang, dann isst man seine Suppe, dann wieder Spaziergang, anschließend Gymnastik.
Wenn Sie es sich aussuchen könnten: Würden Sie lieber über Politik oder Poesie reden?
Sargnagel
Über beides nicht gern, weil ich da wie dort ein bisschen inkompetent bin. Am liebsten rede ich über mich selbst. Da kenne ich mich aus.
„Autorin, Burschenschafterin, Matriarchin, Rotkäppchen“, so ist ein Buch über Ihre Person überschrieben. Ist damit alles gesagt?
Sargnagel
Vielleicht noch „Universalgenie“.
Und was ist mit Gott?
Sargnagel
Meinetwegen: Gott auch noch.
Im Volkstheater steht aktuell ein Abend mit dem Titel „Du musst dich entscheiden!“ auf dem Spielplan. Ein paar Entscheidungsfragen deshalb zum Abschluss: Polizistin oder Verbrecherin?
Sargnagel
Verbrecherin. Weil lustiger, subversiver.
Bier oder Wein?
Sargnagel
Mittlerweile Wein.
Bourbon oder Whisky?
Sargnagel
Whisky. Ich kann aber mit beidem nichts anfangen.
Beatles oder Rolling Stones?
Sargnagel
Beatles. Fröhlicher Pop.
Peter Handke oder Thomas Bernhard?
Sargnagel
Bernhard. Weil weniger Handke.
Hund oder Katze?
Sargnagel
Katze.
Gott oder Teufel?
Sargnagel
Oh Gott, oh Gott!
Mann oder Frau?
Sargnagel
Frau. Zu oft Probleme mit Männern.
Sarg oder Urne?
Sargnagel
Urne. Wegen der bauchigen Form. Ist gemütlicher.
Zur Person
Stefanie Sargnagel wurde mit ihren lakonischen Statusmeldungen aus dem Leben einer Callcenter-Mitarbeiterin bekannt; publizierte aufsehenerregende Reportagen u. a. vom Münchner Oktoberfest; Mitglied der feministischen Burschenschaft „Hysteria“, 2017 Klagenfurter Stadtschreiberin, Romanautorin („Dicht“), Dramatikerin, Filmfigur („Sargnagel – der Film“) und Cartoonistin. Dieser Tage erscheint ihr neues Buch „Iowa. ein Ausflug nach Amerika“ (Rowohlt).