Stefanie Sargnagel: Was ich von 2020 gelernt habe
Der Corona-Lockdown fühlt sich an wie meine eigene Jugend.
Viele Menschen aus meinem Umfeld haben im Lockdown sehr viel Zeit gehabt und sind darum oft ziellos durch die Stadt strawanzt. Im Grätzl hat man ständig Freunde getroffen, Menschen, die man kennt. Mit denen ist man dann gemeinsam ratlos im Park gesessen. Das hat mich sehr an meine Jugend erinnert.
Eine Party entsteht schneller, als man glaubt.
Du triffst dich zu zweit, plötzlich bist du zu dritt, dann trinkst du zwei Bier und lädst noch einen Vierten und Fünften ein. Man muss schon stark dagegen arbeiten, wenn man das verhindern will. Am Ende muss es immer eine Person geben, die sagt: So, jetzt gehen alle heim!
Als 16-Jährige hätte ich mich nicht an die Corona-Regeln gehalten.
Ich wäre wahrscheinlich durchgedreht. Darum habe ich auch volles Verständnis, wenn sich Jugendliche nicht an die Vorgaben halten. Ein paar Monate sind in diesem Alter sehr bedeutend. Da wird dir ein wichtiges Stück Leben gestohlen. Es gibt Menschen, die mit der Kontaktreduktion besser zurechtkommen als andere. Mir ist es damit nicht so schlecht gegangen. Ich lebe in meiner kleinen Lockdown-Welt und richte meine Wohnung neu ein.
Die Subkultur wird nicht sterben.
Die Menschen werden nach Corona viel ausgehen. Sie werden feiern wollen. Überall wird man auf Menschenmassen treffen. Zumindest glaube ich das. Ich habe das Gefühl, dass viele Clubs und Veranstalter gerade noch über die Runden kommen. Aber die Existenzängste kommen näher.
Die Krise verstärkt gesellschaftliche Schieflagen.
Einerseits sollen die Menschen arbeiten gehen, andererseits möglichst wenig Leben haben. Die Prioritäten, die die Politik setzt, spiegeln unsere gesellschaftspolitische Situation wider: Es leiden vor allem die Menschen, die auch sonst benachteiligt sind.
Ein Buch zu schreiben, ist wie eine Geburt.
Ich versuche mich die ganze Zeit daran zu erinnern, wie schrecklich es war, damit ich es nicht noch einmal mache. Als Selbstschutz funktioniert das ganz gut. Ich brauche diese Leerlaufmomente, die Zeit für Blödsinn, außerdem will ich wieder mehr mit meiner Burschenschaft Hysteria machen. Es entstehen interessantere Sachen, wenn Kunst aus einem inneren Bedürfnis entsteht, und nicht, weil es dafür Geld gibt. Nur so können subversive Dinge entstehen. Man wird zu sehr korrumpiert, wenn man zu viel zusagt.
Kitsch ist eine ständige Gefahr.
Kitschig sollte mein Roman auf keinen Fall werden - das ist ganz prinzipiell meine Angst. Darum mache ich grundsätzlich lieber humoristische Sachen, da laufe ich nicht so schnell Gefahr, pathetisch zu werden. Aber ich spare nichts aus. In "Dicht" kommen auch Übergriffe und Depressionen vor. Ein wenig naiv darf die Sache aber schon sein.
Mit der Reichweite steigt die Verantwortung.
In den letzten Jahren bin ich politisch korrekter geworden. Als Künstlerin, die im Kulturbetrieb angekommen ist und gut verdient, macht man nicht die gleichen Witze wie jemand, der im Call-Center arbeitet, von 600 Euro im Monat lebt und dabei ständig betrunken ist.
Twitter funktioniert am besten, wenn man selbst nicht mitliest.
Blöde Online-Kommentare regen mich heute kaum noch auf, auch die Nervensägen ignoriere ich. Andere Tweets oder Nachrichten lese ich kaum noch, auf Diskussionen lasse ich mich nicht ein. Auf Twitter führe ich mittlerweile einen Monolog. Vielleicht habe ich die Nerven dafür nicht mehr. Oder ich bin altersmilde.
Die Wiener Autorin Stefanie Sargnagel, 34, wurde mit inspirierten Tagebuch-und Facebook-Einträgen bekannt, die später auch in Buchform veröffentlicht wurden ("Binge Living", "Fitness", "Statusmeldungen"). Sie studierte bei Daniel Richter an der Akademie der bildenden Künste, 2016 gewann sie beim Bachmannpreis den Publikumspreis. Zuletzt erschien der autobiografische Roman "Dicht"(Rowohlt Verlag), in dem Sargnagel von ihrer Jugend zwischen Kiffer-WG und Schulrebellion im Wien der Nullerjahre erzählt.