Stoffwechsel: Die schwierige Restaurierung von fragilen Werken
Kann man sich einen profaneren Gegenstand vorstellen als einen Plastikkübel? Geht er kaputt, kauft man einen neuen – kostet schließlich so gut wie nichts. Der grüne Eimer, der auf Sabina Simonics Arbeitstisch liegt, ist allerdings ein ganz besonderes Exemplar. Denn er hängt üblicherweise als Lampenschirm über einer Glühbirne – ein Werk von Franz West aus dem Besitz des Galeristen Philipp Konzett. Die junge Frau studiert Restaurierung an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Sie überlegt gerade, wie sie den Riss, der sich über den Boden des Objekts zieht, abdecken und stabilisieren könnte – am besten so, dass möglichst wenig davon zu sehen ist. Eine knifflige Aufgabe.
Beschränkten sich die Künstler vergangener Epochen auf ein limitiertes Arsenal an Techniken, kann heute schlichtweg jedes Material zur Kunstproduktion verwendet werden. Das Terrain der Restauratoren hat sich deshalb zusehends ausgedehnt. Wie sorgt man etwa dafür, dass ein Porträtkopf aus gefrorener Kokosmilch nicht schmilzt? Wie sichert man aufgeplatzte Kondome? Wie kann verhindert werden, dass Schaumstoff zerbröselt oder ein Baumstamm seine Rinde verliert? Was tut man mit schimmelnden Bildern? Und wie geht man vor, wenn sich Schokoladeskulpturen zersetzen?
Eines wird schnell klar, wenn man die Ärzte der Gegenwartskunst in ihren Werkstätten und Depots besucht: Nach Lehrplan können sie kaum vorgehen. Denn so unterschiedlich die Materialien sind, aus denen Kunst bestehen kann, so vielfältig sind die zu ergreifenden Maßnahmen. Und häufig weiß man noch gar nicht, wie man mit bestimmten Werkstoffen am besten arbeitet, wenn ein desolates Kunstwerk zur Restaurierung kommt. Seit den 1960er-Jahren werden kunstfremde Materialien verwendet. Oft sind keine Informationen über deren chemische Zusammensetzung überliefert. „Viele Werkstoffe sind eigentlich nicht als Künstlermaterial entwickelt worden und alles andere als langlebig“, sagt die Chefrestauratorin des Wiener Museums moderner Kunst (Mumok), Christina Hierl. „Wir können daher nicht nach einem bestimmten Schema vorgehen.“
An die beiden Wiener Universitätsinstitute treten Sammler, Künstler oder Galeristen oft mit der Bitte heran, Kunstwerke zu restaurieren.
In ihrer Werkstatt werden schon mal Eier, Nudeln oder Schaumstoff behandelt. Aus letzterem Material besteht etwa ein Objekt des Italieners Piero Gilardi aus dem Jahr 1966, das ein Flussbett darstellt und derzeit in der Ausstellung „Blühendes Gift“ zu sehen ist. Ohne Eingriff würde es eines Tages förmlich zerbröseln; Verfallserscheinungen machten sich schon bemerkbar. Daher musste es gefestigt werden. Das entsprechende Mittel wurde mittels eines Ultraschallverneblers zerstöbt, sodass winzige Tröpfchen davon in das Gefüge eindringen konnten. Zu viel davon darf allerdings nicht verwendet werden, drohen sich sonst doch Glanz und Farbton des Objektes zu verändern.
Wie viel Fingerspitzengefühl die Arbeit mit derart ephemerem Material verlangt, zeigte sich auch in der vorvergangenen Woche, als die Wiener Universität für angewandte Kunst in ihrem neu eröffneten Depot einen restaurierten Baum präsentierte. Kunst-Guru Joseph Beuys hatte ihn einst im Vorgarten der Uni eingegraben (siehe Kasten am Ende). Die Pflanze war längst verdorrt; dennoch wollte man sie erhalten. Ein Fall für Eva Putzgruber, die am hauseigenen Restaurierungs-Institut lehrt. Einer ihrer Studenten, Julian Cech, kümmerte sich um den Patienten. Mit leuchtenden Augen erzählt der lebhafte junge Mann davon, wie er die mikroskopischen Wurzelteilchen der Eiche mit winzigen Seidenfädchen befestigte, abstehende Rindenschollen mit einem Zellulose-Derivat konsolidierte, mit Spritze und Sprühdose zu Werke ging. Ein Semester lang beschäftigte ihn die Eiche.
An die beiden Wiener Universitätsinstitute treten Sammler, Künstler oder Galeristen oft mit der Bitte heran, Kunstwerke zu restaurieren. Auch die Akademie der bildenden Künste am Schillerplatz ist mit solchen Aufträgen gut ausgelastet. 2005 wurde dort der Lehrstuhl für Konservierung und Restaurierung von moderner und zeitgenössischer Kunst gegründet. Dessen Leiterin heißt Gerda Kaltenbruner. In der Werkstatt, in der sie unterrichtet, arbeiten fast nur Frauen; überhaupt scheint die Restaurierung eine weibliche Domäne zu sein.
Gegenüber von Simonic, die Wests Stehlampe verarztet, erforscht gerade ihre Kollegin Lisa Herold, eine quirlige Studentin in Latzhose, einen ähnlich ungewöhnlichen Pflegefall – ein Werk der Wienerin Renate Bertlmann. In einem Koffer liegen Dildos aus Schaumstoff, kombiniert mit Klingen und überzogen mit Kondomen. Diese wiederum sind geschmückt mit allerlei Pailletten und schimmernden Farben. Das Problem: Das Latex der Kondome wurde spröde, bildete Risse und blättert nun teilweise ab. Zudem scheint es sich durch den Kontakt mit dem Metall der Dekoration zu zersetzen. An einer Lösung tüfteln die Expertinnen noch.
Wer die Gegenwartskunst gegen den Zahn der Zeit verteidigen muss, ersinnt ständig neue Verklebungs- und Festigungsmethoden, erarbeitet Reinigungs- und Montagetechniken, experimentiert und erfindet.
Glücklicherweise können sie, was Kunststoff betrifft, mittlerweile auf Erfahrungswerte zurückgreifen. Eine Vitrine, die in dem hohen Raum hängt, gibt davon einen guten Eindruck. Wüsste man nicht, worum es sich hier handelt, könnte man die Ansammlung für ein unkonventionelles Flohmarkt-Offert halten. In Marmeladegläsern kullern bunte Plastikkristalle, schlängelt sich eine überdimensionale rosa Schaumstoffzunge, drängen sich winzige Folienstückchen aneinander. Auch eine Reihe von Polyurethan-Hasen in unterschiedlichen Farben, einen transparenten Löffel aus Acrylglas, verschrumpelte Sauger von Fläschchen und einen blauen Spielkegel gibt es hier: Material für Langzeitbeobachtungen und Tests.
Wer die Gegenwartskunst gegen den Zahn der Zeit verteidigen muss, ersinnt ständig neue Verklebungs- und Festigungsmethoden, erarbeitet Reinigungs- und Montagetechniken, experimentiert und erfindet. Wenn Kaltenbruner davon berichtet, wie sie und ihre Studierenden ihre Probleme angehen, kommt man sich bisweilen vor wie in der Werkstatt von Daniel Düsentrieb. So erzählt sie von den Plastilinbildern der Künstlergruppe Gelitin. Die bunte Knete lässt sich leicht formen, hat allerdings die unangenehme Eigenschaft, einen öligen Film auszubilden und leicht zu verstauben. Man benützte ein eigens für diesen Zweck adaptiertes Gel:„ Dieses trugen wir auf der Oberfläche auf. So konnte der Staub eingebunden und mit dem Gel wieder abgezogen werden. Auch der ölige Film war damit zu reduzieren“, erzählt Kaltenbruner.
Unweit des Schillerplatzes nimmt Kaltenbruners Kollegin von der Angewandten, Eva Putzgruber, eine rosa Scheibe aus Epoxidharz in die Hand. Prompt springen mehrere Teile ab. „Macht nichts, wir haben noch viele davon“, sagt sie und zeigt auf ähnliche Teile, die auf einem Gerüst liegen. Ihre Studentin Marina Parić arbeitet gerade an einer Skulptur von Franz West, die im Flakturm des Arenbergparks lagert. Hier hat das Museum für angewandte Kunst (MAK) sein Depot für Gegenwartskunst. Eines der Prunkstücke ist ein Maserati, den West 2001 mit quietschrosa Epoxidharz übergoss. Später bildeten sich allerdings zwischen der Farbschicht und dem Fensterglas Hohlräume, die eingedrückt wurden – ganze Schollen brachen heraus. Jetzt wölben sich die Kanten gefährlich auf und müssen gefestigt werden. Voraussichtlich werden dafür Plättchen mit Acrylharz verwendet, die in den winzigen Raum zwischen Farbe und Glas geschoben werden. „Das ist nur die erste Idee. Wir müssen dazu noch Tests machen“, relativiert Putzgruber.
Eines steht fest: Kaum jemand setzt sich so intensiv mit einem Kunstwerk auseinander wie die Restauratoren. Wenn sie ihre meist monatelange Arbeit abgeschlossen haben, ist niemand so gut wie sie damit vertraut – häufig nicht einmal die Künstler selbst, die über Zusammensetzung und Wirksamkeit der einzelnen Komponenten manchmal kaum Bescheid wissen. „Manche machen sich wenig Gedanken über das Material, das sie verwenden“, erzählt Putzgruber: „Oft wird dieser Aspekt eines Werks erst dann wichtig, wenn es verkauft wird.“ Viel Zeit verbringen die Restauratoren überdies damit, die Intentionen des Künstlers zu eruieren. Ausführliche Interview-Leitfäden helfen dabei.
Aber was tun, wenn der Künstler schon verstorben ist, so wie im Fall von Franz West? Putzgruber und Studentin Parić stehen aktuell vor der Frage, ob sie den rosa Lack auf seinem Maserati nicht nur mit Pinsel und Staubsauger, sondern auch feucht reinigen sollten. „Wenn wir das machen, erscheint die Farbe viel frischer als der Rest des Autos“, sagt Putzgruber. „wir wissen nicht, ob das in Wests Sinn gewesen wäre. Daher werden wir uns mit der Stiftung beraten.“ Entscheidungen wie diese trifft keiner allein. „Oft sitzen wir in Gruppen zusammen und diskutieren darüber, wie die konservatorischen Maßnahmen mit der künstlerischen Intention in Einklang zu bringen wären“, erzählt Gerda Kaltenbruner.
Wir Restauratoren und Restauratorinnen fungieren zuweilen als Anwälte des Kunstwerks (Gerda Kaltenbruner)
Bei den Schimmelskulpturen des ebenfalls bereits verstorbenen Dieter Roth ist die Problemlage dagegen vergleichsweise klar. Der Deutsche baute diverse Objekte aus Essbarem, vor allem aus Schokolade. Das Mumok besitzt einige solcher Arbeiten. Chefrestauratorin Hierl zeigt Fotos von Roths „Gartenzwerg als Eichhörnchenfutterplastik“, entstanden 1969. Lugt bei einer älteren Abbildung noch die Zipfelmütze des Gartenzwergs aus einem Schoko-Zylinder heraus, so wird später schon mehr von der Kitschfigur sichtbar, hat sich die Süßware doch schon teilweise zersetzt. Ebendiesen Verfallsprozess wollte Roth freilich sichtbar machen. Insofern ist diese Entwicklung ganz in seinem Sinn. Der Alterungsprozess einer solchen Arbeit könne aber durch gute Lagerung und möglichst wenig Bewegung verzögert werden, erklärt Hierl. Ihre Aufgabe kann freilich auch darin bestehen, nicht das Kunstwerk, sondern dessen Umgebung zu schützen. Wenn Roths Schimmelbilder unter bestimmten klimatischen Bedingungen gelagert werden, dann könnte der Schimmel wieder zu wachsen beginnen. Unter musealen Bedingungen ist diese Gefahr gebannt; dennoch schweißt man diese Werke, als zusätzlichen Schutz, in Folie ein.
Mit der Frage der Lagerung müssen sich Restauratoren von Gegenwartskunst bisweilen besonders intensiv befassen, ebenso wie mit jener des Transports und der Präsentation. Würde man etwa den Beuys-Baum, dieses Relikt aus der Angewandten, einfach in eine Vitrine legen, verlöre er bald weitere Teilchen. So wurde eine Konstruktion gebaut, die den drei Meter langen Stamm trägt, abgedämpft durch Schaumstoffringe. Um einiges komplizierter gestaltete sich der Umgang mit der Arbeit „The Origin of Species“, die der Brit-Art-Künstler Marc Quinn 1993 schuf: ein skulpturales Selbstporträt aus gefrorener Kokosmilch, das 1999 von Karlheinz Essl angekauft wurde. Ähnliche Skulpturen Quinns – er goss auch Selbstporträtköpfe aus Eigenblut – sind längst geschmolzen. Als das Werk 1999 erstmals im Museum des Sammlers ausgestellt wurde, drohte ihm dasselbe Schicksal: Die Temperatur in der Kühlkiste, in der es für die Präsentation angeliefert worden war, stieg plötzlich über den Gefrierpunkt: ein konservatorisches Horrorszenario. Unter erheblichen Anstrengungen wurde das Kühlaggregat repariert.
Als das Werk 2007 ein zweites Mal präsentiert wurde, traf Chefrestauratorin Ute Kannengießer ausgeklügelte Sicherheitsmaßnahmen. Sie schulte alle betroffenen Mitarbeiter – Aufseher, Depothelfer, Empfangs- und Security-Personal ein, stellte für sie einen Notfallplan sowie das eventuell nötige Zubehör bereit, verteilte ein Organigramm, auf dem Namen aller Ansprechpartner und Telefonnummern verzeichnet waren. Heute lagert der Eisschädel in einer Tiefkühltruhe. Sollte aus irgendwelchen Gründen die Temperatur steigen, schlägt sofort ein Alarm an und eine Reaktionskette setzt sich in Gang – egal, wie spät es gerade ist.
„Wir Restauratoren und Restauratorinnen fungieren zuweilen als Anwälte des Kunstwerks“, umreißt Gerda Kaltenbruner ihr Arbeitsethos. „Wir schreiben auch an ihrer Biografie mit.“ Im Idealfall bleiben ihre Anstrengungen freilich unsichtbar. Kreativität, Fingerspitzengefühl, Geduld und Leidenschaft sind notwendig, um Kunst in perfektem Zustand zu präsentieren: Daran denken Museumsbesucher allerdings kaum je, wenn sie an einem Schaumstoff-Flussbett oder einer Plastikkübel-Skulptur vorbeischlendern.
Infobox: Eiche im Keller
1983 pflanzte der Kunstschamane Joseph Beuys vier Bäume in Wien. Einer davon überdauerte im Keller – dank eines umsichtigen Hauswarts.
Das Podium war prominent besetzt: Am 27. Jänner 1983 diskutierte der Künstler Joseph Beuys an der Wiener Hochschule für Angewandte Kunst (heute: Universität für angewandte Kunst) mit dem damaligen Rektor Oswald Oberhuber, dem Wiener Vizebürgermeister Erhard Busek, dem späteren documenta-Chef Jan Hoet und Josef Cap, der damals Vorsitzender der sozialistischen Jugend Österreichs war. Schlichter Titel der Debatte: „Bäume“. Der aufsehenerregendere Teil der Veranstaltung ereignete sich allerdings schon vor der gut besuchten Diskussion: Da pflanzte Beuys, dem man Jahre zuvor vergeblich eine Professur angetragen hatte, gemeinsam mit Oberhuber vier Bäume vor dem Gebäude am Ring. Die Aktion knüpfte an die „7000 Eichen“ des Kunstschamanen an, das berühmte „Stadtverwaldungs“-Projekt in der documenta-Stadt Kassel. Was dort funktionierte, schlug in Wien jedoch fehl: Die Bäumchen verdorrten, nur eines blieb schließlich übrig – und der Hauswart Karl Sekora wurde angewiesen, es zu entsorgen. „Ich hatte aber das Gefühl, dass ich ihn doch aufheben sollte“, erinnerte er sich später in einem E-Mail an Patrick Werkner, den Leiter der Sammlungen der Angewandten. Daher deponierte der umsichtige Sekora die Eiche im Keller der Kunsthochschule, wo sie die Jahrzehnte überdauerte. Zwar sei der „Beuys-Baum“ kein „vom Künstler autorisiertes Werk“, schreibt Werkner in einem Essay über die Aktion, dennoch sei er „bestens geeignet, an die verschiedenen Beuys’schen Baum-Aktionen zu erinnern, aber auch an die experimentierfreudige Rektoratszeit von Oswald Oberhuber“.