Swiftie vs. Boomer-Skeptikerin

Gefangen im Lavendelnebel

Swifties sind nicht nur Fans, sondern eine Religionsgemeinschaft. Aber warum?

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Der ekstatische Hype im Vorfeld zu Taylor Swifts eben erschienenem Studioalbum „The Tortured Poets Department” wirft die Frage nach dem Warum auf. Ein Schlagabtausch zwischen einer glühenden Swiftie und einer Boomer-Skeptikerin.

Nach der Inhalation der „Eras“-Konzertdoku bin ich dem Rätsel etwas näher gekommen. Davor war viel „Blank Space“, so auch ein Songtitel, was die aktuelle Autokratie von Taylor Swift in der Popkultur betrifft: Wie lässt sich die weltweite Obsession mit dieser „Barbie dolorosa“, die, bewaffnet mit einer Gitarre und einem streng ausgemalten Kirschmund, aus dem eine hübsche, aber nicht überwältigende und schon gar nicht sonderlich markante Stimme mainstreamgerecht perlt, erklären? Die dazugehörige Show ist so, wie Taylor trällert: von antiseptischer Perfektion. Irgendwo zwischen einem MGM-Musical aus den 1940ern und Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“, mit einem Schuss Peter-Alexander-Primetime, wobei Fräulein Swifts Tanzeinlagen (im Vergleich zu jenen von Beyoncé, Rihanna oder der frühen Madonna) fast ein bisschen hölzern anmuten. Alles so brav wie bombastisch, trotz glitzerndem Las-Vegas-Badeanzug und silbernen Overknees flirrt hier kein Quäntchen lasziver Dreck. Drogenkonsum-Verdacht: maximal Matetee und Melatonin bei Langstreckenflügen.

Unter normalen Umständen könnte man das Phänomen in der Kategorie biederes, emsiges Popsternchen, das abends mit ziemlicher Sicherheit die Teddybär-Armee auf ihrer geblümten Bettüberdecke liebevoll aufschüttelt und danach in ihrem „Journal of Gratitude“ ein paar Eintragungen macht, also trotz all der Zillionen an Follower:innen, Streams und Preisen, komplett auf dem Boden geblieben ist, ablegen. Ähnlich wie Britney Spears vor 20 Jahren, ehe sie sich vor den Augen der Welt eine Glatze scheren ließ. Die Kameraeinstellungen auf die Swiftie-Gesichter zeigen jedoch mehr als klassische Fanhysterie: ekstatische Verzückung. Wir befinden uns nicht nur in einem mit 70.000 Zuschauern gefüllten Stadion in Los Angeles und gewissermaßen im Altarraum der Church of Taylor, sondern auch in einem gigantomanischen Spätjugendzimmer. Taylors mit sanftem Empowerment und friedlichem Feminismus unterfütterte Balladen signalisieren der mit Freundschaftsbändchen gepimpten Girlie-Crowd: „Auch du kannst es schaffen und musst dabei deine gute Laune nicht verlieren.“ Sie eröffnet den „Soulmate-Vibe“, so der Terminus Swifticus, mit „Cruel Summer“, einem ihrer stärksten Songs, der auch prächtige Poesie wie „Devils roll the dice, angels roll their eyes“ auffährt, und weiß, dass sie damit in die von toxischen Beziehungen vernarbten Herzen ihrer Jüngerinnen zielt.

Die Lichtgestalten jeder Popepoche sind seit jeher die verlässlichsten Seismografen für den gesellschaftlichen Zustand ihrer Zeit. Während in den vergangenen Jahrzehnten Pop als Ausdruckslabor für Rebellion und Rausch (von Jimi Hendrix bis Amy Winehouse) sowie dem Drang zum Gesamtkunstwerk (Bowie, Madonna, Lady Gaga) diente, verspricht die Rose aus Pennsylvania Stabilität, Selbstbestimmung, lustig lackierte Zehennägel und nahezu rührendes Spießertum. Und fungiert somit als Bollwerk gegen eine aus den Fugen geratene Gegenwart, die ganz offensichtlich den „Lavender Haze“ (so ein Songtitel) dringend als Schmerznarkotikum braucht. Wenn Taylor unser dann auch noch einen „Cruel Autumn“ verhindert und die Anti-Trump-Stimmung beflügelt, soll sie den Planeten fröhlich weiter benebeln. Vielleicht kann sie ja mithilfe ihres Redneck-American-Football-Babe Travis Kelce noch ein paar Trumpioten umerziehen. Amen!

Anders als Angelika Hager sieht es Swiftie und profil-Redakteurin Eva Sager. Ihren Text können Sie hier lesen:

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort