You need to calm down!
Der ekstatische Hype im Vorfeld zu Taylor Swifts eben erschienenem Studioalbum „The Tortured Poets Department” wirft die Frage nach dem Warum auf. Ein Schlagabtausch zwischen einer glühenden Swiftie und einer Boomer-Skeptikerin.
Wenn es mittelalten weißen Männern (und meiner Arbeitskollegin Lena Leibets-eder) nicht gut geht, melden sie sich für einen Marathon an oder wollen einem erklären, wie guter Rotwein zu schmecken hat. Wenn es mir nicht gut geht, öffne ich YouTube und schaue die Welttournee von Taylor Swift zu ihrem Album „1989“ an. Über zwei Stunden dauert das Konzert, blaue Lasershow, blaue Miniröcke, Tänzer in zerrissenen blauen Jeanshosen. Es ist so 2015, dass es wehtut – ich liebe alles daran. Mittlerweile kann ich die ganze Show auswendig: Taylors theatralische Song-Ansagen, ihre schlechten Tanzeinlagen, ich weiß, wann sie ihren Bob herumwirbelt oder die 70.000 „Swifties“ besonders laut kreischen. Taylor Swift macht mir gute Laune.
So einfach darf es aber nicht sein. Als „Swiftie“ gerät man früher oder später in Erklärungsnot. Warum finden die alle so toll? Warum ist die so erfolgreich? Warum hört ihr nicht Jazz und indischen Raga, wie es das „Zeit“-Feuilleton empfohlen hat? Man stellt fest, in Sachen Swift reicht der eigene Geschmack als Begründung längst nicht mehr aus, es braucht ein ganzes Manifest an kapitalistischer/feministischer/musikgeschichtlicher Auseinandersetzung, um sich „Out of the Woods“ beim DJ wünschen zu dürfen.
Nun, ich versuche es trotzdem. Dafür müssen wir aber zurück zur „1989 World Tour“. „1989“ war Swifts fünftes Studioalbum, eine Pop-Explosion. Mindestens einen Song haben Sie sicher schon einmal gehört, schätzungsweise „Blank Space“, höchstwahrscheinlich kennen Sie aber fast alle. Bis heute ist „1989“ meine absolute Swift-Lieblings-Ära. Die Amerikanerin wechselt regelmäßig das Genre, erfindet ihre ganze Marke neu, schreibt zuerst über sich und ihr Liebesleben und am nächsten Album plötzlich nur mehr über fiktive Charaktere. Sie kann eigentlich alles, am besten ist sie trotzdem, wenn sie Pop macht. Da ist sie so erfrischend unironisch, alles ist grundehrlich, eben auch ein bisschen peinlich, etwas für Leute, die in der Schule das Freifach „Darstellendes Spiel“ besucht haben – Leute wie mich.
Vielleicht kennen Sie das Gefühl, wenn Sie mit Freundinnen aus Kindheitstagen so fest lachen müssen, dass Ihnen der Bauch wehtut. Mit denen geht das meistens am besten. Auf TikTok nennt man das: „We were girls together“ („Wir waren zusammen Mädchen“) – miteinander erwachsen zu werden, gemeinsam jung zu sein, lächerlich laut zu kichern, sich für nichts und alles gleichzeitig zu schämen. Die „1989 World Tour“ macht ungefähr das mit mir. Von ihr bekomme ich gute Laune, dann bin ich ausnahmsweise für ein paar Minuten frei von Ironie.
Natürlich ist mir klar: Das ist nicht bei allen so. Muss es ja auch nicht. Diese Obsession mit dem „Phänomen“ der „Swifties“ ist mir sowieso unbegreiflich. Seit wann muss ich zu einem Ö1-Greatest-Hits-Boomer-Gremium, um meinen Musikgeschmack zu verifizieren? Ich will mir doch nur „Out of the Woods“ beim DJ wünschen.