T. C. Boyles brisante Amerika-Abrechnung "Hart auf hart"

T. C. Boyles brisante Amerika-Abrechnung "Hart auf hart"

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Oklahoma City, April 1995. Timothy McVeigh verübt einen Bombenanschlag auf ein Regierungsgebäude. 168 Menschen sterben. Austin, Februar 2010. Andrew Stack, ebenfalls Anhänger regierungsfeindlicher Ideologien, lenkt sein Sportflugzeug in einen Bau der Steuerbehörde. Ein Mitarbeiter und der Attentäter kommen zu Tode. "Gewalt ist die einzige Lösung“, schreibt Stack in seinem sechsseitigen Abschiedsbrief.

US-Bundesstaat Arkansas, Mai 2010. Der Extremist Jerry Kane erschießt bei einer Verkehrskontrolle zwei Polizisten. Zuvor hatte Kane nach einer KFZ-Inspektion durch die Behörde über den "Nazi-Checkpoint“ geklagt und gedroht, er werde "das Monster umbringen“.

"Schleimige Heil-Hitler-Polizeistaat-Scheiße"

Für Adam, 25, und Sara, 40, sind diese Staatsfeinde Idole. Sara will zu jenem Wohnwagenpark nahe der Route 66 pilgern, in dem Bombenbauer McVeigh eine Zeit lang lebte - und sie flucht über die "schleimige Heil-Hitler-Polizeistaat-Scheiße, die Jerry Kane zum Verhängnis“ geworden war. Adam belässt es nicht bei Worten. Er rasiert sich den Schädel und mutiert zum einsamen Waldläufer, zum Sonderling mit Sturmgewehr, zur Ein-Mann-Armee. Kampfanzug, Nachtsichtbrille, schwarze Striche unter den Augen, wie ein enragierter Footballspieler.

"Er war ein Junge, der Krieg spielte“, schreibt US-Autor Thomas Coraghessan Boyle, 66, in seinem jüngsten Roman "Hart auf hart“, seinem besten seit Langem. Adam und Sara sind zwei Eigenbrötler, die sich in der kalifornischen Provinz der Gegenwart radikalisieren, zwei Figuren aus einem Stück Fiktion, das nun auf Deutsch erscheint - und, als verlegerischer Sonderfall, erst Ende März im englischsprachigen Original.

Fanatisierte Heimatschützer

Die militanten Milizen und rechtsradikalen Gruppen im eigenen Land stellen seit Jahren ein wachsendes Risiko für den inneren Zusammenhalt der USA dar. Die gemeinnützige Bürgerrechtsorganisation SPLC zählt aktuell über 930 sogenannte "hate groups“ in ganz Amerika; seit 2000 sei die Zahl der regierungsfeindlichen Organisationen, beflügelt von Wirtschaftskrise und dem Feindbild eines dunkelhäutigen Präsidenten, um 56 Prozent gestiegen. Die "New York Times“ machte in den fanatisierten Heimatschützern, welche die Vorherrschaft der Weißen bedroht sehen und gegen Menschen anderer Hautfarbe und Kulturkreise mit den Mitteln kruder Verschwörungstheorien propagieren, kürzlich die "Achse der Besessenen und Gestörten“ aus. "Hart auf hart“ taucht in das Sammelbecken dieser wütenden, verbitterten Außenseiter tief ein.

Die todbringenden Folgen der politischen Verblendung und Verdummung konstatiert Boyle wie nebenbei. Er versucht, mit Adam als exemplarischem Fall, das langsame Abdriften in den ideologischen Wahn zu rekonstruieren - in einem großen amerikanischen Roman, der kein gutes Haar am Amerika des 21. Jahrhunderts lässt. "Hart auf hart“ ist eine Reise in die Abgründe eines politisch versteinerten Landes. Boyle sammelt Symptome und katalogisiert das gesellschaftspolitische Inventar - und gelangt zu düsteren Prognosen.

Kochen, Essen, Geschirrspülen, Wäschewaschen

Seine in zahllosen Romanen perfektionierte Methode des Schreibens kommt Boyle dabei zugute. Nahezu zwanghaft widmet sich der Autor auch in "Hart auf hart“ jenen kleinen Dingen, aus denen ein Leben, jedermanns Leben besteht: Kochen, Essen, Geschirrspülen, Wäschewaschen, den Dreck von den Schuhsohlen schlagen. Niemand wird über Nacht zum Terroristen. Es sind, so Boyles Botschaft, die schleichenden und alltäglichen Prozesse, die zu Gewalt und Frustration führen, die aus flegelhaften, dickköpfigen Schülern Amokläufer machen. Für die weißen Wohlstandsverlierer sind Polizisten Männer in Halloweenverkleidung, "Handlanger der Illegitimen Regierung des Amerikas der Konzerne“. Der staatlich finanzierte Rundfunk sendet "linke Kommunistenscheiße“, die Labyrinthe der Steuergesetzgebung dienen der Verschleierung und Desinformation.

Sara träumt davon, Brandbomben in Polizeiwachen zu schleudern. "Der Staat Kalifornien war kein Ort mehr, wo sie leben wollte. Es war ein Gouvernantenstaat - abgesehen vom Atmen war alles, was man tat, reguliert bis zum Gehtnichtmehr, und an jeder Straßenecke und jedem Eingang zu jedem Park hing eine kilometerlange Liste von Verboten. Auf der Straße zu rauchen, war verboten. Es war verboten, den Wagen über Nacht auf einem Parkplatz stehen zu lassen, es war verboten, den Brückenzoll für die Golden Gate Bridge bar zu bezahlen, und nicht mal im Internet konnte man irgendwas kaufen, ohne dass die Mehrwertsteuernazis einem zusätzlich was abknöpften.“

Adams Vater, ein ehemaliger Marine, ein harter, cholerischer Mann, wird als Held gefeiert, weil er in Costa Rica während einer Urlaubsreise einen Strauchdieb mit bloßen Händen erdrosselt. Die ortsansässigen Behörden, verkündet der Tourist nach der Tat, könnten ihn "am Arsch lecken“. Zu Hause bekommt der Vater, befreit von jeder juristischen Verfolgung, Drinks spendiert. Daumen hoch. "Wie hatten die Wikinger ihre wildesten Kämpfer genannt?“, kommentiert Boyle: "Berserker. Sie kannten keine Flucht. Sie rasteten aus, und auf dem Schlachtfeld verwandelten sie sich in reine, blinde Wut.“ Bald gelangt Adam zu der Überzeugung, dass "letztlich alles in seinem Leben Scheiße und nichts als Scheiße“ sei.

Das ist eine jener Säulen, auf denen das aller Illusion beraubte Weltbild Adams ruht: Politik dechiffriert er als Bedrohung, als Geheimlehre einer Macht, die es zu bekämpfen gilt, mit allen Mitteln. Die Skandale des Politischen bündeln sich für ihn in Regierungsbeamten, den modernen Lohnsklaven und Lakaien, in der Polizei, der Privatarmee der Mächtigen, in den Mittelsmännern der Steuerbehörden und Verwaltungsämter. Im Land der Gleichheit und Gerechtigkeit herrscht kollektive Paranoia. Die Bürger fürchten um ihre gepflegten Vorgärten. Immigranten werden anstandslos als Mitglieder von Drogenkartellen identifiziert. Müllberge im Wald evozieren Zornausbrüche. "Das hier ist Amerika, du Scheißkerl“, rastet Adams Vater gegenüber einem Mexikaner aus, die Moral auf seiner Seite: "Er sah Schuld. Er sah den Abschaum der Welt.“

Es gab auf der Welt keine Unabhängigkeit mehr. Nur noch Abhängigkeit, der Himmel war wie eine Wunde, und alles hatte ein Preisschild.

Es ist nur folgerichtig, dass auch Adam langsam die Maßstäbe verrutschen; er versteht sich bald als Sendbote des Untergangs. Männer wie er haben nichts zu gewinnen und deshalb auch nichts zu verlieren. Dieses Dilemma gehört für Boyle dazu, wie die Tristesse eines durch Hyperkonsum wattierten Wohlstandslebens, das nur noch die eigenen Mythen von Freiheit und Demokratie reproduziert. Wir waren das Land der Freien, die Heimat der Tapferen. Alles lange her. Gelebt wird die traurige Travestie von Normalität und Zufriedenheit: "Es gab auf der Welt keine mehr“, schreibt T. C. Boyle. "Nur noch Abhängigkeit, und die Tiere starben, der Himmel war wie eine Wunde, und alles hatte ein Preisschild.“

Keine Hoffnung, nirgends. Adams Angriff auf die amerikanische Lebensart bringt für kurze Zeit Unruhe in die Provinz. Für die Jagd auf den Attentäter wird der Wald mit den berühmten Riesenmammutbäumen für Touristen gesperrt. Der Zug mit dem Cartoon-Stinktier-Logo stellt seinen Betrieb vorübergehend ein. Die Männer des Orts, hautnah mit dem Zündstoff der rechten Gewalt konfrontiert, sammeln sich auf den Straßen. Dann machen sie sich auf den Weg in ihre Häuser und Wohnungen, in ein trübes Utopia, "zu ihren Fernbedienungen und ihren fetten Frauen und fetten Kindern und fetten Hunden“.

T. C. Boyle: Hart auf hart. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Hanser, 396 S., EUR 23,60

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.