Spielarten des Widerstands werden ganz hinten in den Giardini, wo Österreichs Pavillon thront, von einer Künstlerin orchestriert, die par excellence die Biografie einer „Fremden“ im Sinne des diesjährigen Biennale-Mottos aufweist. Die im sowjetischen Leningrad geborene Anna Jermolaewa, 54, hat den Austro-Pavillon heuer gemeinsam mit der Kuratorin Gabriele Spindler konzipiert. Aus fünf Installationen, je einer für die vier Räume sowie den Innenhof des Pavillons, besteht Jermolaewas Biennale-Arbeit.
Das 150-minütige Video „Rehearsals for Swan Lake“, das sie zusammen mit der ukrainischen Balletttänzerin und Choreografin Oksana Serheieva entwickelt hat (es wird ab 8. Mai übrigens, in Kooperation mit Phileas, auch in Wien gezeigt werden), basiert auf einer Jugenderinnerung der Künstlerin: Immer wenn es zu Machtwechseln, Störfällen oder anderen aus Regierungssicht unliebsamen Ereignissen kam, lief im sowjetischen Fernsehen, gewissermaßen zur Volksberuhigung, „Schwanensee“, das berühmte Epos Tschaikowskis, oft sogar tagelang. Jermolaewa benutzt dieses Ballett nun dezidiert subversiv: Bei ihr proben die Tänzerinnen für die Feierlichkeiten anlässlich der ersehnten Abdankung Putins. Serheieva wird das Video während der gesamten Laufzeit der Biennale (sie ist bis 24. November zu besuchen) mit sporadischen Live-Performances begleiten.
Ein Jermolaewa-Werk von 2017 sticht im Raum gleich links vom Eingang ins Auge: In „The Penultimate“ präsentiert die Künstlerin eine Reihe floraler Arrangements, deren dekorative Wirkung ihren realpolitischen Symbolgehalt zu überdecken droht: Denn alle vertretenen Pflanzen wurden einst als Zeichen des Widerstands demokratischer Zivilgesellschaften gegen autokratische Regime bekannt – von den roten Nelken, die 1974 (zusammen mit dem Militär) gegen Portugals Diktatur in Stellung gebracht wurden, bis zur ägyptischen Lotusrevolution 2011.
Jermolaewa, deren Werk sich konzeptuell in verschiedene Medien (Film, Fotografie, Installation, Zeichnung) verästelt, unterrichtet seit 2018 an der Kunstuniversität in Linz. Als Künstlerin setzt sie meist bei sich selbst an: Die eigene Erfahrung ihrer Flucht aus Russland als prodemokratische Oppositionelle 1989 nach Wien ist eines ihrer zentralen Themen; ein Video im Austro-Pavillon, entstanden 2006, zeigt nun Jermolaewa bei dem Versuch, wie einst, nach ihrer Flucht aus der Sowjetunion, auf den Sitzen in der Wartehalle des Wiener Westbahnhofs zu schlafen. Inzwischen allerdings hat man Armlehnen draufgeschraubt, die verhindern, dass Bedürftige dort Schlaf finden können.
In diesem Sinne ist auch ihre Readymade-Installation zu verstehen, für die sie sechs ausgesonderte, vielfach benutzte und bekritzelte Münztelefonzellen aus dem Flüchtlingslager in Traiskirchen in den Innenhof des Pavillons transportieren ließ: Es sind stark emotional besetzte Orte. Und sie funktionieren: Das Ausstellungspublikum kann sie, wenn der Smartphone-Akku sich gerade verabschiedet haben sollte, tatsächlich auch benutzen.
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(profil.at)
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Stefan Grissemann
leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.