Interview

Terror und Widerstand im Iran: Filmemacher Mohammad Rasoulof im Gespräch

Mohammad Rasoulof hat sein Leben für Kunst und Aufklärung mehrfach aufs Spiel gesetzt. Im Mai gelang ihm, verurteilt zu acht Jahren Haft und Peitschenhieben, in letzter Sekunde die Flucht aus seiner Heimat. Sein neuer Kino-Thriller geht mit dem Unrechtssystem im Iran hart ins Gericht.

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Der Ficus religiosa, die Pappel- oder Buddhafeige, ist eine mörderische Pflanze. Sie verbreitet ihre Saat auf umliegende Bäume, tötet diese und siedelt sich an deren Stelle an. Diese politisch zu lesende Allegorie auf ein mörderisches Staatsregime steht in Mohammad Rasoulofs neuem Film schon im trügerisch poetisch klingenden Titel: Denn „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ (zu sehen ab 26. Dezember in Österreichs Kinos) ist keine prätentiöse Arthouse-Parabel, sondern ein sehr unmissverständliches, kraftvolles Werk der Opposition – das inzwischen auch in der Oscar-Kategorie "Bester fremdsprachiger Film" auf der Nominierungs-Shortlist steht.

Wie Ideoligien ins Private sickern, davon berichtet dieser Film, der eine Familie ins Zentrum stellt: Der Patriarch (Missagh Zareh) macht am Islamischen Revolutionsgericht Karriere, als neuer Ermittlungsrichter fällt er schwerwiegende Entscheidungen, muss Todesurteile gegen Dissidenten unterschreiben. Seine Frau (Soheila Golestani) unterstützt ihn pflichtgemäß, auch gegen die liberalen Haltungen ihrer beiden Töchter (Mahsa Rostami, Setareh Maleki). Doch als die Protestunruhen in den Straßen Teherans außer Kontrolle geraten, verhärten – und verschieben – sich daheim gefährlich die Fronten. 
Stolze 168 Minuten lang hält Rasoulof die Fäden dieses Kammerspiels, das vom Sozialdrama unmerklich in einen Thriller, von innen gewissermaßen nach außen kippt, straff, und er zeichnet seine Figuren differenziert, obwohl sein Film unter Guerilla-Bedingungen entstand. Man sieht ihm die Improvisation nicht an. All die lösbaren Probleme am Set kommentiert der Regisseur mit einem fast konfuzianischen Satz: „Jemand, der im Gefängnis war, sucht immer nach Fluchtmöglichkeiten.“

Ausgerechnet ein Gefängnisfilm startete 2002 die Regiekarriere Mohammad Rasoulofs. Neben Jafar Panahi ist er der gegenwärtig bedeutendste iranische Kinodissident, Filme wie „Goodbye“ (2011) und „Doch das Böse gibt es nicht“ (2020) wurden weltweit akklamiert. In Cannes wurde sein zehntes Werk heuer gleich dreifach ausgezeichnet, auch mit dem Sonderpreis der Internationalen Jury. Dem Glamour ist Rasoulof, 52, der nun in Deutschland lebt, dennoch denkbar fern: Eindrücke seiner 28-tägigen Flucht aus dem Iran hat er auf dem Handy gespeichert. Auf zwei dieser Fotos, die er während des profil-Interviews zeigt, kann man den übermüdeten, durchgefrorenen Rasoulof sehen, zur Übernachtung zurückgezogen in ein karges Matratzenlager.

Ihr jüngster Film, den Sie „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ genannt haben, ist eine offene Attacke auf das iranische Terrorregime. Die Dreharbeiten mussten heimlich stattfinden, unter ständiger existenzieller Gefahr für alle Beteiligten. Wie konnte dieses Werk überhaupt entstehen?

Rasoulof

Als die Protestbewegung „Frau, Leben, Freiheit“ im September 2022 losbrach, saß ich gerade im Gefängnis. Diese Revolte aus der Ferne mitzuerleben war eine sehr spezielle Erfahrung. Die Gefängnismitarbeiter hielten uns über die Geschehnisse draußen auf dem Laufenden. Eines Tages schritt ich im Gefängnisgang auf und ab, ich hatte gerade meine Bewegungszeit, plötzlich zog mich einer der Wärter in einen Seitengang, wo wir von den Überwachungskameras nicht mehr gesehen werden konnten. Er fragte mich leise, wie ich die Ereignisse einschätzte. Ich antwortete: „Keine Ahnung. Ich bin hier drin, du lebst draußen. Du weißt das besser als ich.“ Er dachte kurz nach und fragte dann: „Wärst du bereit, vor Gericht auszusagen, dass wir euch hier gut behandelt haben?“

Die Handlanger der Macht leben in Angst vor einem imminenten Umsturz?

Rasoulof

Sicher. Uns Häftlingen war klar, dass ein Teil der Gefängnisarbeiter in Konflikt mit ihren Familien standen, dass manche daheim gar nicht erzählten, was genau sie arbeiteten. Durch diese Erfahrungen entstand in mir die Idee, die Geschichte einer solchen Familie zu erzählen – von der Konfrontation eines Justizbeamten mit dem Freiheitsdrang seiner Töchter. Als ich im Februar 2023 aus dem Gefängnis kam, sah ich mir all die Aufnahmen von den Protesten und der Gewalt ihrer Niederschlagung an, interviewte viele der jungen Menschen, die den Widerstand losgetreten und getragen hatten. Nachdem ich mein Drehbuch geschrieben hatte, dachte ich, es werde unmöglich sein, diesen Film zu realisieren. Aber mein engstes Umfeld ermutigte mich dazu.

Das politische Kino im Iran arbeitete über Jahrzehnte hinweg sehr allegorisch, oft mit Kindern als Hauptdarstellern, um an der staatlichen Zensur vorbeizukommen. Regisseure wie Sie, Jafar Panahi und Samira Makhmalbaf schufen poetische, subtil regimekritische Werke. Diese Zeit scheint vorbei zu sein. Muss man die iranische Regierung inzwischen möglichst konkret politisch attackieren?

Rasoulof

Ja, „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ ist vermutlich mein direktester Film. Aber Zensur besteht ja nicht nur aus der Unterdrückung von Werken oder der Eliminierung bestimmter Passagen. Sie kann auch die Verbindung zwischen den Kunstschaffenden und der Realität unterbrechen. Das Ziel der Unterdrücker und Diktatoren ist es, uns dazu zu bringen, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen.

Die Verbindung zur Wirklichkeit zu unterbrechen, das geht nur durch Gefängnisstrafen, oder?

Rasoulof

Nein. Unser eigentliche Zielgruppe ist das iranische Publikum. Wenn das Regime etwa einen Film verbietet, ihm einen Kinostart im Iran verwehrt, wird auch damit die Verbindung zu unserer Realität, zu unserem Publikum unterbunden.

Wie dreht man einen derart aufwendigen Film heimlich?

Rasoulof

Man braucht zunächst Gleichgesinnte. Als ich aus der Haft entlassen wurde, kontaktierten sie mich: Falls ich einen neuen Film vorbereitete, wären sie jederzeit dazu bereit, mit mir zu arbeiten. Es gab also ein gemeinsames Ziel: Wir alle hatten den Anspruch, keine Filme mehr zu drehen, die sich der Zensur unterwerfen. Das klingt viel einfacher, als es tatsächlich war; es brauchte lange, bis ich all diese Leute gefunden, eine eingeschworene Gruppe gebildet hatte. Die erste Frage, die sich einem solchen Team stellt, lautet: Wie machen wir das, ohne verhaftet zu werden? Das war dann meine Aufgabe. Und da gibt es viele Möglichkeiten.

Welche denn?

Rasoulof

Man dreht beispielsweise in geschlossenen, nicht einsehbaren Räumen. Bei Außenaufnahmen ist möglichst unauffällig vorzugehen. Man trage Dokumente bei sich, die zu belegen scheinen, dass man gerade einen ganz anderen, „unproblematischen“ Film drehe. Das Wichtigste war in meinem Fall aber, dass ich niemals in der Nähe meines Filmteams gesichtet werden konnte. Denn ich bin zu bekannt, mir würde man ein „normales" Filmprojekt nicht abnehmen. Ich musste also aus der Ferne Regie führen. Ich war kein einziges Mal direkt am Set. Das war unsere Prämisse. Beim Schreiben wurde mir bewusst, dass ich widerständige Frauen porträtierte, die sich im Außenraum freiwillig an das Hijab-Gesetz halten würden, weil sie nicht auffallen, sich schützen wollen. Es sah also stets so aus, als drehten wir einen Film fürs iranische Staatsfernsehen. Ironisch war nur, dass meine Darstellerinnen auf der Straße oft beschimpft wurden, weil sie sich ans Fernsehen und das Regime verkauft hätten.

Ironie des Schicksals.

Rasoulof

Es gab keine einheitliche Strategie. Für jede Szene und jeden Schauplatz gab es eine eigene Idee, wie wir es schaffen könnten, nicht aufzufallen und weiter im Untergrund zu arbeiten.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.