Tex Rubinowitz über schlechte Scherze und Conchita Wurst
profil: Diese Woche gehen Sie mit ihrem neuen Roman auf Lesereise, die von Erfurt bis Tübingen führen wird. Mögen Sie solche Auftritte? Tex Rubinowitz: Die Leute wollen ohnehin keinen Text hören, sie wollen einen Preisträger sehen. Ich lese auch nicht vor – das würde mich langweilen. Ich erzähle aus meinem Buch. Es kann vorkommen, dass ich Zuschauer direkt frage, warum sie gerade lachen oder ob sie die betreffende Stelle verstanden haben.
profil: Klingt unangenehm. Rubinowitz: Ich schütte ja niemandem Wasser ins Gesicht, ich spreche nur gern mit den Leuten. Außerdem können die meisten Autoren nicht gut lesen. Sie stützen sich auf dem Tisch ab und leiern ihren Text herunter – ich nenne das die Wasserglashaltung. Der Burg-Schauspieler Joachim Meyerhoff allerdings hat beim Bachmann-Preis wahnsinnig gut gelesen, die Leute waren hypnotisiert. Der ist auch ganz anders gesessen: Er hat sich richtig aufgebläht, damit die Stimme Volumen hat.
profil: Sorgt das nicht für Irritation im Publikum, wenn Sie gar nicht lesen? Rubinowitz: Ich habe in Braunschweig eine Umfrage gemacht, ob ich lesen oder erzählen soll. Da riefen erwachsene Menschen wie Kinder: „Erzählen!“ Ich stehe vor jeder Lesung an der Garderobe und begrüße jeden Zuschauer per Handschlag. Viele wundern sich, wer dieser Typ überhaupt ist, bis sie mich dann auf dem Podium sehen.
profil: Wird man als Bachmann-Preisträger anders behandelt? Rubinowitz: Natürlich. Ich bin ja gar kein Schriftsteller, mir ist dieser Preis einfach passiert. Und plötzlich ist man in einer ganz anderen Liga. Gleichzeitig muss ich mich jetzt dauernd rechtfertigen, weil ich Quereinsteiger bin. Wäre ich Kohlenschaufler, ginge die Kritik wahrscheinlich milder mit mir um. So heißt es immer: Du bist doch bloß Witzzeichner.
profil: Sollte man als Künstler möglichst viel gelitten haben? Rubinowitz: Du musst Kafka sein, Tuberkulose und Eiterbeulen im Gesicht haben, die dir die Pubertät zur Hölle gemacht haben. Dann musst du dich nicht rechtfertigen.
profil: Erwarten die Leute nicht von Ihnen, dass Sie witzig sind? Rubinowitz: Das ist ein Riesenproblem: Es ist unglaublich leicht, witzig zu sein. Lachen entspannt unsere Gastritis, deshalb mögen die Leute sogar die blödesten Scherze. Wenn ich erzähle, spüre ich diese Erwartungshaltung, alle freuen sich auf die Pointe. Mein Roman „Irma“ ist aber über weite Strecken gar nicht lustig. Es geht um einen orientierungslosen jungen Mann, der Probleme mit seiner Freundin hat, die etwas seltsam ist. Und es wird immer trister. Dann schlägt er die Frau sogar, da lacht dann keiner mehr. Alles bricht zusammen in meinem Buch.
profil: In vielen Ihrer Reisegeschichten geht es darum, sich treiben zu lassen. Misstrauen Sie festen Strukturen? Rubinowitz: Das hat sicher damit zu tun, dass ich keinen echten Beruf habe – und dass ich schnell arbeite. Ich bin nicht Manfred Deix, der ewig an einer Zeichnung feilt. Ich finde, die Idee muss sitzen und sofort transportierbar sein. Deix ist eine massive Behauptung, ich bin ein Ornament.
profil: Was haben Sie mit dem Bachmann-Preisgeld gemacht? Rubinowitz: Ich habe mir eine neue Brille gekauft und den Rest, so peinlich das auch ist, auf ein Sparbuch gelegt. Ich habe gelernt, dass man demütig sein sollte, zufrieden mit dem, was man hat und machen darf. Ich bin mit 16 von zu Hause weg, habe in unterschiedlichen Betrieben gejobbt. Dass ich morgens nicht mehr um acht in der Arbeit sein muss, ist doch unbezahlbar.
profil: Sie lieben den Song Contest. Gehören Sie zu den Snobs, die sich empören, wenn „Trashwissen“ plötzlich Mainstream wird? Stört es Sie, wenn das TV-Format „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ plötzlich vom Feuilleton gelobt wird? Rubinowitz: Ich schaue das „Dschungelcamp“ tatsächlich seit zehn Jahren. Die damalige Ablehnung der Kritiker war bloß reflexartig. Auch die Diskussion um die Mariahilfer Straße läuft so, da gibt es nur Leute, die massiv dagegen oder unbedingt dafür sind. Ich wohne in der Nähe und wundere mich immer, dass sich alle so aufregen. Man muss doch nicht immer eine Meinung haben. Es geht beim Song Contest nicht um Musik und beim „Dschungelcamp“ nicht um die Ekelprüfungen. Es geht darum, dass ein soziales Abbild der Gesellschaft erstellt wird.
profil: Wie haben Sie den Sieg von Conchita Wurst wahrgenommen? Rubinowitz: Als Thomas Forstner 1991 mit null Punkten vom Song Contest heimkam, wurde er mit Hass und Häme überschüttet. Dabei ist „Venedig im Regen“ als Song total okay. Forstner war damals 21 Jahre alt und schwer traumatisiert. Da wurde jemand verprügelt, der schon am Boden lag. Jetzt ist es andersrum: Nach Conchita finden alle den Song Contest plötzlich gar nicht mehr so schlecht. Diese Haltung ist klassisch – genau so hat Thomas Bernhard Österreich beschrieben. Auf einmal sind wir alle tolerant. Ich misstraue dem. Conchita Wurst ist auch käuflich. Sie ist in einem Trash-TV-Format mit High Heels durch Namibia gelaufen. Das ist doch ekelhaft. Und ihr Song ist auch schwach, er hat nur beim Auftritt in Kopenhagen großartig funktioniert.
profil: Wäre Conchita, hätte sie damals nicht gewonnen, im „Dschungelcamp“ gelandet? Rubinowitz: Hundertprozentig! Hätte Sie keinen Punkt bekommen, wäre das Klima hierzulande noch homophober und fieser geworden. Und nun hat sich alles umgedreht. So sind die Menschen eben. Diese Dynamiken interessieren mich an dieser Veranstaltung.
profil: Sie zogen 1984 aus Deutschland nach Wien. Wie hat sich die Stadt verändert? Rubinowitz: Damals hatten die Lebensmittelgeschäfte mittags dreieinhalb Stunden lang geschlossen. Deutsche Freunde fragten mich immer, was das für Zustände seien, ob die Österreicher denn so müde seien, dass sie mittags schlafen müssten. Wien war damals eine geschützte Werkstätte ohne Wettbewerb. Mittlerweile ist die Stadt glücklicherweise viel durchmischter und internationaler. Das schlimmste sind doch reinrassige Hunde. Das sind die dümmsten Tiere, extrem krankheitsanfällig. Bei Menschen ist das genauso.
Verkrüppelte Biografie Tex Rubinowitz verweigert in seinem Roman „Irma“ raffiniert logische Erzählweisen.
Nichts läuft nach Plan in „Irma“, dem popkulturell aufgeladenen Entwicklungsroman des Bachmann-Preisträgers Tex Rubinowitz. Ein junger Mann, der dem Autor in manchem sehr ähnlich ist, kommt Mitte der 1980er-Jahre in ein graues Wien, wo er eine gewisse Irma kennenlernt – eine seltsame junge Frau aus Litauen, die gern an Batterien leckt, völlig undurchsichtig bleibt und aus dem Leben des Wahlwieners bald wieder verschwindet. Jahrzehnte später meldet sie sich erneut auf Facebook, aber auch daraus entsteht nichts Nennenswertes. „Irma“ ist ein schräger Blick auf eine Zeit, in der alles möglich, nichts festgefahren schien. Der eher passive Protagonist lässt sich treiben, ähnlich wie der Held in Arno Geigers „Selbstporträt mit Flusspferd“ sucht er seinen Platz in einer unüberschaubaren Welt. Doch während Geiger weitgehend linear erzählt, legt Rubinowitz eine anarchische Version vom späten Erwachsenwerden vor, baut Brüche, Abstürze und selbstreflexive Gespräche mit Therapeuten und Verlagslektor ein.
Zur Person
Tex Rubinowitz, 53, ist ein deutscher Cartoonist, unter anderem für den „Falter“, den „Spiegel“ und die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“. Außerdem arbeitet er als Musiker mit seiner Band Mäuse, Labelbetreiber, Kurator, Reisejournalist und Schriftsteller. Seit 1984 lebt er in Wien. Im Vorjahr wurde er für seinen Text „Wir waren niemals hier“ mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Nun liegt der fertige Roman unter dem Titel „Irma“ vor.