The Beatles bei ihrem letzten Konzert

The Beatles, hautnah

Acht Stunden lang der bedeutendsten Band dieses Planeten bei der Arbeit zuzusehen: Mit seiner Doku-Miniserie „The Beatles: Get Back“ betreibt Regisseur Peter Jackson Resteverwertung auf höchstem Niveau.

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Peter Jackson nennt seinen neuen Film, der nie gesehene Szenen von den Proben und Konflikten einer legendären Band zeigt, „eine Zeitmaschine“, und tatsächlich ist sie so etwas wie der Traum jedes Beatles-Fans. Der Titel ist jedenfalls gut gewählt: „Get Back“ ist ein Song des Quartetts aus Liverpool, der während der Sessions entstand, von denen dieser dokumentarische Dreiteiler erzählt – zugleich beschreibt er die Reise, die man absolviert, wenn man diese Arbeit nun sieht: zurück ins Jahr 1969, in die Endphase einer Band, die in den zehn Jahren ihres Bestehens die Popmusik wohl nachhaltiger geprägt hat als jede andere. Seit heute früh steht der erste, gut zweieihalbstündige Teil dieser Produktion auf dem Streaming-Portal Disney+, morgen und übermorgen folgen die Teile zwei und drei.

„The Beatles: Get Back“ basiert auf gefundenem Material, auf Bildern und Tönen, die ein halbes Jahrhundert lang unangetastet in den Archiven des von den Beatles einst selbst gegründeten Unternehmens Apple Corps vor sich hindämmerten: Am 2. Jänner 1969 kommt die Band in einem Londoner Filmstudio zusammen, um ein Live-Album nicht bloß einzuspielen, sondern überhaupt erst zu komponieren. Die Musiker bringen so gut wie nichts an neuen Songs mit, aber am Ende soll eine nicht näher definierte Live-Show mit dem neuen Material (ein „TV Special“, wie man es vage formuliert) stehen – die erste in zweieinhalb Jahren. Die Zeit drängt massiv: Kaum mehr als zwei Wochen stehen für Komposition, Proben und Konzertvorbereitung zur Verfügung.

Die Szenen sind Outtakes aus einem 1970 veröffentlichten Dokumentarfilm: Der junge New Yorker Filmemacher Michael Lindsay-Hogg, damals 28, ist gleich alt wie John Lennon und Ringo Starr (Paul McCartney und George Harrison sind jünger), und er belichtete mit zwei 16mm-Kameras an die 60 Stunden Film, sammelte zudem 150 Stunden an Mono-Audioaufnahmen, die auf den beiden ständig mitlaufenden Tonbandgeräten verewigt wurden. Lindsay-Hogg verdichtete all dies schließlich auf einen 80-minütigen Film, der den Probenprozess und das abschließende Konzert auf dem Dach des Londoner Apple-Gebäudes am 30. Jänner 1969 dokumentiert. „Let It Be“ wird er heißen, genau wie das (aus einem Dutzend Tracks bestehende) Studioalbum, das hier wie nebenbei entsteht; es ist das 12. und letzte der Band, veröffentlicht im Mai 1970, einen Monat nach dem endgültigen Aus der Beatles.

Der neuseeländische Regisseur Peter Jackson („Der Herr der Ringe“) erhielt das von Lindsay-Hoggs Team kompilierte Material vor vier Jahren, um es zu restaurieren und aus den unveröffentlichten Szenen einen Kinofilm zu schneiden. Dann kam der Lockdown, und Jackson hatte plötzlich viel Zeit. Und er begann das Werk neu zu planen. Der erste Rohschnitt war 18 Stunden lang, am Ende wurden es immerhin fast acht Stunden Laufzeit. Streng chronologisch dokumentiert Jackson 22 Tage musikalischer Arbeit, und er räumt dabei mit dem alten Vorurteil auf, die Beatles hätten einander am Ende gleichsam biblisch gehasst. Im Gegenteil: Die alte Verbundenheit ist zu spüren, die künstlerischen Instinkte funktionieren. Es gibt Leerläufe und Ausbrüche von guter Laune, Routinemomente und aufblitzende Genialität. Man ist bestens eingespielt, wenn auch nicht nur gut aufeinander zu sprechen. Die tumultuösen Aufnahmen zum legendären „White Album“ liegen erst elf Wochen zurück.

De facto finden sich aber erst nach einer knappen Stunde Film erste Anzeichen von Gereiztheit. Paul McCartney ist der eigentliche kreative Motor, Lennon gibt sich bisweilen desinteressiert oder bastelt schon am nächsten schmutzigen Witz. Die beharrlich schweigende Yoko Ono weicht keine Sekunde von seiner Seite. Während Assistenten Wein, Bier, Tee und Essen bringen, verfolgen Harrisons Krishna-Freunde am Boden sitzend die Ereignisse. Lennon und McCartney verlieren einander beim Spielen nie aus den Augen. Doch die nicht ganz neue Idee einer Auflösung der Band drängt immer wieder nach oben; George Harrison kündigt mitten in der Arbeit seinen Job. Und kehrt wenig später zurück. Die komplizierten gruppendynamischen Abläufe, von denen Jackson im Detail erzählt, sind in hochdruckgereinigten, farbintensivierten Bilder festgehalten, die aussehen, als hätte man sie erst vergangene Woche gedreht.

Jackson leitet sorgsam durch die Ereignisse, vermittelt Zusammenhänge durch Inserts und Dahingemurmeltes durch Untertitel. Am Tag vier entsteht der Titelsong, „Get Back“. Lennon ist noch nicht da. Während McCartney sich abmüht, eine musikalische Struktur zu entwerfen, gähnt George Harrison nur herzhaft, und Ringo Starr blickt, auch noch nicht ganz wach, ins Leere. „Get Back“ ist ein durchaus voyeuristisches Projekt: Lindsay-Hogg ließ seine Kameras oft unbeaufsichtigt laufen lassen, mit abgeklebtem roten Licht, um zu suggerieren, dass gerade nicht gefilmt werde. Und Tech-Zauberer Jackson machte Dialoge hörbar, die von den Protagonisten absichtsvoll mit lautem Gitarrengeschrammel übertönt worden waren. Die Wahrheit ist eben eine Tochter der Zeit. Und der Technik.

Im kommenden profil werden Sie eine mehrseitige Würdigung dieser Miniserie finden.

 

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.