Salzburger Festspiele: Regisseur Ulrich Rasche im Porträt
Das Salzburger Landestheater sieht aus, als wäre gerade ein Ufo gelandet. Auf der leergeräumten Bühne thronen zwei gigantische Stahlscheiben, wovon eine bis unter die Nasen der Zuschauer in der vierten Reihe ragt. Ein Bühnenbild wie eine Kampfansage.
Verantwortlich für die Gigantomanie ist der deutsche Regisseur Ulrich Rasche, 49, der im Rahmen der diesjährigen Salzburger Festspiele die griechische Tragödie "Die Perser" in Koproduktion mit dem Schauspiel Frankfurt inszenieren wird. Rasche strahlt wie ein Kind über sein neues Theaterspielzeug, als er vergangene Woche die fertige Konstruktion zum ersten Mal in Aktion sieht. Die hintere Platte des Unikats lässt sich zugleich drehen und horizontal aufrichten -ein Wunderwerk der Technik, das sich, nicht zuletzt der komplexen Hydraulik wegen, nur wenige Theater leisten können. Wahrscheinlich werden sich die Akteure auf der Bühne - wie oft in Rasches waghalsigen Inszenierungen -anschnallen müssen, um nicht von den rotierenden Scheiben zu kippen. Durch die Gurte, in denen die Akteure eingeschnürt sind, wird aber auch deutlich: Der Mensch ist in Rasche-Inszenierungen nur ein unbedeutendes Teilchen inmitten einer monumentalen Maschinerie, die ihn zu zermalmen droht. "Ich bin zwar ein stark politisch engagierter Regisseur, aber meine Sicht auf die Dinge ist fatalistisch geprägt", sagt Rasche. "Das Theater kann und muss soziale und politische Missstände aufzeigen und kritisieren; dass wir fähig sind, vorbestimmte geschichtliche Abläufe zu verändern, wage ich inzwischen zu bezweifeln."
Dem Theater selbst hat der Shootingstar eine radikale Frischzellenkur verpasst.
Seit Einar Schleef, der 2001 starb, hat kein anderer Regisseur so rhythmisch wie präzise mit Chören gearbeitet. Rasches Inszenierungen sind Gesamtkunstwerke aus Livemusik, Sprechtheater, punktgenauer Choreografie. Sie seien, befand lobend der Hamburger "Spiegel","finstere Spektakel".
Den düsteren Ansatz teilt Rasche mit dem österreichischen Theaterfatalisten Martin Kušej, an dessen Münchner Residenztheater Rasche seinen bislang größten Erfolg feierte: Schillers "Die Räuber" (2016) wurde im Vorjahr zum renommierten Berliner Theatertreffen eingeladen und mit dem Wiener Theaterpreis Nestroy ausgezeichnet. Auf gewaltigen beweglichen Förderbändern standen Schauspieler, die, wie Galeerensklaven festgezurrt, Texte skandierten, dabei diffus von einem Aufstand träumten, ohne ein klar definiertes politisches Ziel. Trotz der abstrakten Setzung gelang dem Regisseur die pointierte Analyse gesellschaftlicher Stimmungen.
Die Chancen stehen gut, dass der gefragte Regisseur unter Kušej auch am Burgtheater Regie führen wird und vielleicht auch die neue Intendanz im Herbst 2019 eröffnen könnte. Gegenüber profil bestätigt Rasche, dass mit Kušej Gespräche über eine mögliche Zusammenarbeit laufen. Vorerst steht jedoch das Debüt in Salzburg auf dem Programm. Das vergleichsweise kleine Landestheater sei durch Rasches kolossales Bühnenbild "förmlich zum Ächzen" und an seine "räumlichen Kapazitätsgrenzen" gebracht worden, sagt Bettina Hering. In ihrem zweiten Jahr hat sich die Schauspielchefin der Salzburger Festspiele vom 20. Juli bis zum 30. August mit ihrem Theaterprogramm viel vorgenommen; zu Gast in Salzburg sind die besten Schauspielerinnen und Schauspieler der Zeit: Sandra Hüller als Penthesilea in der Regie von Altmeister Johan Simons; Kathrin Angerer und Sophie Rois in einer Romanadaption des norwegischen Nobelpreisträgers Knut Hamsun -Regie in "Hunger" führt Frank Castorf; der feinnervige tschechische Regisseur Dušan David Pařízek inszeniert "Kommt ein Pferd in die Bar" mit Samuel Finzi und Mavie Hörbiger; im Herbst wird die Comedy-Erzählung dann auch am Burgtheater zu sehen sein.
Ulrich Rasche wird das Salzburger Landestheater rocken. Seine Abende seien wie Rammstein-Konzerte, befand die Münchner "Abendzeitung". Als Regisseur ist er schwer einzuordnen, was sich gerade an seinen Vorbildern zeigt: Den deutschen Diskurs-Dramatiker René Pollesch schätzt er für dessen kritischen Blick auf überkommene Herrschaftsstrukturen am Theater, Schaubühnen-Star Edith Clever, bei der Rasche lange als Assistent arbeitete, für ihre präzise Arbeit an der Sprache.
So überwältigend Rasches extrem physisches Theater sein kann, so leise und sensibel sind viele Textpassagen angelegt, die Besetzungen mitunter ungewöhnlich: In "Die Räuber" spielte die famose Valery Tscheplanowa den Bösewicht Franz Moor. Ein genialer Coup: Als Frau hat Moor noch mehr Grund, sich gegen ein System aufzulehnen, das systematisch ausgrenzt. Tscheplanowa, die bereits in Castorfs "Faust" brillierte und in Salzburg in "Die Perser" zu sehen sein wird, ist ein weiterer Star des Festspielsommers. Rasche hat mit seinen Männerchören ein bisschen zu Unrecht den Ruf, ein Testosteron-Regisseur zu sein. "Ich werde in Zukunft verstärkt mit Frauen auf der Bühne arbeiten", sagt er, und betont, dass eine #MeToo-Debatte am Theater längst überfällig sei.
Am Residenztheater wird er in der kommenden Saison deshalb auch "Elektra" mit Sarah Kanes "4.48 Psychose" mischen. Aber auch die Salzburger "Perser" haben einen feministischen Kern: Während auf der hinteren Ufo-Platte ein Männerheer aus purer Hybris die bestehende, funktionierende Ordnung zerstört, versuchen die Frauen im Bühnenvordergrund, neue, konstruktive Lösungen zu finden. "Wir reagieren oft angstgetrieben, besinnen uns zu wenig auf die positiven Werte, die wir errungen haben, Pressefreiheit, Bildung, ein demokratisches System", sagt Rasche. Was ihn nicht daran hindert, die gequälten Protagonisten seiner Inszenierungen buchstäblich unters Rad kommen zu lassen.