Thees Uhlmann: „Tulln oder Bremervörde, das macht keinen Unterschied“
profil: Für Ihr neues Soloalbum haben Sie sich sechs Jahre lang Zeit gelassen. Ist „Junkies und Scientologen“ Ihr musikalisches Comeback? Thees Uhlmann: Nein, Comeback hört sich für mich zu sehr nach Marketing an. Als Künstler arbeite ich einfach durch. Der Unterstrom ist immer am Laufen. Ich schaue mir das normale Leben an, finde darin einen besonderen Gedanken und mache ein Lied daraus. Das ist Rock’n’Roll, eine gute Kunstform, da sollte man dranbleiben.
profil: Warum hat es dennoch sechs Jahre gedauert? Uhlmann: Das war zur Jahreswende 2017/2018 – da hatte ich ein neues Album zu 70 Prozent fertig. Das Problem war: Ich konnte mit den Liedern nichts anfangen. Das war eine Ansammlung blöder und introvertierter Texte, die mit der Realität überhaupt nichts zu tun hatten.
profil: Sie haben alles weggeworfen? Uhlmann: Weggeworfen nicht, die liegen in der Schublade der Schande. Kunst heißt ja auch, sich von Dingen zu trennen. Das Bild ist schlecht? Weg damit! Das Theaterstück ist blöd? Weg damit! Nur so kommt man dem Kern einer Sache näher.
profil: Hatten Sie Selbstzweifel? Uhlmann: Zweifeln tu ich immer. Ich bin ja kein Genie, ich bin eher der Arbeiter, der nicht sonderlich begabt ist und sich alles erkämpfen muss. Außerdem ist es ein schönes Gefühl, wenn man durch den Zweifel zu einem schönen Text kommt. Meine Mutter meinte letztens: Mach dir keine Sorgen, so ein gutes Lied wie „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ schreibst du ohnehin nie wieder. Sie meinte es nett, so sind wir Norddeutschen eben.
profil: Ihre Lieder sind emotional. Muss man sich als Künstler ständig exponieren? Uhlmann: Meine Musik ist kein Soundtrack zum guten Leben. Wenn der österreichische Künstler Voodoo Jürgens über Tulln singt, dann weiß ich ganz genau, was er meint. Ich kenne diese Welt, dieses Gefühl. Tulln oder meine Heimat Bremervörde, Tierkadaverfabrik oder Fischmehlfabrik, das macht keinen Unterschied. Für mich ist er ein Bruder im Geiste. Als Künstler stellt man sein eigenes Leben zur Verfügung und versucht, dem Alltag ein klein bisschen Wahrhaftigkeit abzuringen. „Junkies und Scientologen“ ist eine ernste Platte für dunkle Zeiten, die trotzdem die Welt nicht verloren gibt.
profil: Ihre neue Single ist eine Liebeserklärung an den verstorbenen schwedischen DJ Avicii und den Fußballtrainer Jürgen Klopp. Wie passt das zusammen? Uhlmann: Ich mag die beiden. Avicci ist wie ABBA, seine Musik berührt mich. Bei dem Song „Waiting for Love“ geht es mir immer durch, das höre ich alleine und betrunken in der Küche rauf und runter. Jürgen Klopp ist in Liverpool ohnehin der heimliche Außenminister der Europäischen Union. Er hat für das Image Deutschlands Unglaubliches geleistet – und das mit einer Leichtigkeit und Intelligenz. Angela Merkel sollte Klopp jedes Monat ein anständiges Gehalt überweisen.
profil: Live treten Sie mit siebenköpfiger Band auf. Holt man sich da als Solokünstler die Sicherheit einer verschworenen Gemeinschaft zurück? Uhlmann: Der Gedanke ist mir zu kompliziert. Am Ende von Tomte war ich kraftlos, wollte es mit einer Soloplatte versuchen. Wenn es bei Jan Delay klappt, so mein Gedanke, könnte es auch bei mir funktionieren. Heute habe ich eine tolle Band und freue mich auf 365 Tage Exzess.
profil: Einen Plan B hatten Sie nie? Uhlmann: Bis Ende Zwanzig war ich wegen der Musik knallhart arm, da denkt man natürlich über einen Plan B nach. Eine Freundin von mir, sie ist Pädagogin, hat mir versichert, dass ich auch mit Fünfzig noch umsatteln könnte. Mein Exit-Szenario stimmt also.
profil: 2015 haben Sie den Roman „Sophia, der Tod und ich“ veröffentlicht. Gibt das zusätzliche Sicherheit? Uhlmann: Das Buch ist durchaus gut angekommen. Ganz banal ist es aber auch so, dass ich jetzt zwei Geldquellen habe. Mir geht es da um meine Tochter. Sie kann sich die nächsten zehn bis 15 Jahre auf mich verlassen. Wenn man sieht, wie bei Menschen, die auf die Musik gesetzt haben, das Geld immer knapper wird, stimmt mich das schon nachdenklich.
profil: Hat Ihnen der Roman auch den Druck genommen, ständig neue Musik veröffentlichen zu müssen? Uhlmann: Mit bewussten Entscheidungen bin ich nicht so gut. Ich wusste, dass ich ein wenig schreiben kann, aber es war eher der Druck von Freunden, die meinten, ich sollte das jetzt mal probieren. Als Norddeutscher tue ich mir in der Rolle des Erfüllungsgehilfen leichter.
profil: Stimmt die Geschichte, dass Sie den Vertrag für das Buch bereits zwölf Jahre vor Erscheinen unterschrieben haben? Uhlmann: Ja, obwohl ich manchmal froh wäre, wenn viele Geschichten über mich nicht stimmen würden. Für die Vertragsunterschrift gab es damals 1000 Euro – das waren für mich drei sorgenfreie Monate.
profil: Im Herbst erscheint Ihr nächstes Buch, eine Liebeserklärung an die Düsseldorfer Rockband Die Toten Hosen. Was hat Sie daran interessiert? Uhlmann: Die Toten Hosen waren nicht nur mein erstes Konzert, ich habe schon selbst Konzerte mit ihnen gespielt. Außerdem ist Sänger Campino nach Angela Merkel der zweitberühmteste Deutsche – und zu ihren Konzerten kommen 80.000 Menschen. Außerdem: Jeder hat eine Meinung über diese Band, da gibt es viel zu erzählen.
Thees Uhlmann gastiert am 6. Dezember im Wiener Gasometer.