Toxische Pommes
Interview

Was ist ein schönes Ausländerkind, Toxische Pommes?

Darüber macht sich der TikTok-Star in ihrem Romandebüt Gedanken. Im Interview spricht die Wiener Satirikerin über Integration, Care-Arbeit und das FPÖ-Comeback.

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Bisher kannte man Sie von Ihren satirischen Videos auf TikTok und Instagram. Warum wollten Sie jetzt eine Erzählung über Ihre migrantische Lebensgeschichte schreiben?

Toxische Pommes

Eine Biografie wollte ich nie schreiben. Ich wollte mich mit dem Thema der Nichtintegration anhand einer Vaterfigur beschäftigen, die nicht den erwünschten Integrationsmaßstäben entspricht und den Fokus auf Menschen legen, die aus der Gesellschaft ausgeschlossen sind und medial oft nur als bedrohliche Masse an faulen Ausländern dargestellt werden.

Sie erzählen aus der Perspektive der Tochter, die mit ihren Eltern aus Ex-Jugoslawien nach Österreich geflüchtet ist und sich bereits als Schulkind perfekt integriert hat. 

Toxische Pommes

Ich fand das Spannungsverhältnis innerhalb eines Familienkonstrukts und die Frage, was Integration überhaupt bedeutet, spannend. Die zentrale Aussage des Buches ist ja: Je mehr sich die Tochter in Österreich verwurzelt, desto mehr entwurzelt sich der Vater aus Österreich – aber auch aus der Familie und dem eigenen Leben. 

Über den Vater schreiben Sie: „Da angeblich zu viele Ausländer da waren, die den Österreichern ihre Jobs wegnahmen, blieb ihm nichts anderes übrig, als der faule Ausländer zu werden, der nicht arbeiten wollte.“ Was kann man als Gesellschaft tun, um Integration möglich zu machen und Migrant:innen nicht zu verlieren? 

Toxische Pommes

Man muss sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben lassen, diverse rechtliche Hürden abbauen, auf Migrationsexpert:innen und Wissenschaftler:innen hören und nicht alle Probleme, die man als Gesellschaft hat, auf Migrant:innen abschieben. Mich wundert es, dass Migrant:innen noch nicht für die Klimakatastrophe verantwortlich gemacht wurden. Man schafft sehr viele Probleme, wenn man Menschen in ein Land holt und nur sehr selektiv am Leben teilhaben lässt, während im selben Atemzug von ihnen erwartet wird, dass sie Teil einer Gesellschaft sind, die sie zugleich ausschließen möchte. Das ist eine Lehre, die man schon in den 1960er– und 1970er– Jahren gemacht hat. ‚Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen‘, heißt es in dem berühmten Zitat von Max Frisch.

Die Kunst, die österreichische Seele in wenigen Sekunden auf den Punkt zu bringen, hat die Satirikerin Toxische Pommes in ihren TikTok- und Instagram-Videos perfektioniert. Die kurzen Szenen, in denen Irina (ihren ganzen Namen will die Juristin nicht in der Zeitung lesen) selbst in verschiedenen Rollen zu sehen ist, sind Einblicke in die österreichische Gesellschaft und Politik, sie kritisiert Sexismus, Rassismus und Bigotterie, teilt aber auch gegen eine vermeintlich linke und woke Kulturschikeria aus. 

Toxische Pommes

Ihr Buch ist vor allem auch eine Tochter-Vater-Geschichte. Wie hat Sie das geprägt, dass vor allem Ihr Vater viel zu Hause war, während die Mutter arbeiten ging?

Toxische Pommes

Am Land in Österreich war es eher ungewöhnlich, wenn der Vater in den Neunzigern und Nullerjahren klassische weibliche Rollen erfüllt hat, sich um das Kind gekümmert und Hausmann war. Auch heute ist das nicht viel anders: Meistens haben die Männer die Berufe, die sie für das Kind nicht aufgeben können oder eher wollen. In vielen Genderfragen ist Österreich leider nach wie vor rückschrittlich, sei es in der Repräsentation von Frauen in Berufen oder im Studium. 

Bricht in Fragen Kinderbetreuung und Care-Arbeit in Österreich mittlerweile etwas auf?

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Heute wird zumindest über Themen diskutiert, auch wenn wir oft einen Schritt nach vorne und zwei zurückgehen. Vor allem seit der Covid-Pandemie – diesem gesellschaftlich traumatisierenden Ereignis – und den daraus folgenden wirtschaftlichen Problemen hat sich die Situation nicht verbessert. Mit jeder Krise tendiert man dazu, als Gesellschaft wieder konservativer zu werden. 

Sie wollten stets die „perfekte Migrantin“ sein. Woher kam dieser Antrieb, es allen recht machen zu wollen?

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Ursprünglich aus Angst, abgeschoben zu werden oder einen Aufenthaltsstatus zu verlieren. Ich kann mich erinnern, dass ein Argument und Faktor beim Staatsbürgerschaftserwerb war, dass ich gut in der Schule war. In meinem kindlichen Kopf habe ich mich in einer großen Verantwortung gesehen. Vielen Kindern mit Migrationsgeschichte geht es so, dass sie in ihrer Familie Verantwortung übernehmen müssen. Als Kind lernt man schneller die Sprache, ist im Idealfall in einem Schulsystem integriert und tut sich leichter, als wenn man mit Mitte Vierzig in ein neues Land kommt. Ob ich auch ohne meine Migrationserfahrung so ehrgeizig und strebsam gewesen wäre, kann ich nicht sagen. 

Sie schreiben, dass Sie in der Schule doppelt so viel leisten mussten wie österreichische Kinder. Heute arbeiten Sie als Juristin, sind ein TikTok-Star, schreiben Bücher und machen Kabarett. Wird man diesen Ehrgeiz nicht mehr los?

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Ich denke, dass von Migrant:innen erwartet wird, dass sie mehr arbeiten, um als würdig zu gelten. Außerdem sollte man am besten ewig dankbar sein, in diesem Land leben zu dürfen. Dazu kommt der richtige Platz, der Migrant:innen zugestanden wird. Wie Melisa Erkurt in ihrem Buch „Generation Haram“ so schön beschreibt: Solange Frauen mit Kopftuch Toiletten putzen, beschwert sich niemand, aber sobald sie als Lehrerinnen arbeiten, dann wird es zum Problem. Ähnlich war es bei Alma Zadić. Als sie Ministerin wurde, war das zu viel Integration. Denn so viel darf ein ehemaliges Flüchtlingskind dann auch wieder nicht erreichen. 

Ihr Volksschullehrer wollte Sie als Klassenbeste nicht ins Gymnasium, sondern in die Hauptschule schicken. Die aktuelle PISA-Studie hat ergeben, dass in Österreich Migrationshintergrund, Bildung und Einkommen der Eltern einen stärkeren Einfluss auf die Schulleistungen der Kinder haben als in anderen Ländern. Warum ist das so?

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Unerklärlich ist das nicht. Ich kenne viele solcher Geschichten, dass Menschen mit Migrationsbiografie im Schulsystem nicht nur nicht gefördert, sondern benachteiligt werden. Ich glaube, es gibt es bei der jüngeren Lehrer:innen-Generation schon mehr Bewusstsein dafür, dass Mehrsprachigkeit kein Hindernis, sondern ein Glück ist, das man auch fördern kann. Mein Lehrer hatte einen guten Willen und hat meine Leistungen anerkannt, aber gleichzeitig gemeint, dass ich als Migrantin in der Hauptschule bessere Chancen hätte. 

In Ihrem ersten autofiktionalen Roman „Ein schönes Ausländerkind“, der jetzt erscheint, erzählt Toxische Pommes vom Suchen und (Nicht)finden eines neuen Lebens einer Flüchtlingsfamilie in Wiener Neustadt, von zerplatzten Träumen und dem Streben nach Glück. Irina, wie Toxische Pommes eigentlich heißt, changiert stets zwischen feiner Ironie, bittersüßen Witz und brutaler Ehrlichkeit – und man liest dann so schön-traurige Sätze wie: „Was hat uns Österreich gekostet? Meinen Vater seine Stimme, meine Mutter ihre Lebendigkeit. Und mich?“ 

Wie lernt man damit zu leben, dass man weder in der alten noch in der neuen Heimat wirklich dazugehört?

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Bei Verwandten am Balkan habe ich mich oft wie die Ur-Österreicherin gefühlt, um mir in Österreich die Frage zu stellen, ob in Montenegro, Kroatien oder in Serbien vielleicht ein anderes Leben auf mich wartet. Heute stelle ich mir die Frage nicht mehr. Ich habe lange gedacht, dass ich eine eindeutige Antwort brauche und sagen kann, ich identifiziere mich zu 100 Prozent mit Österreich. Heute denke ich, dass nicht mal gebürtige Österreicher:innen so denken – und wenn, dann eher Nationalist:innen. 

„Ich hatte meinen Teil des Integrationsversprechens eingehalten. Ich hatten den Ausländer in mir erfolgreich wegintegriert. Ich war weiß, christlich und aß gerne Schweinefleisch“, schreiben Sie in ihrem Buch. Wie viel muss man von sich selbst aufgeben, um Teil der Mehrheitsgesellschaft zu werden?

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Eine pauschale Antwort gibt es darauf nicht. Der Titel „Ein schönes Ausländerkind“ spielt aber auf diese Frage an: Was sind gute und was sind schlechte Ausländer? Anhand der Ukraine und Syrien konnte man in den letzten Jahren sehen, dass Migrant:innen – je nach Hautfarbe und Religion – unterschiedlich behandelt werden. Ich gönne Flüchtlingen aus der Ukraine jede Hilfe, aber ich gönne es auch Muslim:innen und People of Color.

„Bei Verwandten am Balkan habe ich mich oft wie die Ur-Österreicherin gefühlt, um mir in Österreich die Frage zu stellen, ob in Montenegro, Kroatien oder in Serbien vielleicht ein anderes Leben auf mich wartet.“

Ihre TikTok-Kunst, in der Toxische Pommes auch über die durch Migrations- und Kriegstraumata geprägte Erziehungsstile der migrantischen Community spricht, bringt sie derweil auch schon in ihrem Soloprogramm auf die Bühne. Unmissverständlicher Titel: „Ketchup, Mayo & Ajvar“ – und arbeitet dabei meist mit persönlichem Material, wie sie im Gespräch erzählt: „Es ist für mich eine sinnvollste Art, Themen authentisch aufzuarbeiten. Auch in meinem Kabarettprogramm geht es um die Gefühlswelten, die man als Migrantin und Migrant in Österreich erlebt – nicht nur beim Ankommen, sondern eigentlich ein Leben lang.“

„Ein schönes Ausländerkind“ erscheint jetzt im Superwahljahr. Bei den EU- und Nationalratswahlen wird in Österreich und Europa ein Rechtsruck erwartet. Wie konnte die FPÖ nach Ibiza so schnell wieder ein Comeback feiern?

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Ibiza hat der FPÖ nicht geschadet. In der Wahrnehmung bleibt der Eindruck und das Narrativ, dass ohnehin jeder ein wenig korrupt ist und dass das in Österreich eben dazugehört. Rechte Parteien bieten in Krisenzeiten vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Probleme und Migrant:innen gute Sündenböcke.

Wollen Sie mit Ihrer Kunst etwas verändern oder Menschen zum Umdenken bringen?

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Veränderungen bringt die Zivilgesellschaft, die Politik und die Parlamente. Kunst und Kultur sind extrem wichtig, können zu einem neuen Bewusstsein führen, überbewerten würde ich es aber nicht. Eine sinnvolle und nachhaltige Politik kann dadurch nicht ersetzt werden. 

Auf Instagram und TikTok folgen Ihnen knapp 200.000 Menschen. Werbekooperationen lehnen Sie dennoch ab. Warum?

Toxische Pommes

Die Videos sind mir passiert und TikTok war die App, die gerade da war. Ich fand das lustig. Geld wollte ich damit nie verdienen – und es hätte sich auch nicht authentisch angefühlt, mit wenig Enthusiasmus eine „Nivea“-Creme in die Kamera zu halten. Ich bekomme viele Angebote für CBD-Produkte, keine Ahnung warum. Vielleicht wirke ich so unentspannt. 

Toxische Pommes: Ein schönes Ausländerkind - Cover

Toxische Pommes: "Ein schönes Ausländerkind" (Zsolnay/Hanser)

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.