Kino

„Träume“ in Gold: Berlinale-Sieg für norwegische Kinonovelle

Die 75. Berliner Filmfestspiele gingen mit Auszeichnungen für konventionelle Arthouse-Projekte, ein wildes Drehbuch und eine todesverachtende Schauspielerin zu Ende. Eine junge Österreicherin triumphierte abseits des Wettbewerbs.

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Sein Dreivierteljahrhundert-Jubiläum beging das Filmfestival in Berlin in ungewohnt eisigem Ambiente, mit neuer Chefin (der Amerikanerin Tricia Tuttle) und einem Wettbewerb, der in vielerlei Hinsicht mit den ungeschriebenen Cinephilie-Gesetzen solcher Veranstaltungen brach – mit Filmbeiträgen, die billigere Thrills bereithielten, oft fast ein wenig deplatziert erschienen. Dahinter steht das Bemühen, die Berlinale mehr noch als bisher auch im Wettbewerbsprogramm zum Publikumsfestival umzugestalten, die Filmkunst weniger kategorisch als bisher vom Entertainment abzuspalten.

Am gestrigen Samstagabend nun wurden die begehrten Berlinale-Bären in Gold und Silber vergeben – und die Verleihung erschien wie ein Echo dieser neuen Tendenz des Festivals: freundlich, korrekt und konsensorientiert. Die beste und ungewöhnlichste Preis-Rede des Abends hielt, wie so oft, der rumänische Regie-Anarchist Radu Jude: Er erinnerte nicht nur an den großen spanischen Kino-Surrealisten Luis Buñuel, dessen Geburtstag just an jenem Datum zum 125. Mal wiederkehrte (was naturgemäß niemand sonst am Schirm hatte), sondern bezog sich sarkastisch auch auf die anstehende deutsche Bundestagswahl und implizit auch auf den zu befürchtenden Stimmenzuwachs für die rechtsextreme AfD; er hoffe sehr, so Radu Jude abschließend trocken, dass die nächstjährigen Berliner Filmfestspiele nicht mit Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ eröffnet werden. 

iPhone-Kino 
Davor hatte er noch erklärt, dass man sich endlich von der aus Hollywood importierten Zwangsvorstellung befreien müsse, der zufolge jeder neue Film, den man mache, teurer zu sein habe als der davor. Judes eigenes, politisch gewohnt angriffiges neues Werk, für dessen Drehbuch er mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, schlug solche Industrievorgaben beherzt in den Wind – seine Sozialtragikomödie „Kontinental ’25“ wurde mit einem iPhone gedreht.

Den Goldenen Bären für den besten Film des Wettbewerbs vergab die Internationale Jury unter dem Vorsitz des US-Filmemachers Todd Haynes indes an eine viel reputierlichere, fein erzählte und gespielte Coming-of Age-Geschichte über Familie und Begehren: „Drømmer“ („Dreams“) heißt sie, und sie stellt den finalen Teil der „Sex Love Dreams“-Trilogie des Norwegers Dag Johan Haugerud dar (die ersten beiden Beiträge waren im Vorjahr erschienen). Der Film berichtet – durchaus ein wenig betulich – von einer 17-Jährigen, die sich zu ihrer Lehrerin stark hingezogen fühlt, und von den sozialen Komplikationen, die sich daraus ergeben. Der literarisierende, novellenhafte Tonfall der Inszenierung ist kein Zufall: Haugerud ist neben seiner Kinokarriere auch Romanautor – und als Filmemacher ein Spätberufener; er war 47, als er 2012 sein Regiedebüt vorlegte. 

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.