Traumadeutung: Die Filmemacherin Johanna Moder tritt im Wettbewerb der Berlinale an
Mit einer bangen Frage und einer unverhandelbaren Forderung hat die aus Graz stammende Regisseurin und Autorin Johanna Moder vor rund 20 Jahren zwei ihrer frühen Kurzfilme betitelt: „Was passiert da in der Stille?“ und „Her mit dem schönen Leben!“ Beides passt nun auch zu Moders jüngster Regiearbeit, mit der sie in den Wettbewerb der in wenigen Tagen eröffnenden Berliner Filmfestspiele eingeladen wurde: „Mother’s Baby“ kreist um die sich zuspitzende mentale Krise einer Künstlerin, die sich ihren lang gehegten Kinderwunsch erfüllt, ihrem Baby dann aber mit einer Mischung aus neurotischer Sorge und Panik erzeugenden Fremdheitsgefühlen begegnet. Die Weltpremiere des Films findet am 18. Februar spätabends im Berlinale-Palast statt.
„Ein filmischer Lebenstraum“ sei das, bei einem der bedeutendsten Festivals Europas im Wettbewerb zu landen, sagt Johanna Moder, Jahrgang 1979, im profil-Gespräch. Hinter diesem Traum steht allerdings ein veritabler, real erlebter Alptraum: Denn „Mother’s Baby“ basiert auf eigenen Erfahrungen der Regisseurin. Schon im Herbst 2022 sprach sie – in einem Interview mit Karin Schiefer – über das Filmprojekt: Sie habe bei den Geburten ihrer beiden Kinder „einen Blumenstrauß an schlimmsten Erfahrungen gesammelt“, berichtet sie darin, habe sich „wie in eine außerirdische Sphäre katapultiert“ gefühlt – „als wäre ich auf einem anderen Planeten gelandet. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, verrückt zu werden.“
Um das Trauma filmisch überhaupt bearbeiten zu können, lud sie den deutschen Drehbuchautor Arne Kohlweyer ein, ihr Treatment weiterzudenken. „Ich hatte so etwas wie einen inneren Widerstand gegen diesen Film, habe ihn lange vor mir her- und eigentlich weggeschoben.“ Der Dreh sei dann, auch aus anderen Gründen, „wahnsinnig anstrengend“ gewesen. Sie habe sich, sagt Johanna Moder, „vor der emotionalen Wucht gewisser Szenen wirklich gefürchtet – und dann aber versucht, das all jenen, die mit mir daran arbeiteten, auch zu kommunizieren. Dann merkte ich, dass sich in der Wiederholung bestimmte Themen auflösen. Wenn man die Dinge bespricht, probt und dreht, verlieren sie ihre Gefühlshärte.“
„Nicht noch einmal anschauen“
Wirklich autobiografisch könne man den Film dennoch nicht nennen: „Meine Protagonistin führt als Dirigentin ein ganz anderes Leben als ich. Es finden sich jedoch etliche reale Bezugspunkte – Orte, Begegnungen und Menschen, die zu Figuren geworden sind und dabei ein Eigenleben gewonnen haben. Insofern ist der autobiografische Anteil vermutlich höher, als ich mir eingestehen möchte.“ Um zu veranschaulichen, wie persönlich das Werk letztlich geworden ist, erzählt sie eine Anekdote: „Mein Mann kannte das Drehbuch nicht. Er hat den Film nun gesehen und meinte, er werde ihn sich nicht noch einmal anschauen können.“
Johanna Moder neigt nicht dazu, sich in den Vordergrund zu drängen, im Feld der Wichtigtuerei sind andere besser. Sie kennt dafür ihr Metier sehr viel genauer, hat sich ihr Handwerk systematisch angeeignet, ihre Methoden verfeinert. 2001 hat sie, nach ein paar Lehrjahren am Theater, ihr Regiestudium an der Wiener Filmakademie begonnen, bei Peter Patzak („Kassbach“; „Kottan ermittelt“) gelernt. Nebenbei drehte sie Musikvideos und arbeitete an den Projekten bereits arrivierter Regiekräfte mit, war etwa 2003 am Set von Michael Glawoggers exzentrischer Komödie „Nacktschnecken“ für Continuity, für die Stimmigkeit von Drehbuch und Anschlüssen, zuständig.
Mit einem gewissen Stolz blickt sie auf die mehrheitlich weibliche Besetzung in „Mother’s Baby“: Nicht nur die deutsch-schweizerische Schauspielerin Marie Leuenberger tritt da in Szene, sondern auch die ebenso starke Charakterdarstellerin Julia Franz Richter. Mit der Schnittmeisterin Karin Hammer und dem Kameramann Robert Oberrainer arbeitet Johanna Moder seit fast 20 Jahren. Erste Signale, dass bei der Berlinale, die ab 13. Februar unter neuer Leitung, geführt von der US-Kuratorin Tricia Tuttle, stattfinden wird, ein leicht veränderter Spirit herrscht, kann man der Liste der Wettbewerbsfilme entnehmen: Acht dieser 19 Filme haben Frauen inszeniert.
Krasses Schweigen
Einen Genrefilm habe sie übrigens nicht machen wollen, meint Moder noch, der habe sich „eher von selbst ergeben“, weil dieses Drehbuch und auch die Finanzierung mit Förderungen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz wie von selbst gelungen seien. Es sei darum gegangen, das gesellschaftliche Schweigen zu psychischen Problemen in der Mutterschaft zu brechen. Sie halte es für „krass“, über wie viele Dinge nicht gesprochen werde. „Als jemand, der eine schreckliche und außergewöhnliche Erfahrung gemacht hat, habe ich erlebt, wie viele andere Menschen sich mir erst danach unerwartet geöffnet, mir ihre eigenen Geschichten erzählt haben. Die Welt wäre um einiges leichter zu ertragen, wenn unsere Gesellschaft offener wäre, wenn es normaler wäre, über Fehlgeburten oder Kindstode zu sprechen, auch zuzuhören und nicht gleich im Schock davonzulaufen, weil man mit dem eigenen Schmerz nicht konfrontiert werden will.“