Cecilia Bartoli und ihre Salzburger Pfingstfestspiele 2022
Von Manuel Brug
Alle lieben sie in Salzburg. Kein Wunder, Cecilia Bartoli ist nicht nur die berühmteste Mezzosopranistin im Klassikgeschäft, sie hat sich ihr Fach – gerne bringt sie große Konzeptalben für Barockes und Belcanto heraus – quasi selbst geschaffen. Sie ist ehrlich, sympathisch, dem Publikum stets zugewandt, von natürlicher, glücklich machender Ausstrahlung.
Deshalb ist Bartoli nicht nur seit 2012 Direktorin der enorm erfolgreichen Pfingstfestspiele in Salzburg (heute beginnt die viertägige Veranstaltung, Karten sind noch verfügbar) – und dies mindestens noch bis 2026. Nächstes Jahr übernimmt sie zudem die Intendanz der Opéra de Monte-Carlo. Salzburg aber ist der Kernschmelzpunkt ihrer Neuerfindung als Barock-Diva mit eigenwilliger Stimme. Hier wird alles auf sie zugeschnitten: das Programm, die Regie- und die Gesangskräfte, das von ihr gegründete Orchester Les Musiciens du Prince-Monaco unter dem willfährigen Gianluca Capuano.
Letztes Jahr freilich war La Bartoli bei ihren Pfingstfestspielen in Händels frühem Oratorium „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ vokal an ihre Grenzen gekommen. Noch mehr ebendort bei ihrem Konzertdebüt als klassizistischer Sturm-und-Drang-Jüngling Sesto in Mozarts Seria-Oper „La Clemenza di Tito“. Mit seltsamen Tempi und gequetschten Verzierungen tönte ihre Stimme nicht mehr richtig.
Hat das Konsequenzen? Nein. Die Fans wollen weiter jubeln. Schließlich ist Cecilia Bartoli immer noch einigermaßen Herrin ihrer Vokalmittel. Und sie weiß: Koloraturen kommen am besten gestoßen und geknallt, auch wenn die Kehlkopfmechanik inzwischen hörbar mitklappert. Sehr gut beherrscht sie nach wie vor das – bisweilen allerdings manieriert gedehnte – Langsame und Innige.
Am morgigen 4. Juni, mitten in den heurigen Pfingstfestspielen, wird Cecilia Bartoli ihren 56. Geburtstag feiern. Wer sie in all den wunderbaren Karrierejahrzehnten erlebt hat, fragt sich inzwischen, wie sie dem Altern, das auch ihrer Stimme nicht erspart bleibt, trotzen will. Passende Rollen gäbe es durchaus: Donizettis zänkische Norina beispielsweise, eine Witwe, die nicht ganz jung sein muss und dem alten Macho Don Pasquale Manieren beibringt. Die wollte sie, in einer historischen Mezzo-Fassung, eigentlich schon 2020 in Salzburg singen. Die Pandemie hat es verhindert, das Projekt wurde ersatzlos gestrichen. Auch von Vivaldis einzigem Oratorium „Juditha triumphans“ schwärmt sie. Diese biblische Kriegsheldin hat ihre Erfahrungen als Frau und Gattin ebenfalls gemacht.
Stattdessen jedoch singt Cecilia Bartoli gegen sich selbst an, auch gegen jene 22-jährige, die 1988 in einer (per DVD verfügbaren) Schwetzinger Festspielaufführung als Rossinis Rosina im „Barbier von Sevilla“ verzauberte. Oder gegen die Märchenfee Cenerentola, gleichfalls von Rossini, mit der sie in den frühen 1990er-Jahren die Bühnen der Welt im Sturm nahm. Rosina, eine junge Frau, raffiniert ihrem in sie verliebten Vormund trotzend, soll es jetzt nochmals in Salzburg sein. Und dann will sie, ein szenisches Debüt, Ende Juni an der Wiener Staatsoper das koloraturenzwitschernde italienische Aschenbrödel singen. Ihre Anhänger werden klatschen, andere wundern sich. Bartolis Rollenentscheidungen bleiben umstritten.