Trojanow zum Ukraine-Krieg: "Drei Schläge mit dem Holzstock"

Der Autor Ilija Trojanow kennt Osteuropa wie kaum ein anderer. Ein Gespräch über Blumen für Putin und Intellektuelle als Militärexperten.

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profil: Der Krieg in der Ukraine ist nicht der erste Konflikt, zu dem Sie um Ihre Ansichten gebeten werden.
Trojanow: Der erste Konflikt, den ich als öffentlich agierender Schriftsteller erlebt habe, war derjenige im ehemaligen Jugoslawien. Viele der Diskurse und Streitlinien wiederholen sich. Offensichtlich gibt es in jedem Krieg die Neigung mancher Teile der Gesellschaft, eine bedingungslose Umarmung des Militärischen zu akzeptieren, weil man das unfassbare Leid nicht erträgt. Mit einer gewissen Lebenserfahrung bemerkt man jedoch, dass sich auch diese Konflikte wiederholen-und dass es die Aufgabe der Intellektuellen sein sollte, sich Gedanken zu machen, wie diese grauenhaften Geschehnisse nicht mehr passieren können. Wir wissen, dass gewisse Faktoren und Haltungen-Herrschsucht, Nationalismus, Imperialismus, Egoismus, Ausbeutung-verlässlich zu Konflikten und Kriegen führen. Trotz der fast unerträglichen Bilder aus dem Krieg in der Ukraine darf die Frage nicht unbeantwortet bleiben, was die Wege, Ideale und Strategien sein können, wie Krieg endgültig überwunden werden kann.

profil: Dazu bleibt den Leuten in der Ukraine derzeit kaum Zeit.
Trojanow: Wenn man angegriffen wird, muss man sich verteidigen. Dazu braucht es keine große intellektuelle Rechtfertigung, das liegt in der Natur der Sache. Wir sind alle auf der Seite der Ukraine, wir unterstützen deren Selbstverteidigung. Das allein ist mir jedoch zu wenig als Haltung. Es gilt, den Krieg als Wunde und Pathologie der Menschheit endlich zu verdammen.

Einige öffentliche Kommentatoren sind lähmender Emotionalisierung anheimgefallen, die ihre Aussagen als Selbsttherapie missbrauchen

profil: Wie beurteilen Sie die bislang geäußerten Kommentare Ihrer Kolleginnen und Kollegen?
Trojanow: Vor zwei Jahren wurden viele im Schnellverfahren zu Virologinnen und Virologen. Inzwischen werden manche im Durchlauferhitzer zu Generälen. Das finde ich erstaunlich. Ich würde niemals über Flugverbotszonen reden. Als sogenannter Intellektueller muss man sich nicht zu jedem Thema äußern, erst recht nicht zu Themen wie Virologie und Militärtechnik, die spezifische Kompetenz benötigen. Einige öffentliche Kommentatoren sind lähmender Emotionalisierung anheimgefallen, die ihre Aussagen als Selbsttherapie missbrauchen. Es ist mehr als nachvollziehbar, dass man nicht weiß, wohin mit seiner Wut. Manchmal muss man sich aber darüber wundern, wie selektiv dieser Zorn zum Ausdruck kommt. Ich spürte große Wut bereits beim völkerrechtswidrigen Angriff auf den Irak und bei den unfassbar grausigen Bildern aus dem Jemen. Mir fällt es sehr schwer, nachzuvollziehen, wie man einen Krieg in Europa schlimmer finden kann als einen, der am Rand des Kontinents stattfindet. Unsere Aufgabe muss es sein, uns dieser allgemeinen Emotionalisierung zu widersetzen und der kritischen Analyse das Wort zu reden.

profil: Die da wäre?
Trojanow: Krieg entfärbt die Wahrnehmung zu Schwarz-Weiß-Malerei. Entwicklungen, die uns gerade positiv erscheinen, können später negative Folgen haben. Es ist verständlich, dass man Waffen an die Ukraine liefert. Man sollte aber bedenken, welche Nachteile massive Aufrüstung haben kann. Es ist nachvollziehbar, dass sich die Ukrainer um die Idee ihres zu verteidigenden Heimatlandes scharen-mir wird aber elend, wenn ich bedenke, welche Folgen Nationalismus haben kann. Die EU ist durch Länder unter Druck, die rein nationalistische Politik machen. Wir müssen den Frieden nach der Kriegszeit, langfristige Entwicklungen und größere Zusammenhänge mitdenken.

profil: Was ist die Aufgabe der Intellektuellen?
Trojanow: Es muss nicht deren Funktion sein, sich in die vereinte gesellschaftliche Front einzufügen, sondern Dinge und Ideen zu formulieren, welche Menschen gerade nicht hören wollen.

profil: Von Brecht stammt der Begriff des "eingreifenden Denkens".Wie ist es da bei Ihnen bestellt?
Trojanow: Brecht lag oft völlig daneben. Die Art, wie er die Sowjetunion verteidigte, ist unerträglich. In meinem Schreiben benenne ich die Probleme Osteuropas seit Jahrzehnten: die fehlende Aufarbeitung der totalitären Vergangenheit, die Kontinuität der Eliten, eine Piratisierung der Wirtschaft hin zu Oligarchien und Plutokratien.

profil: "Eine Meinung über die politische Lage gefällig? Es kostet nur drei Yen und geht im Stehen." Können Sie diesem Brecht-Zitat zustimmen?
Trojanow: Man kann leicht mit dem Strom schwimmen. Dreht man diesen Brecht-Spruch um, wird er interessanter: Eine Meinung gegen den Zeitgeist zu äußern ist schwer-und kostet drei Schläge mit dem Holzstock. Es gehört zu unseren Aufgaben, dem Lächerlichmachen des Pazifismus, das jetzt allenthalben zu beobachten ist, zu widersprechen: Hahaha, denkt ihr wirklich, ihr könntet mit Blumen gegen Putin etwas ausrichten? Das ist die Banalisierung des pazifistischen Gedankens, der natürlich viel tiefer geht und davon bestimmt ist, durch Verweigerung an allen Formen des Kriegerischen bereits in Friedenszeiten zu partizipieren, um irgendwann die Gewaltoption aus dem politischen Arsenal zu eliminieren. Wir dürfen unsere idealistischen Positionen nicht gänzlich kriegerischen Sachzwängen unterwerfen.

Ilija Trojanow, 56, ist ein deutscher Schriftsteller, Übersetzer und Verleger, der seine Kindheit und Jugend in Kenia, Nairobi und Paris verbrachte. 1998 übersiedelte er nach Mumbai, 2003 nach Kapstadt; seit einigen Jahren lebt er in Wien. Trojanow schrieb unter anderem die Bestseller "An den inneren Ufern Indiens" (2003) und "Der Weltensammler" (2006).Zuletzt erschien der Roman "Doppelte Spur" (S. Fischer).
 

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.