Ja, Panik?
'21 hätte so schön werden können und bleibt bisher doch stark hinter den Erwartungen zurück: Verfolgt man die Meldungen zum Sturm von Trump-Fans auf das US-Kapitol, die aktuell kursierenden Mutationen in Sachen Covid-19 und die österreichische Impfstrategie (obwohl: Strategie ist da ein großes Wort), so erscheint die Immer-noch-Vorfreude auf das neue Jahr, in dem endlich wieder alles proper wird, ein wenig verfrüht. Eine kleine Auswahl aus der internationalen Paniklage: „Ausgerechnet jetzt lernt das Virus zu sprinten“ schreibt „Zeit Online“ zur jüngsten Viruseskalation, „Mutierter Erreger auf dem Vormarsch: So können wir uns noch wehren“ ist im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zu lesen. Über die letzten Chaostage von Donald Trump titelt die „New York Times“ in großen Lettern: „Mob Incited by Trump Storms Capitol“, während Eva Linsinger und Christian Rainer im Innenpolitik-Podcast von profil über den „Machtkampf zwischen Kanzleramt und Gesundheitsministerium“ debattieren. Spoiler: Für die gemächliche Bürokratie, an die sich Österreich gewöhnt hat, haben wir keine Zeit mehr.
Es war nicht alles schlecht
Bei dieser Nachrichtenlage können wir hier in der profil-Redaktion froh sein, dass wir auf eine durchaus resolute und resiliente LeserInnenschaft zurückgreifen können. Im Dezember habe in an dieser Stelle nicht nur über das famose Lockdown-Album von US-Popstar Taylor Swift geschrieben, ich habe bei Ihnen, unseren LeserInnen, auch nachgefragt, wie Sie das letzte Panikjahr so überstanden haben, welche Überlebensstrategie Sie sich zugelegt haben – und mit welchen Ritualen Sie so durch den Tag kommen. Die Antworten waren durchaus positiv bis launisch („Habe mir Geld erspart und Wohnung zum Teil hergerichtet“, schrieb mir Leser Wilhelm Z.). Alf H. erfreut sich seit dem ersten Lockdown einer alten Liebe, dem Schachspiel, während Leser Harald N. gleich seinen gesamten Jahresurlaub in Schweden verbracht hat. Klar: viel Land, wenig Leut'. Ich kann's gut verstehen.
Leserin Ingrid K. meint, dass die Menschen in ihrem Umfeld im letzten Jahr trotz fehlender Sozialkontakte enger zusammengerückt sind, dass man sich gerade in der Nachbarschaft heute umso mehr gegenseitig unterstützt. Leser Karl F., der im letzten April seinen Vater verloren hat, haben vor allem zwei Songs durch das Coronajahr getragen: „Show Them the Way“ von Stevie Nicks und „No Better Time“ von Kacey Johansing, während ein weiterer Leser die Krautrock-Supergroup Harmonia (ein Interview aus dem profil-Archiv können Sie hier nachlesen) für sich entdeckt hat. Sehr gute Wahl, kann ich da nur sagen.
Apokalypse oder Revolution?
Zum Schluss noch eine erfreuliche Nachricht in Sachen Panik. Die aus dem Burgenland stammende, seit ewigen Zeiten von Berlin aus operierende, mit gesundem Pessimismus ausgestattete Band Ja, Panik hat nach jahrelanger Sendepause just am 1. Jänner 2021, null Uhr, ein neues Lied veröffentlicht. Titel des Neujahrsbabys: „Apocalypse or Revolution“, das kann kein Zufall sein (das dazugehörige Album erscheint im April). In dem sechsminütigen, deutsch-englisch-italienischen Poesiestrom stellt Sänger Andreas Spechtl die große Gegenwartsfrage, die bei Ja, Panik auch in Richtung Zukunft weist: „Dystopian Dreams / Ein Monster heilig und scheu / So alt ist die Zeit / Nur der Morgen der ist neu / Du wachst auf / Du gehst raus / Wer hat gerufen / Apocalypse or Revolution?“
Alles wird gut.
Philip Dulle