Über Simon Stone: Die Gegenwart der Texte
Als eine Art Wunderkind des Theaterbetriebs startete der in Basel geborene, in Cambridge und Melbourne aufgewachsene Australier Simon Stone seine Karriere. Mit 22 gründete er eine unabhängige Theatertruppe und begann sofort zu inszenieren. Die Schauspielerei, bis heute das Gravitationszentrum seiner Kunst, begriff und praktizierte er früh – schon als Teenager trat er in Fernsehserien, Filmen und Werbespots auf. Das kosmopolitische Leben seiner Eltern, eines Biochemikers und einer Tiermedizinerin, führte er bruchlos weiter: Simon Stone ist als unablässig arbeitender und weltweit gefragter Künstler ein Dauerreisender, er stellt seit seinem internationalen Durchbruch vor gut zehn Jahren Theater-, Opern- und Filmproduktionen in Europa, Australien und den USA her.
Stones spezielle, allerdings nicht unumstrittene Methode liegt darin, Klassiker zu „überschreiben“, neu zu formulieren, ins Hier und Jetzt holen. Seine sprachlich aktualisierten Fassungen kanonisierter Dramen von beispielsweise Frank Wedekind, Anton Tschechow, Seneca, Aristophanes und Euripides führen einen hochtalentierten Autor vor, dessen geschärfter Sinn für gegenwärtige Debatten und Sprechweisen evident ist; allerdings trägt ihm der kühne Versuch, historische Textmonumente zu (post)modernisieren, neben viel Verehrung regelmäßig auch den Vorwurf ein, die Sprachgewalt seiner Vorlagen nicht zu respektieren, aus August Strindbergs Texten Telenovelas zu machen und Maxim Gorkis Dramen zu Szenenfolgen aus dem Instagram-Zeitalter zu banalisieren. Aber Stone ist sich seiner Sache sicher: „Es wäre in meinen Augen falsch, die zeitlose Gültigkeit eines Werks dadurch zu verunklaren, dass man sie in einer Vergangenheit belässt, die uns fremd und nur bedingt erfahrbar ist.“
Seine Fassungen entstehen in aller Regel erst während des Probenprozesses, Stone schreibt von Tag zu Tag, bringt Textvorschläge ein, die über kollektive Improvisation verdichtet werden; seine Ensembles fordert er kreativ heraus, und er vertraut auf die schöpferische Energie seiner Schauspielkräfte.
Inzwischen ist Simon Stone 38 und längst nicht mehr nur für sein Theater bekannt. Er inszeniert – wenn es seine Bühnenbuchungslage zulässt – Filme, wurde mit „The Daughter“, seiner Version der Ibsen’schen „Wildente“, 2015 zu den Filmfestspielen in Venedig eingeladen, und er hat zuletzt auch für Netflix („Die Ausgrabung“, 2021) gearbeitet; als Opernregisseur beginnt er erst, sich zu etablieren. Seit 2016 versucht er sich an musiktheatralischen Vorlagen, hat Werke von Erich Korngold (am Theater Basel) und Aribert Reimann (für die Salzburger Festspiele) auf die Bühnen gebracht, und auch vor Gegenwartsopern schreckt er keineswegs zurück: Die Produktion „Innocence“ der finnischen Komponistin Kaija Saariaho präsentierte Stone in Aix-en-Provence und im Londoner Covent Garden; an der Wiener Staatsoper hat er die „Traviata“ und Alban Bergs „Wozzeck“ inszeniert.
Nach acht Jahren in Wien lebt er gegenwärtig mit seiner Familie in London, um zur Abwechslung weniger reisen zu müssen, wie er sagt; denn nur in der britischen Metropole würden Opern-, Theater- und Kinobetrieb gleichrangig nebeneinander existieren. Für ihn somit: perfekt.