Ulrike Ottinger im Filmmuseum: Der Kampf ist nicht vorbei
Zu Wien hat Ulrike Ottinger eine spezielle Beziehung. Hier hat sie 2007 ihren Dokumentarfilm "Prater" gedreht, und seit damals hatte sie auch ihr Filmprojekt "Die Blutgräfin" verfolgt, das sie mit Tilda Swinton und Isabelle Huppert in den unterirdischen Zonen Wiens realisieren wollte. Das Drehbuch zum Mythos der ungarischen Mörderin Elisabeth Báthory ist bis ins letzte Detail ausgearbeitet, und fast wäre die Finanzierung vor wenigen Jahren gelungen, aber dann brach das Projekt doch noch zusammen. Abgeschlossen hat sie damit nicht, aber seine Realisierung ist in weite Ferne gerückt.
Daran kann man sehen, wie schwierig es auch für etablierte Künstlerinnen wie Ulrike Ottinger ist, Filme in die Welt zu setzen. Dem Mainstream wird sie nie angehören, ihr Reich liegt in den Katakomben des Alternativen, ihr Hauptspielfeld in der Erforschung des (räumlich und kulturell) Entlegenen. Ottinger, geboren in Konstanz, lebt seit fast 50 Jahren in Berlin, hat wilde Spielfilme gedreht und sehr genaue dokumentarische Arbeiten, sie ist als Fotografin weltweit geschätzt, hat bildende Kunst geschaffen, Bühnenbilder gemacht, theatralisch gearbeitet. Es stellt keine große Übertreibung dar, wenn man sie als Universalkünstlerin bezeichnet. Am 6. Juni wird sie nun, ungebrochen aktiv, 80 Jahre alt. Dieser Tage weilt sie erneut in Wien, um den Start ihrer im Österreichischen Filmmuseum stattfindenden Retrospektive persönlich zu begleiten.
In ihren Filmen betreibt Ulrike Ottinger die poetische Erweiterung der Wirklichkeit, entwirft bewusst künstliche, oft surreale Welten. Ihr gemeinsam mit Tabea Blumenschein realisiertes Debüt "Laokoon und Söhne" (1975) basierte bereits auf Virginia Woolfs proto-queerem Roman "Orlando".In ihrer Berlin-Trilogie-"Bildnis einer Trinkerin" (1979), "Freak Orlando" (1981) und "Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse" (1984)-dachte sie den neuen deutschen Film als New-Wave-Experiment, als postmoderne Kuriositätenschau neu. Ganz andere Stilistiken weisen Ottingers Dokumentarfilme auf. Werke wie "Taiga" (1992) oder "Exil Shanghai (1997) zeugen von einem hohen ethnografischen Interesse.
"Als ich jung war, unterstellte man mir gern, es, halt nicht richtig zu können'."
"Paris Calligramme", ihr 2021 erschienener, bislang jüngster Film, ist ein Werk der Selbsterforschung, eine Reise zurück in die Zeit ihrer künstlerischen Initiation, in die frühen 1960er-Jahre, nach Paris. Mit 20 kam Ottinger in der Metropole an, wurde schnell Teil der dortigen Künstlerkolonie. "Dieser Film war gar keine so retrospektive Reise", sagt Ulrike Ottinger im profil-Gespräch. Denn die Zeit ihrer Formation habe sie stets "begleitet".Viele ihrer Künstlerfreunde seien im Algerienkrieg gewesen, "diese Erfahrungen, auch die großen sozialen Veränderungen in Frankreich-das Erbe des Kolonialismus-haben mich politisiert". Als Künstlerin machte Ottinger damals Pop-Art, der man in Paris stark misstraute.
Der Kampf um weibliche Selbstbestimmung, den sie seit damals mit aller Vehemenz führt, sei selbstverständlich weiter zu forcieren. "Es war immer schon schwierig, besondere Filme zu machen. Aber wenn man dazu auch eine Frau war, wurde es noch einmal sehr viel schwieriger. Als ich jung war, wurde mir angesichts meiner Kinoexperimente gern unterstellt,, es halt nicht richtig zu können'. Was bei einem jungen Mann genial gewesen wäre, galt bei mir als Dilettantismus. Das passiert mir inzwischen nicht mehr, aber ich erinnere mich gut daran."In Sachen Feminismus habe sich einiges zum Besseren hin entwickelt, "aber es gibt immer wieder Rückschritte". Das sei eben ein Hin und Her, sagt sie ganz unaufgeregt, sehr sachlich. Aber die Notwendigkeit einer lückenlosen Emanzipation sei im Bewusstsein der Menschen angekommen. Insofern hat der Kampf sich gelohnt. Auch wenn er noch nicht vorbei ist.
Werkschau Ulrike Ottinger: zu sehen bis 30. Juni im Wiener Filmmuseum. Am 29. und 30. Mai wird die Künstlerin noch persönlich anwesend sein und ihre Werke erläutern.