Nachruf

Unlöschbares Feuer: Zum Tod des Filmemachers, Musikers und Malers David Lynch

Die surrealen Bild- und Klangwelten, die er schuf, haben das Kino in dessen Grundfesten erschüttert – und bereichert. Nun ist der amerikanische Künstler David Lynch kurz vor seinem 79. Geburtstag verstorben. Erinnerung an einen Unnachahmlichen.

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Das Ende kam dann doch viel schneller als erwartet. Man hatte gehört, dass er krank war, an einem Lungenemphysem litt, kaum noch Luft kriegte. Die gute Nachricht jedoch sei, so ließ er im vergangenen Sommer wissen, „dass ich bis auf das Emphysem in ausgezeichneter Verfassung bin“. Er sei absolut glücklich, sagte er noch, und werde „niemals in den Ruhestand treten“.

Aber das Feuer, an dem er sich in seinen Filmen stets ehrfürchtig, wie an einem heimtückischen Freund gewärmt hatte, beschleunigte seinen Abgang. Denn vor wenigen Tagen musste der Künstler David Lynch sein Haus in Los Angeles verlassen, von dem er gedacht hatte, er werde den Rest seines Lebens darin verbringen können. Denn die zerstörerischen Januar-Feuer hatten sich auch seinem Heim in den Hollywood Hills entgegen gefressen, in nächster Nähe zum mythischen Mulholland Drive, den er 2001 mit einem gleichnamigen Mystery-Thriller verewigte. 

Prophetisch klingt nun der Titel jenes Films, den er vor über drei Jahrzehnten seiner epochalen „Twin Peaks“-Fernsehserie (1990/91) folgen ließ: „Fire Walk With Me“ (1992), das war, wie stets bei Lynch, eine riskante Mischung aus trügerischer Kleinstadtidylle und abgründiger Gewalt. „Wild at Heart“, das war Lynch sowieso, einer, dessen Inszenierungen einen hauchzarten Kern hatten, wie blauer Samt („Blue Velvet“) wirken konnten; und die einsamen Stunden auf dem todesdunklen „Lost Highway“, dessen Finsternis nur vom monotonen Flackern des weißen Mittelstreifens im Autoscheinwerferlicht erhellt wurde, wusste er zu genießen. Nun hat er auch seinen Titel von 1992 noch mit Biografischem erfüllt, hat seinen Spaziergang mit dem Feuer absolviert, den letzten seines Lebens.

Lediglich zehn Spielfilme drehte Lynch zwischen den frühen 1970er-Jahren, als er an seinem epochalen Debüt „Eraserhead“ arbeitete, und 2007, als er „Inland Empire“, seine standesgemäß wahnwitzige letzte Kinoarbeit vorlegte. Dazu kam jedoch eine Reihe von Musikprojekten, die Malerei, die er so liebte, sowie ein paar legendäre Fernsehserien, darunter drei Staffeln seiner unsterblichen „Twin Peaks“, deren letzte erst 2017 on air ging: Jede der 18 rund einstündigen Episoden dieser dritten „Twin Peaks“-Season hatte er selbst inszeniert. 

Die Subversion des Lynch’schen Kinos ergibt sich aus dem Direktzugang, den er sich ins Unbewusste seines Publikums verschafft hat. Zur Analyse seiner frühkindlichen Prägungen ist kein Psychoanalytiker nötig: In seiner Kindheit baute David Lynch mit seinen Freunden Bomben, mit denen er versuchte, die  Swimmingpools in seiner Nachbarschaft zu sprengen. In den sechziger Jahren hatte der Kunststudent kurz vor, ausgerechnet in Salzburg zu studieren, bei Oskar Kokoschka.

„Es hieß, er lehre dort in der Festung, hoch über der Stadt“, erzählte Lynch in einem profil-Interview 2007. Kokoschka traf er nicht an, und Salzburg war ihm „unglücklicherweise von Anfang an zu sauber: Das war einer der saubersten Orte, die ich je gesehen hatte. Ich liebte den Geruch der Stadt, die Bäume. Für mich und meine Arbeit aber war es da zu steril. Ich verließ Salzburg fluchtartig, fand aber in ganz Europa keinen Ort für mich.“ Er müsse allerdings, fügte er hinzu, betonen, dass er damals auch in Amerika keinen Ort fand, der sich richtig angefühlt habe. Bis er nach Los Angeles kam. Seither war er den Ideen, die ihm jener Ort vermittelte, ausgeliefert.

Das Bizarre liebte Lynch mehr noch als das Grauen, das er so nachhaltig zelebrierte, sogar seine Verleihfirma trägt den Namen Absurda. Er kreiere „gar nichts“, sagte er im Gespräch damals noch – „ganz ehrlich: Keiner von uns bringt irgendetwas hervor. Auch der Koch stellt ja den Fisch, den er zubereitet, nicht selbst her. Er fängt ihn nur, dann präpariert er ihn.“ Eine visuelle Idee sei genau wie ein Fisch. Sie sei plötzlich da, obwohl sie vor ein paar Augenblicken noch nicht in Sicht war. Imagination sei nichts anderes „als das Fangen von Ideen“.

Nun also ist David Lynch gestorben, wenige Tage vor seinem 79. Geburtstag. Sein Körper, geschwächt von Jahrzehnten des Zigarettenkonsums und wohl auch vom Raubbau seiner unablässigen kreativen Anstrengungen, musste am Ende aufgeben, aber die eigenwilligen Bilder und beunruhigenden Töne, die er geschaffen hat, sind unzerstörbar. Sie haben das Kino fundamental geprägt und verändert, haben Filmgeschichte geschrieben, weltweite Strahlkraft entwickelt. Unlöschbares Feuer.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.