Venedig 2019: Der abgründige Schauspieler Joaquin Phoenix brilliert als „Joker“
Cesar Romero hat ihn 1966 – noch etwas überkomödiantisch – gespielt, während Jack Nicholson 1989, in Szene gesetzt von Tim Burton, trotz Make-Up genuin er selbst (also stets leicht sediert) blieb; erst Heath Ledger verpasste der Rolle 2007, wenige Monate vor seinem frühen Tod, in „The Dark Knight“ einen Modernisierungsschub, gab den Killer im Clown-Outfit als pervertierten Rockstar. Die Figur des Joker, der als Batmans mörderischer Gegenspieler Comics-Geschichte schrieb, bietet offensichtlich viel Interpretationsspielraum. Wer immer also die genannten Schwergewichte darstellerisch beerben wollte, musste erstens Substanz bieten und zweitens einen ganz eigenen Ton anschlagen. Dazu kamen nicht viele US-Schauspieler in Frage – aber Joaquin Phoenix muss sich auf allen diesbezüglichen Casting-Listen gefunden haben. Wie drastisch er nun in der jüngsten „Joker“-Adaption den Titelhelden anlegt, der in gezeichneter Form bereits seit 1940 durch Batmans düstere Welt streift, muss man tatsächlich, um es glauben zu können, mit eigenen Augen gesehen haben. Regisseur und Co-Autor Todd Phillips, eigentlich als Comedy-Spezialist bekannt („The Hangover“), überlasst Phoenix die Bühne für ein Soziopathen-Porträt, das an Dringlichkeit und Faszinationskraft nichts vermissen lässt.
Dabei ist Phillips’ „Joker“ weder ein Superheldenfilm à la „The Avengers“ noch eines der sonst üblichen technizistischen Hollywood-Spektakel, sondern eine klug an das amerikanische Kino der 1970er- und 1980er-Jahre angebundene Charakterstudie; nicht ohne Grund zitiert Phillips zwei Hauptwerke Martin Scorseses – die Radikalisierungschronik „Taxi Driver“ (1976), vor allem aber die finstere Mediensatire „The King of Comedy“ (1983) – ganz direkt. Robert De Niro spielt auch in „Joker“ einen zentralen Part – als zynischer TV-Talkshow-Host. Phoenix’ radikal körperlich verstandenes Porträt eines Chancenlosen und Missbrauchten, der sich – als Clown verachtet und geprügelt – vom Opfer zum Täter wandelt, wäre an sich schon ein guter Grund, diesen Film zu sehen; wundersamerweise ist er zudem erstklassig geschrieben und wuchtig inszeniert, als gewalttätige Tragödie, in der die Vorgeschichte zum Duell mit dem Dunklen Ritter detailliert wird. Batmans Alter Ego Bruce Wayne ist in dieser „Joker“-Verfilmung noch ein Kind.
Zwangsgelächter in den Ohren
Der Wettbewerb der 76. Mostra am Lido hat sich, nach starkem Start mit den neuen Filmen von Noah Baumbach, James Gray und Roman Polański, mit einer leisen (Pablo Larraíns bedeutungsschwangeres Beziehungsdrama „Ema“) und einer herben Enttäuschung (Olivier Assayas’ kubanische Spionage-Banalität „Wasp Network“) kurzfristig ins Mittelmaß verabschiedet – und mit Pietro Marcellos politisch komplexer Jack-London-Verfilmung schon wieder rehabilitiert; die Einbindung einer außerordentlichen, jeden Ton exakt treffenden Hollywood-Studioproduktion wie „Joker“ in den Kampf um den prestigeträchtigen Goldenen Löwen ist jedenfalls nötig und richtig. Das gespenstische Zwangsgelächter des Joaquin-Joker klingt einem noch Tage später in den Ohren.