Venedig 2019: James Grays futuristisches Existenzdrama "Ad Astra"
Es ist – per aspera ad astra – nicht leicht, zu den Sternen zu gelangen, und doch sind ihre Faszination, ihr Magnetismus offenbar unverbrüchlich. Der alte Menschheitstraum, der so gut zu den Sehnsüchten passt, die auch Filmfestivalgäste gelegentlich hegen (wo sonst ist man "den Stars so nah"?), wird in "Ad Astra", James Grays neuem Film, noch einmal durchexerziert. Im Wettbewerb des vor wenigen Tagen gestarteten Filmfests am Lido gehört er derzeit zu dessen attraktivsten Kandidaten, auch weil er mit gleichsam doppelter Star-Power hantiert: mit einer lebensgefährlichen Mission, die zu den Sternen führt, und mit dem Astronautendarsteller Brad Pitt. Er spielt den einsamen Helden dieses Films wie eine Maßnahme gegen sein sonniges Image, streng kontrolliert, in sich gekehrt, mit fast tonloser Stimme und leerem Blick. Er macht sich, nach einer unerklärlichen Welle an All-Stromschlägen, die unzählige Raumstationen schwer beschädigt und Zigtausende Menschenleben fordert, via Mond und Mars auf die Reise Richtung Neptun, um seinen mutmaßlich durchgedrehten, seit anderthalb Jahrzehnten totgeglaubten Vater (Tommy Lee Jones) zu finden.
Gray setzt nur wenige Suspense- oder Aktionsmomente ein, sein filmischer Trip ist eher kontemplativ als spektakulär, existenzialistisch statt kinetisch. Man sieht, dass er sich weniger der zeitgenössischen Hollywood-Science-Fiction als Regisseuren wie Stanley Kubrick ("2001"), Terrence Malick ("The Tree of Life") und Andrei Tarkowski ("Solaris") verbunden fühlt. Die politischen Untertöne seiner Erzählung, der Ekel vor einem seine Kriege institutionalisierenden Amerika und dem sich fraglos auch ins Weltall ausbreitenden Kapitalismus sind spürbar. Dies alles lassen Pitt und Gray auf ihrer Reise in die Stille und die Finsternis schließlich hinter sich: Ein paar Milliarden Kilometer von der Erde entfernt, geht das gespenstisch ruhige, fast schon antiklimaktische Finale dieses Films über die Bühne. Man hätte ihn auch "Dark Side of Neptune" nennen können.
Wo Gray ins Futuristische ausweicht, um von Machterhalt, entgleisendem Forschungsdrang und familiärer Isolation zu erzählen, zieht sich der polnische Regieveteran Roman Polański, 86, ins Historische zurück, in die späten Jahre des 19. Jahrhunderts: Sein Justizdrama "J’accuse" rekapituliert die berüchtigte Pariser Dreyfus-Affäre. Polański findet in edlen Kulissen (und unter Mitarbeit eines virtuosen Ensembles französischer Charakterdarsteller rund um seinen Helden Jean Dujardin) mit der ihm eigenen inszenatorischen Präzision zu Wegen, die Verschränkung von Militärhybris und Antisemitismus anschaulich zu machen. Auch dies: eine Überraschung.