Viennale 2017: Ausnahmezustand in Österreichs größtem Filmfestival

Viennale 2017: Ausnahmezustand in Österreichs größtem Filmfestival

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Der jähe Tod seines Direktors überschattet die Viennale. Eine gewisse Morbidität liegt über der diesjährigen Ausgabe des Filmfestivals (19. Oktober bis 2. November). Der Totenkult ist dabei keineswegs auf Hans Hurch beschränkt, der am 23. Juli in Rom einer Herzattacke erlag. Schon der Eröffnungsfilm dreht sich um einen großen, jüngst Verstorbenen des amerikanischen Kinos: den Schauspieler Harry Dean Stanton. In John Carroll Lynchs Regiedebüt "Lucky“ ist er 90-jährig noch einmal zu bewundern, als einsamer Sonderling, der sich in einer Kleinstadt mit dem nahenden Ableben auseinanderzusetzen hat. Einer Reihe weiterer Toter der letzten Monate wird außerdem - in quer über das Programm verteilten Filmen - gedacht, von Jerry Lewis bis Jeanne Moreau, von Chuck Berry bis zu Jonathan Demme.

Als Festival "von und für Hans Hurch“ hat man die heurige Viennale konzipiert, vorgeplant noch von diesem selbst, zu Ende geführt nun von Ex-Stadtkino-Chef Franz Schwartz, der als Interimsdirektor ausdrücklich nur bis November zur Verfügung stehen will. Ausgestattet mit einem hochsentimentalen Trailer von Abel Ferrara, einer veritablen Hurch-Elegie, und einer stolzen, 14 Filme umfassenden Sonderschau in Erinnerung an den Viennale-Leiter, kann man das Festival auch als große posthume Personality-Show verstehen.

Die rückhaltlose interne Verklärung des 20 Jahre lang amtierenden Direktors läuft jedenfalls auf Hochtouren; im "Falter“, einem der Viennale-Medienpartner, schreibt Armin Thurnher, in Kuratorium und Vorstand der Viennale aktiv, gar vom "weltbesten Filmfestival-Direktor“, und das Erinnerungspathos glänzt in den Texten des Katalogs überall. Man mag darüber spekulieren, ob Hurch diese Art der Feierlichkeit geschätzt hätte.

Christoph Waltz als Stargast

Das Programm glänzt dennoch mit gewohnter Qualitätsabmischung, wenn auch nicht unbedingt mit Überraschungen und Neuentdeckungen: Ein Schauspieler wie der Wiener Christoph Waltz ist als Stargast eine auch in Richtung Boulevard schillernde Wahl - und ein inhaltliches Problem, da es neben den beiden bekannten Tarantino-Werken ("Inglourious Basterds“ und "Django Unchained“) kaum Waltz-Filme gibt, die dem Niveau der Viennale überhaupt entsprechen. Also bleibt der Tribut auf sechs Werke beschränkt; und selbst jener Film, den man zur großen Waltz-Gala am 24.10. gewählt hat, Roman Polańskis "Gott des Gemetzels“ (2011), bietet wenig mehr als well-made cynicism. Kleine Retrospektiven zur Arbeit der Berliner Filmemacherin Valeska Grisebach und zu jener des französischen Ausnahmedokumentaristen Raymond Depardon entschädigen dafür, ebenso die Programmschienen zum analogen Kino und zum Werk der altösterreichischen Stummfilmdarstellerin Carmen Cartellieri ("Orlacs Hände“, 1924).

Die Viennale ist ein Verein, der nicht allzu transparent agiert. Die Zusammensetzung des 15-köpfigen Kuratoriums etwa, in dem auch Franz Schwartz sitzt, ist öffentlich nicht einsehbar. Mit rund 2,8 Millionen Euro Budget führt man heuer den Betrieb; durch den kurzfristigen Ausfall des Sponsors A1 - dem Vernehmen nach gab dieser sein Ausscheiden wenige Tage vor Hurchs Tod bekannt - sind die Finanzen heuer deutlich angespannter als sonst, wie die langjährige Geschäftsführerin der Viennale, Eva Rotter, erklärt. Sie sah sich, gemeinsam mit Franz Schwartz, mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert, das Festival in jeder Hinsicht so zu gestalten, wie Hans Hurch es sich gewünscht hätte. Es liegt nahe, dass der Verein und Wiens Kulturpolitik nun mehr denn je auch in der Frage seiner Nachfolge den oft geäußerten Wünschen entsprechen wollen werden: Hurch hatte sich - schon seines Misstrauens gegen weite Teile der heimischen Filmbranche wegen - explizit für eine internationale Lösung starkgemacht.

Baustellenangebot

Wer die Viennale 2018 leiten wird, steht aber weiterhin in den Sternen. Noch immer liegt keine Ausschreibung vor, obwohl am nächstjährigen Festival längst gearbeitet werden müsste. Unmittelbar nach Ende der heurigen Ausgabe werde der Verein die Direktion ausschreiben, erklärt Rotter im Gespräch mit profil - und hält dies, mit Verweis auf die Leistungsfähigkeit des eingespielten Teams, für früh genug. Doch die Zeit drängt: Die ersten Hearings können nun frühestens Mitte Dezember beginnen, realistischerweise wohl erst Anfang 2018. Selbst wenn die neue Führungskraft noch im Januar designiert werden sollte, stellt sich die Frage, wie sich diese in lediglich neun Monaten einarbeiten, eine eigene Vision für dieses Festival entwickeln und gleich auch umsetzen soll. Ein gutes Filmfestival zu gestalten, bedeutet ja nicht nur, eine Liste hochklassiger Filme zusammenzustellen, sondern auch in größerem Stil kuratorisch ans Werk zu gehen: politische Arbeit zu betreiben, strategische Entscheidungen zu treffen, Programmlinien zu setzen, Kontakte herzustellen und zu pflegen.

Film-Imperium

Die Viennale wurde unter Hurch, mit tat- und zahlungskräftiger Mitarbeit des Wiener Kulturstadtrats Andreas Mailath-Pokorny, zu einem kleinen Film-Imperium, dem auch das - aufgrund seiner Größe und der überhöhten Mietkosten - schwer zu finanzierende Gartenbaukino am Ring ebenso angeschlossen ist wie das kommunale Stadtkino im Künstlerhaus mit dem dazugehörigen Arthouse-Filmverleih. Zudem hatte Hurch auch das Filmarchiv Austria, das zwar autonom betrieben wird, unter seine Fittiche genommen - und viele der Filmarchiv-Programme gestaltet. Es ist kein Geheimnis, dass Hans Hurch stets wie ein Mentor auftrat, um die Position des Filmarchiv-Chefs Ernst Kieninger gegen das als Konkurrenz erachtete Österreichische Filmmuseum zu stärken.

Mit dem Stadtkino, das seit 2009 von Claus Philipp geleitet worden war, haben Schwartz - der Kino und Verleih davor 27 Jahre lang geführt hatte - und Rotter aktuell eine weitere offene Baustelle: Vor zwei Wochen trennte man sich, offiziell "einvernehmlich“, von Claus Philipp, um Gartenbaukino-Geschäftsführer Norman Shetler als Stadtkino-Chef zu installieren, der nun beide Jobs parallel erledigen soll - unter stärkerer Betonung neuer österreichischer Filme, für die es eine gut dotierte eigene Kinostartförderung gibt. Dies allerdings klingt gefährlich nach inhaltlicher Ausdünnung, genoss das Stadtkino doch Jahrzehnte lang den Ruf des künstlerisch wohl mutigsten Arthouse-Verleihs Österreichs. Wenn es nun nur noch darum gehen soll, möglichst kostenschonend zu agieren, könnte man das Feld auch gleich dem Rest der Programmkinoszene überlassen. Der Kurs, den die Viennale, kaum bemerkt von der Öffentlichkeit, in dieser Causa fährt, entspricht der internationalen Reputation, die sie in ästhetischen Belangen genießt, nicht.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.