Viennale: Wahn und Anmut
Sechs Kinos, 13 Tage, 300 Filme aus 40 Ländern. Wenn man das traditionell opulente Programm der Viennale auffaltet, für das man selbst bei Kleindruck mindestens das A3-Format benötigt, kann einen angesichts des Farbcode-, Titel- und Namengeflimmers schon leichter Schwindel beschleichen. Die meist recht inhaltslastig gehaltenen Texte des Katalogs geben oft auch wenig Aufschluss darüber, wie sinnvoll der Erwerb eines Tickets sein könnte; schließlich ergibt eine gute Geschichte noch lange keinen herausragenden Film – und umgekehrt sind oft Themen, die einen zunächst gar nicht interessieren, probate Grundlagen für außerordentliche filmische Leistungen.
Wo also soll man beginnen? Vorschlag zum leichteren Einstieg: bei den Komödien. Denn das bald ablaufende Kinojahr hat eine Menge großer exzentrischer Lustspiele wie Michael Covinos „The Climb“ hervorgebracht, die sich nun auch im Viennale-Programm wiederfinden: „Booksmart“, das Regiedebüt der US-Schauspielerin Olivia Wilde beispielsweise, ist eine erfrischend wilde, weiblich geprägte Highschool-Comedy, reich an Neurosen, Lebensweisheiten und erstklassigen Pointen. Ein Trennungsfilm wie Noah Baumbachs „Marriage Story“ wiederum fühlt sich, aufgrund perlender Regie- und Darstellungsleistungen (Scarlett Johansson, Adam Driver), wie eine (Tragi-)Komödie an, auch wenn alles darin Geschilderte todtraurig sein mag. Die wohl wagemutigste Groteske hat aber der Schwede Roy Andersson vorgelegt: „Über die Unendlichkeit“ heißt sie.
Im Sinne einer stufenlosen Erhöhung des Schwierigkeitsgrads könnte man sich dann den kühler formalisierten, aber mitreißenden Gegenwartsdramen zuwenden – etwa dem neuen Film der belgischen Dardenne-Brüder, „Le jeune Ahmed“, dem Protokoll einer Radikalisierung. Oder dem italienischen Meisterwerk „Martin Eden“, inszeniert von Pietro Marcello: ein anhand der Geschichte eines Karrieristen entfesseltes freies Spiel der Zeiten und Bilder. Wer wissen möchte, was der aktuelle Autorenfilm kann, sollte dieses Werk keinesfalls verpassen.
Fortgeschrittene wagen sich schließlich in die experimentellen Gefilde, die diese Viennale auch abschreitet: Die kleine Werkschau, die das Festival der 16mm-Filmkünstlerin Silvia das Fadas widmet, wird die Sinne erfreuen. Um Kino-Schönheit im ganz elementaren Sinne geht es auch Lukas Marxt, der mit „Ralfs Farben“ einen bildgewaltigen Film über den Zusammenhang von Wahn und Anmut gedreht hat. Zuletzt sei die monumentale, traditionell im Filmmuseum angesiedelte Retrospektive der Viennale empfohlen (Näheres dazu finden Sie auf den ersten beiden Seiten des Kulturteils dieser Ausgabe): Filme über den Mut der Partisanen, Widerstand gegen den Faschismus zu leisten, sind eben nicht bloß Geschichtslektionen, sondern auch politisches Bildungsmaterial, das wir alle dringend brauchen können.