Visionär und widerständig: Dietmar Steiner
Als sich Dietmar Steiner 2016 vom Architekturzentrum Wien (Az W) verabschiedete, das er 23 Jahre lang geleitet hatte, lud er – zur Vorbereitung einer finalen Ausstellung namens „Am Ende: Architektur“ – auf seinen Hof in die Waldviertler Gemeinde Nöchling ein. Meine Kolleginnen und ich waren im Zuge der Recherchen zu ihm gekommen, er kochte Spaghetti Bolognese, fuhr, um die besten Bratwürste zu kriegen, bis nach Wels, und wir führten lange Gespräche über die Baukunst.
Irgendwo lag ein Jugendfoto herum: Steiner in seinen frühen Zwanzigern mit Bärtchen und Hippiefrisur, die Augen geschlossen, verschmitzt lächelnd, von einer Aura der Möglichkeiten umgeben. Mit unzähligen Ausstellungen sollte er später Pionierarbeit leisten; er führte hitzige Debatten, in denen er – ehrlich bis zur Schmerzgrenze – seine Meinung kundtat, er war international mit zahllosen Institutionen der Architekturvermittlung eng vernetzt und zählte weltweit bedeutende Architekten zu seinen Freunden. So brachte er viele Steine ins Rollen.
Untrüglich war sein Gespür für Themen, die noch nicht in der Luft lagen. Als sich Anfang der 2000er-Jahre die Stararchitekten mit immer spektakuläreren Bauten zu übertrumpfen suchten, fuhr er auf den Spuren des damals noch völlig unbekannten Rural Studio durch Alabama und brachte die Bottom-Up-Bewegung nach Wien. Und er interessierte sich früher als andere für die architektonischen Leistungen in den ehemals sozialistischen Ländern Ost- und Südosteuropas, die zwar nicht mehr hinter dem eisernen Vorhang, aber doch hinter einem Schleier von Desinteresse verborgen lagen.
Für die Architektur hat er alles gegeben, auch seine Gesundheit – denn zum Nachdenken und Schreiben (auch für profil) waren ihm Zigaretten, Whiskey und durchwachte Nächte zur Gewohnheit geworden. Seine Mails gegen zwei Uhr früh waren in der Kulturbranche gefürchtet. Während er im Beruflichen sein Herz auf der Zunge trug, fiel es ihm im persönlichen Umgang oft schwer, Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Ich werde nie vergessen, wie er einst darüber räsonierte, dass er nicht verstehen könne, warum so viele Frauen Kinder haben wollen (ich war gerade schwanger), um mir nach der Geburt ganz verlegen den größten Stoffbären zu überreichen, den er hatte finden können.
Zuletzt war Steiner müde geworden – betrübt, plötzlich nur noch Pensionist zu sein und als Experte immer weniger gefragt. Eine schwere Herzoperation vor über einem Jahr hatte ihm die Chance genommen, ein letztes großes Projekt, die Herausgabe eines Architekturführers über Niederösterreich, in Angriff zu nehmen.
Am Ende steht nun doch nicht die Architektur. Demnächst wird der Film eines Nöchlinger Regisseurs erscheinen, der neben dem bekanntesten Sohn des Ortes, Josef Hader, auch Dietmar Steiner in einer kleinen Rolle als Bankdirektor verpflichtet hat. Am 15. Mai starb Steiner 68-jährig in Wien.
Die Autorin ist Kunst- und Architekturhistorikerin; sie arbeitet als Kuratorin im Az W.