RUDOLF WACKER: Zerbrochener Puppenkopf, 1932; Mischtechnik, Leinwand auf Holz  
Kulturtipp

Achtung, Wacker-Warnung!

In seinen Werken blühen Poesie und Politik, Schönheit und Schmerz: Wolfgang Paterno empfiehlt die große Rudolf-Wacker-Ausstellung im Wiener Leopold Museum.

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Der französische Philosoph Michel de Montaigne erinnert uns daran, dass alles in Bewegung bleibt, die Welt durchs All zappelt. In vielen Gemälden Rudolf Wackers herrscht vordergründig Ruhe und Harmonie, in den Bildern mit bunten Blumengebinden ebenso wie in den Stillleben mit Blumentöpfen und Engeln. Aber, Achtung, Wacker-Warnung! Nur allzu gern nehmen diese Kunstwerke die nächste Abzweigung Richtung Ruhelosigkeit, doppelte Böden, emotionale Ausnahmezustände.

Bei genauerem Hinsehen erweisen sich Blumen als dornige Disteln, das Grün als stachelige Kakteen, die Engel als seltsam laszive Däumlinge. Wacker (1893–1939) bot seinen ganzen Erfindungsreichtum auf, um dem Adretten und Gefälligen zu entgehen. Schönheit und Schmerz, das waren Wackers Werte.

Im Wiener Leopold Museum ist noch bis Mitte Februar 2025 die Ausstellung „Magie und Abgründe der Wirklichkeit“ zu sehen, eine grandiose Werkschau mit rund 250 Exponaten. Bereits die Titelzeile „Magie und Abgründe der Wirklichkeit“ verrät einiges über unsere Gegenwart, entspricht durchaus der rezenten Stimmung zwischen Schön-ist-es-auf-der-Welt-zu-sein, wie einst Anita Hegerland und Roy Black sangen, und Globus-Verfinsterung. Wacker selbst wusste vom Irrsinn des Menschseins, verursacht von verrückter Politik, zu berichten, auf seinen Skizzen, im Tagebuch, in Selbstporträts. Er lebte und arbeitete in Wien und Weimar, wo 1914 die Katastrophe des Ersten Weltkriegs über den Kunststudenten hereinbrach. Er diente als Soldat an der Ostfront und geriet jahrelang in russische Kriegsgefangenschaft. „Für Wacker war der Krieg nie zu Ende“, war bereits 2018 in der Ausstellung „Wacker im Krieg“ im Vorarlberger Landesmuseum zu lesen: „Der 1. August 1914, als er von Bregenz aus in den Krieg zog, und der 9. September 1920, als er aus fünfjähriger Kriegsgefangenschaft in Sibirien nach Bregenz heimkehrte, blieben für den Maler zeitlebens die wichtigsten Erinnerungstage.“ Insofern prallen in vielen seiner Bilder, die nun im Leopold Museum zu sehen sind, Poesie und Politik aufeinander.

Wenige Monate vor seinem Tod notierte Wacker im Tagebuch: „Vielleicht sind meine neuen Bilder stiller geworden, ihre Gegenstände zugänglicher, ja gefälliger oder doch weniger auffallend.“ Er sei, schrieb Wacker, der „Anwalt der unbeachteten, bescheidenen Dinge.“ Wackers Werk entstand hauptsächlich in Bregenz. Die Provinz als zwangsläufig rückständig, als reaktionär? Rudolf Wacker beweist das Gegenteil.

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.