Wahnwache: Nazis im Kino – ein Dilemma
Und wieder springt er aus der Mottenkiste, der Horrorclown des Tausendjährigen Reichs. Der Film, er heißt „Führer und Verführer“, verspricht, noch ehe seine Bilder zu laufen beginnen, eine kleine Sensation: den „echten“ Hitler nämlich, wie er leibte, laberte und lebte – den Mensch gewordenen Mythos und den privilegierten Blick auf die „Mechanismen der Macht“.
Wissen Sie, wer hier spricht?, fragt ein Insert anfangs ganz direkt, während man einer unauffälligen, über Feldzüge und Kriegsstrategien dozierenden Männerstimme lauscht, die eine sanft österreichisch-bayerische Sprachfärbung aufweist. Genau, es ist Adolf Hitler, dessen Plauderei mit dem finnischen Armeechef im Juni 1942 heimlich mitgeschnitten wurde. Keine Spur des theatralischen Gebrülls und der sich überschlagenden Stimme, es ist eine Konversation ohne offenen Hass, ohne hysterisches Verhetzungsgebell. Das akustische Dokument signalisiert Direktzugang in die inneren Zonen der Nazi-Elite, ungeahnte Einblicke in die „wahren“ Sprechweisen und Verhandlungen, die hinter den Kulissen geführt und der Öffentlichkeit vorenthalten worden seien. Aber schon die Tonaufnahme des Diktators ist keine Neuentdeckung; sie wurde bereits in den 1960er-Jahren veröffentlicht. Auch der Schauspieler Bruno Ganz hatte sie genutzt, um seine Hitler-Darstellung in dem Film „Der Untergang“ (2004) realistischer zu gestalten.
In „Führer und Verführer“, ab 11. Juli in Österreichs Kinos zu sehen, hat Joachim A. Lang als Autor und Regisseur die Kurbel in der Hand, die hier gleich zwei Springteufel aus der Kinderspielbox hüpfen lässt: den NS-Diktator einerseits, an dessen Seite aber eben auch den „Verführer“, den inszenierungssicheren Dompteur der Massen, Reichspropagandaminister Joseph Goebbels. Die Täterperspektive, die Lang bemüht, ist jedoch kein Tabubruch mehr, sondern längst zum Klischee geronnen – und dies nicht erst seit „Der Untergang“. Der Regisseur G. W. Pabst verkleidete schon in „Der letzte Akt“ (1955) den Schauspieler Albin Skoda als Adolf Hitler – die spätere Opernball-Managerin Lotte Tobisch gab darin übrigens die Tyrannengeliebte Eva Braun.
Andere Charakterdarsteller wie Alec Guinness („Hitler – Die letzten zehn Tage“, 1972) und Anthony Hopkins („Der Bunker“, 1981) versuchten sich ebenfalls am Untergeher Hitler. In Heinrich Breloers Doku-Drama „Speer und Er“ (2005) maßte sich Tobias Moretti die Hitler-Rolle an. Und Martin Wuttke verkörperte in Quentin Tarantinos – ungleich anarchischer angelegter – Geschichtsrevision „Inglourious Basterds“ (2009) den todgeweihten Despoten. Ein österreichisches Trio aber bildet nun das Zentrum in „Führer und Verführer“: Robert Stadlober ist als Joseph Goebbels zu erleben, Fritz Karl als Hitler und Franziska Weisz als Propagandaministergattin Magda. Kann das gut gehen?
Die Filmgeschichte ist gepflastert mit Versuchen über den Nationalsozialismus, die frühesten Spielfilme zum Thema entstanden bereits während des NS-Terrors. Die beiden berühmtesten Werke probten die Subversion über die Satire, die Reichszersetzung durch Verächtlichmachung: Charlie Chaplin tanzt in seinem Kino-Monument „Der große Diktator“ (1940) als größenwahnsinniger Titelheld Adenoid Hynkel mit dem Globus; und in Ernst Lubitschs „To Be or Not to Be“ (1942) trickst eine Warschauer Theatertruppe in Nazikostümen die deutschen Besatzer aus.
Chaplin rechnete mit Hitler ab, der Ende 1939, als „Der große Diktator“ gedreht wurde, bereits Kriegstreiber und Massenmörder war – und es bekanntlich zudem gewagt hatte, den Schnurrbart des Komikers zu stehlen. Die beiden berühmtesten Männer der Welt, der eine ein Verfechter von Spielwitz und Nächstenliebe, der andere der Botschafter des Hasses, in einem Film vereint, der die Poesie gegen die Gewalt erfolgreich in Stellung brachte.
Betriebsunfall Hitler
Gleich nach der deutschen Kapitulation reagierte das deutsche Kino auf seine Weise: mit Militärschwänken und Historiendramen. „Hitler ist in diesen Filmen Betriebsunfall der Geschichte, wie es solche leider gibt, wenn das Schicksal waltet, auf das der Mensch keinen Einfluss hat“, schreibt Dietrich Kuhlbrodt sarkastisch in seinem 2006 veröffentlichten Buch „Nazis immer besser“. Als Oberstaatsanwalt a. D., Filmkritiker und Subversiv-Schauspieler (etwa in den Filmen Christoph Schlingensiefs) weiß er genau, wovon er hier spricht: „Die in den 1950er-Jahren noch frische Erfahrung lehrt, dass der Krieg rückblickend zu beklagen ist, wenn man die Folgen am eigenen Leib spürt. Hitlers Angriffskrieg macht da keine Ausnahme. Er ist ein Krieg wie jeder andere auch. Mit Politik hat das Abstraktum Schicksal nichts zu tun.“ Als Beispiele nennt Kuhlbrodt Paul Mays „08/15“-Trilogie von 1954/55 sowie Bernhard Wickis „Die Brücke“ (1959). „Der Kampf tobt gar grauslich. Politische Einsichten sucht man vergebens. Das Bewusstsein bleibt außen vor. Im Kriegsfilm bleibt es apolitisch.“
Mit Filmen wie „Der Untergang“ und dem Hitlerjugend-Epos „Napola“ (2004) schloss sich im deutschen Kino ein Kreis. Der Naziterror war Mainstream geworden und Hitler endlich wieder ein Mensch. Kuhlbrodt, inzwischen 91, verfolgte als junger Staatsanwalt in den 1960er-Jahren NS-Verbrecher – parallel dazu dachte er in der Filmkritik mit robustem Witz und kühlem Sachverstand über das Kino nach, legte den Finger in die offenen Wunden eines anhaltenden deutschen Selbstbetrugs. In seiner ideologiekritischen Analyse des Unterhaltungsfilms ist Kuhlbrodt streng. Die verlogenen, der nationalen Beruhigung geschuldeten deutschen Selbstporträts als Opfer eines unkontrollierbaren Schicksals findet er nicht nur in den kryptofaschistischen Abenteuerfilmen der Wirtschaftswunderzeit, sondern auch in den Arbeiten G. W. Pabsts und Bernhard Wickis.