Warum Ed Sheeran die Charts dominiert
Die Rekordstatistiken von Ed Sheerans Charts-Durchmarsch sind längst schon nicht mehr zu fassen. Nicht nur belegte er in Deutschland und Österreich mit seinen Songs "Castle on the Hill“ und "Shape of You“ die ersten beiden Plätze der Singles-Hitparade und danach mit seinem dritten Tonträger "÷“ auch die Nummer eins der Album-Charts, in seiner Heimat Großbritannien schafften es sogar alle 16 Tracks der neuen Platte in die Top Twenty der Singles-Hitliste. Der Grund dafür ist nicht nur in Sheerans unbestreitbarer Popularität zu suchen, sondern auch in dem offensichtlich fehlgeleiteten Experiment, die Charts relevant zu halten, indem neben physischen und digitalen Verkäufen auch die Streams einzelner Songs in die Singles-Parade miteingerechnet werden. In Großbritannien zählen 150 Streams so viel wie ein Verkauf. Angesichts der Milliarden von Streams, die ein Künstler wie Ed Sheeran verbucht, hat sich die Basis der Charts, wie wir sie einst kannten, radikal verschoben. Schuld daran ist nicht zuletzt der Einfluss von Playlists, die Konsumenten von Streaming-Diensten wie Spotify per Algorithmus die ohnehin bereits populärsten Songs zuspielen. Sobald ein Lied die kritische Masse von Streams erreicht, potenzieren sich seine Einsätze also ganz von selbst.
1964 blockierten die Beatles gleich die ersten fünf Plätze der US-Charts.
Sheeran ist nicht der Erste, der die Singles-Charts monopolisiert. 1952, in der frühesten britischen Pophitparade, verbuchte Vera Lynn (die vergangene Woche 100 Jahre alt wurde) drei Lieder in den Top 20, und 1964 blockierten die Beatles gleich die ersten fünf Plätze der US-Charts. Seit jeher wurden die Charts manipuliert, von dem in den 1960er-Jahren grassierenden Aufkaufen der eigenen Auflagen einer Single über aggressive Diskonttaktiken bis zur zynischen Ausbeutung multipler Formate in den 1990er-Jahren. Trotzdem hatten die Charts eine legitime Bedeutung als Gradmessser des Einflusses der wichtigsten Popströmungen. Wenn nun allerdings Lieder, die als Singles nie erschienen sind, die Singles-Charts dominieren, bedarf es zumindest einer Umbenennung - etwa in "Song-Charts“. Bei Redaktionsschluss hat der US-Rapper Drake Ed Sheeran in den US- und UK-Charts bereits mit einer neuen Playlist namens "More Life“ abgelöst. Eine "Playlist“ in Drakes Sinn ist aber offenbar kein Album, sondern ein Haufen gleichzeitig veröffentlichter Songs, eine Art "Mixtape“ eben. Fest steht nur: Das 50 Jahre alte Regelwerk des Pop hat offensichtlich ausgedient.