Doris Knecht: Aufbruchsverstimmung
Sich selbst entkommt man nicht: eine alte Weisheit, die nur zum Teil stimmt, wie Doris Knechts jüngster Roman "weg" beweist. Heidi hat neurotische Tendenzen; dass ihr Mann sie betrügt, blendet sie geflissentlich aus. Man muss nur so tun, als sei alles in Ordnung, dann wird es schon so sein.
Wäre nicht ihre 23-jährige Tochter Lotte irgendwo in Asien verschwunden, würde sie weiterhin in ihrer Kleinbürgersiedlung darauf warten, dass ihr Mann zurückkehrt. Aber so steigt sie zum ersten Mal in ihrem Leben in ein Flugzeug, sucht mit ihrem Ex-Freund nach dem gemeinsamen Kind und entdeckt dabei, dass sie mehr kann, als sie sich bisher zugetraut hat.
Es ist Knechts Spezialität, wohltemperierte Bobo-Welten an ihre Grenzen zu führen, Menschen aus ihren Gewohnheiten zu reißen. Eine Midlife-Crisis haben alle in "weg", aber es erwächst kein großes Drama daraus. Eher geht es um alltägliche Verrichtungen - und was sie einem bedeuten. Georg, der aufs Land gezogen ist, um das Wirtshaus seiner Eltern zu übernehmen, ist mit seinem Dutt und seinem Hang zur Bioküche ein typischer Hipster, nah am Klischee.
Gleichzeitig gelingen Knecht überzeugende Beschreibungen von Natur und Zusammenleben. Die Reisegeschichten nach Vietnam und Kambodscha sind auch beides: banal (so viele Motorräder!) und überraschend komplex. Bei der verschwundenen Tochter wurde in Teenagerjahren durch exzessives Kiffen eine Psychose ausgelöst. Wie überfürsorglich soll man sein? Es geht darum, sich selbst zu finden, indem man loslässt. Aber das klingt jetzt schon wieder esoterischer, als Knecht dies in ihrer zupackenden Art formuliert.