Magie, Verfall, Verdammnis: Die starke Serie „Hundert Jahre Einsamkeit“
Die Angst des Autors vor der Adaption seiner Arbeit: Gabriel García Márquez war sie nicht fremd. Als ehemaliger Filmkritiker erkannte der Gigant der südamerikanischen Literatur das Verfilmungsdilemma: „Ich kann mich an keinen einzigen Film erinnern, der einen guten Roman verbessert hätte“, erklärte er 1981, ein Jahr vor der Verleihung des Literaturnobelpreises, streng gegenüber der „Paris Review“. Für sein Opus magnum „Hundert Jahre Einsamkeit“ (1967) zog er daraus die Konsequenz: keine Filmfassung, niemals. Ein Entschluss, der bis zu seinem Tod 2014 unantastbar blieb. Aber wie wäre es mit Fernsehen, wo man mehr Zeit hat und weniger Kompromisse in Detailfragen machen muss, überlegten seine Söhne daraufhin – und schlossen einen Netflix-Deal für eine üppig budgetierte Serie, deren erste acht (von 16) Folgen nun abrufbar sind.
Tatsächlich eilt diesem Meilenstein der Weltliteratur ein Nimbus der „Unverfilmbarkeit“ voraus. Die stark verschachtelte Erzählstruktur, das sich jeder Verdichtung entziehende Geflecht aus Figuren, Zeitebenen und Handlungssträngen sowie die sinnlich-metaphorische Prosa von Márquez scheinen kaum adäquat in eine filmische Rahmung zu passen. Die Adaption begegnet dieser Herausforderung mit behutsamer Authentizität. Gedreht in Kolumbien, auf Spanisch, möchte sie nicht nur den Ton, sondern auch die Seele des Werks beschwören – und dabei das Panorama von Aufstieg und Fall einer Familie, eines Hauses, einer Stadt umfassend nachzeichnen: 100 Jahre, geformt von Liebe und Glauben, Fehden und Wundern, Revolution und Verfall.
Große Themen durchziehen die Seriendramaturgie wie im Buch: Kolonialismus und Selbstbestimmung, Macht, Wissenschaft und, klar, Einsamkeit. Was die Show darüber hinaus ausmacht, ist ihr feines Gespür für die Signaturen des Magischen Realismus. Diese Welt scheint stets vertraut und unheimlich zugleich: Menschen schweben, Geister tauchen auf – als stille Zeugen einer Geschichte, die sich unheilvoll zu wiederholen pflegt. Solch Vignetten des Wundersamen gibt es hier zuhauf, und in der umsichtigen Inszenierung von Alex García López und Laura Mora fehlt es ihnen auch nie an ästhetischer Tiefe. Überhaupt: Nahezu jede der bildmächtig konzipierten Szenen entfaltet Bedeutung und Wirkung – die stärksten scheinen sogar kurzzeitig die Grenzen von Zeit und Raum aufzulösen, wohl ganz im Sinne ihres Architekten. Vielleicht hätte dieser sich in Anbetracht dieser lebendigen, poetischen Adaption ja sogar von seinen Vorurteilen abbringen lassen.