Was man alles vom reichsten Menschen der Erde lernen kann (und was eher nicht)
Diese Geschichte beginnt wie so viele Episoden um Elon Musk: mit einem Countdown. Vergangenen Dienstag, Punkt 24.00 Uhr, versandte der Verlagsriese Bertelsmann die digitalen Exemplare von Walter Isaacsons autorisierter Biografie über den Tesla-Chef und Multimilliardär in 29 Sprachen an Zeitungsredaktionen in aller Welt. Isaacson, 71, ist auf Lebensbeschreibungen von Männern mit Weitsicht abonniert: Der US-Sachbuchautor schrieb Biografien über Leonardo da Vinci, Albert Einstein, Apple-Mitgründer Steve Jobs. Für „Elon Musk“ wich Isaacson dem selbst ernannten "Technoking of Tesla“ zwei Jahre lang nicht von der Seite. Das Terrain des kritischen Abwägens hat Isaacson dabei bald verlassen-um sich Musk lieber als Fanboy zu nähern. „Elon Musk" ist die Bühne für dessen aus allen Nähten platzendes Ego, ein Buch, das zwischen Selbstfeier und Lebensratgeber schwankt. Die Methode, Leben und Lebenshilfe zu mischen, stammt von Isaacson selbst. In seiner Biografie über Leonardo da Vinci findet sich der Abschnitt „Von Leonardo lernen“, dazu weichgespülte Merksätze: „Bewahre dir ein kindliches Staunen.“ Was lässt sich von Musk lernen? Warnung vorab: Don't be Elon.
Musks Vita bietet eine uramerikanische Auf-und Aussteigergeschichte: wie einer mit Ambition und Angriffslust berühmt und berüchtigt wird. Gefühlt müssen Räume, die das realiter 1,85 Meter große Super-Ego Musk betritt, schrumpfen. Musk bezieht immense Relevanz aus der Tatsache, Elon Musk zu sein. Auf dem Cover von Isaacsons Biografie ist ein Musk-Porträt vor schwarzem Hintergrund zu sehen, teils Zauberer-tritt-ins-Rampenlicht, teils Jetzt-kommt-Rasputin. Musk blickt einem durchdringend entgegen, die Hände wie zum Gebet gefaltet, reinstes narzisstisches Overacting: ein Augenblick zwischen Elon-Gebet und Bettel-um-Aufmerksamkeit-Musk.
Wiegenlied für einen Ego-Shooter: Wie wird aus einem Kind ein Elon?
Elon Musk kam Ende Juni 1971 in Pretoria, Südafrika, zur Welt, 3855 Gramm Geburtsgewicht, sehr großer Kopf; erste Namensidee "Nice", nach der französischen Riviera-Stadt Nizza, dem Zeugungsort, wie Isaacson herausgefunden hat. Der Biograf erzählt die Geschichte der Kindheit und Jugend Musks als Abfolge von Niederlagen und Riesenerfolgen. Als Elon drei war, wurde ihm von Mutter Maye attestiert, ein Genie zu sein. Klein Elon war Tontaubenschießen-Schützenkönig-und bekam den ersten Preis, eine Kiste Whiskey, nicht ausgehändigt, weil er zu jung dafür war. Auf alten Fotos sieht Musk aus wie der ewige Klassendepp, mit einem ähnlichen Gesichtsausdruck wie ein erschrockenes Faultier. Elon war der schnellste Rennradfahrer und ein Stubenhocker. Er lernte Zaubertricks, bescheinigte sich in Selbstdiagnose das Asperger-Syndrom, eine Form von autistischer Störung; er war Comic-Fan, Computer-Nerd und Marathonleser: Nietzsche, Heidegger, Schopenhauer, sein Lieblingsbuch, erraten: "Per Anhalter durch die Galaxis". Isaacson schreibt: "Aus dieser Gemengelage entwickelte Musk eine Aura, die ihn manchmal wie ein Alien wirken ließ."Und weiter, Genieverdacht galore: "Man wäre nicht völlig entsetzt, wenn er sich das Hemd vom Leib risse und man sehen könnte, dass er keinen Nabel hat und nicht von diesem Planeten stammt." Man darf sich wundern, weshalb manche Klischees haltbarer sind als die Titan-Unterbodenpanzerung des Tesla Model S. Friedrich Schiller konnte Elon Musk nicht kennen, als er 1797 an Goethe schrieb: "Aber ich hab' es einmal für immer aufgegeben, Sie mit der gewöhnlichen Logik zu messen." In "Elon Musk" driftet der Schiller-Satz knapp 230 Jahre später ins Bizarr-Epische.
Von A bis X: Family first!
Wer einen seiner Söhne X Æ A-12 nennt, dem ist, erstens, Familie wichtig, weil X Æ A-12 garstiger Klassenkameraden wegen Trost bei Daddy suchen wird müssen. Zweitens ist "X" Musks Lieblingsbuchstabe, mit dem er Dinge, Unternehmen-die frühe Firma X.com, das spätere Raumfahrtunternehmen SpaceX-oder eben Kinder benennt. Griffin, Strider Seldon Sekhar, Saxon, Azure Astra Alice, die Zwillinge Kai und Damian: Der Technologie-Milliardär hat elf Kinder, drei davon mit der kanadischen Sängerin Grimes. X Æ A-12 kam im Mai 2020 zur Welt; Ende 2021, nach der Trennung des Duos, folgte die Geburt der gemeinsamen Tochter Y durch eine Leihmutter. Isaacson verrät, dass Mitte vorigen Jahres das dritte Kind von Musk und Grimes, wieder von einer Leihmutter, zur Welt gekommen sei: Techno Mechanicus Musk. "Die Leute sollten es als gesellschaftliche Verpflichtung ansehen, Kinder zu kriegen", erklärte Musk bereits 2014 in einem Interview: "Sonst stirbt unsere Zivilisation einfach aus." Allein Sohn Xavier, aus dem voriges Jahr die Transgender-Tochter Vivian Jenna wurde, trübt das Familienidyll: "Ich hasse dich und alles, wofür du stehst", ließ Jenna ihren Vater wissen. Ausgebüxt, sozusagen.
Die ersten Millionen: Wie kommt man ans große Geld?
Zwei Wochen vor Musks 18. Geburtstag und seinem Abschied von Südafrika ließ Vater Errol seinen Sohn wissen: "In ein paar Monaten wirst du wieder da sein. Du wirst niemals Erfolg haben." Errol drückte Elon 2000 Dollar in die Hand, die Mutter, die ihrem Sohn gemeinsam mit Tochter Tosca bald nach Toronto folgen sollte, verdoppelte das Reisebudget. Mutter, Sohn und Schwester wohnten in Kanada zunächst in einem Einzimmerapartment. Nach Praktika und Physikstudium, endlosen Stunden vor dem Computer und wenig Nightlife, schlug bei Musk das "Draufgänger-Gen" (Isaacson) durch: Anfang 1995, als das Internet begann, die Welt auf den Kopf zu stellen, stellte Musk gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Kimbal ein Verzeichnis von Unternehmen online. "Heutzutage total normal, aber damals war das der reine Wahnsinn", erinnert sich Kimbal in "Elon Musk": "Ich glaube, Elon und ich waren die ersten Menschen, die gesehen haben, wie das im Internet funktioniert." Familientradition Größenwahn. Die Musks nannten ihr Unternehmen Zip2. Im Jänner 1999 übernahm die Compaq Computer Corporation Zip2. Über Nacht wurde der damals 27-jährige Elon Musk zum Multimillionär: "Mein Kontostand ging so von ungefähr 5000 auf 22.005.000 Dollar hoch." Was kostet die Welt? Anfang 2022-in dem Jahr brachte SpaceX 31 Raketen ins All, Tesla verkaufte knapp eine Million Autos-betrug Musks Nettovermögen laut Isaacson 304 Milliarden Dollar. Isaacson schreibt: "Wenn es wirklich stimmt, dass Geld allein nicht glücklich macht, war Musk das beste Beispiel." Der Biograf berichtet von Musks Stimmungsschwankungen, Depressionen, Magenbeschwerden, Sodbrennen. Sorgen der Superreichen. Geld ist nicht alles.
Ein Freund, ein guter Freund: Wie weit darf man gehen?
Von Musk lernen heißt, den Zeitgenossen in zäher Permanenz auf die Nerven zu gehen, politisch, populistisch, persönlich. Bis zur unfreundlichen Twitter-Übernahme im Oktober 2022 war Musk ein obsessiver Nutzer des Kurznachrichtendienstes (aktuelle Follower: 156 Millionen).Musk forderte Russlands Präsidenten Wladimir Putin (Wetteinsatz: die Ukraine) via Twitter-inzwischen auf X umbenannt (siehe oben)-ebenso zum Faustkampf auf, wie er Meta-Boss Mark Zuckerberg zum Käfig-Battle lud. Musk reaktivierte den X-Account von Ex-US-Präsident Donald Trump und mokierte sich über das "woke Hirnvirus". Seinem Biografen erklärte er: "Wenn wir das von Grund auf wissenschafts-,leistungs-und insgesamt menschenfeindliche Woke-Mind-Virus nicht aufhalten, wird unsere Zivilisation niemals multiplanetar." Musks Starship, die größte und leistungsstärkste Rakete der Welt, soll bald bemannte Missionen zu Mond und Mars ermöglichen. Je mehr m/w/d, desto weniger Mond und Mars. Wenn es Urkunden für die jeweils dämlichsten Sager gäbe, dann hätte Musk seine Villenzimmer längst tapezieren können. Schließlich Peter Thiel, der Kumpel aus Musks Anfängen, Trump-Unterstützer und Neo-Arbeitsgeber von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz. Thiel und Musk waren Teil der sogenannten PayPal-Mafia, die um 2000 den Online-Bezahldienst gründete-Anfang 2002 ging PayPal an die Börse und wurde im Juli desselben Jahres für 1,5 Milliarden Dollar von eBay übernommen; Musk erhielt 250 Millionen Dollar. "Freiheit und Demokratie hält Thiel für unvereinbar", ist über den deutsch-amerikanischen Milliardär auf Wikipedia zu lesen: "Beteiligung von Frauen sei-wie Wahlen und demokratische Partizipation überhaupt-kein erfolgversprechender Weg zur Steuerung einer freien Gesellschaft." Freunde kann man sich aussuchen.
Elon Musk (völlig losgelöst): Privatier im Trabanten-Krieg
Musk hat interessante Seiten und sehr oft auch idiotische. Die interessanten: "Wenige Personen haben das Leben auf der Erde-und möglicherweise auch jenseits der Erde-so beeinflusst wie Musk", notierte "Time"-Chefredakteur Ed Felsenthal. Die aktuell idiotischen: Musk ist mit seinen 18.000 Starlink-Erdtrabanten alleiniger Befehlshaber über die Satellitenkommunikation der Ukraine, gegen die Russland seit Februar 2022 einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt. Im Vorjahr, so ist in Isaacsons Buch zu lesen, habe der Milliardär als Privatmilitär absichtlich den Zugang der Ukraine zu Starlink blockiert, um einen Angriff auf russische Kriegsschiffe vor der Halbinsel Krim zu verhindern. "Die betreffenden Starlink-Regionen waren nicht aktiviert. SpaceX hat nichts deaktiviert", meldete sich Musk kürzlich via X zu Wort. "Der Kongress muss untersuchen, was hier passiert ist und ob wir angemessene Instrumente haben, um sicherzustellen, dass die Außenpolitik von der Regierung und nicht von einem Milliardär betrieben wird", forderte die demokratische US-Senatorin Elizabeth Warren.
E-Autos, Starship, Optimus: Ab wann wird der Mensch zur Maschine?
Wenn man einen selbst ernannten Heilsbringer erfinden müsste, der die Gegenwart zum Glücksfall verklärt und eine Zukunft voller Versprechen schmiedet, er sähe aus wie Musk: ewiges Bubengesicht mit einem Touch Pokerface. Man könnte sagen, Musk teilt das Wesen vieler seiner Maschinen: mobil, hochfliegend, protzig, hochpreisig, enorm datenhungrig, absturzgefährdet, immer unter Strom. Musk als Zwillingsbruder des humanoiden Tesla-Roboters "Optimus", den der Unternehmer seit geraumer Zeit kämpferisch lanciert. Zahllos sind die Berichte darüber, wie Musk seine Firmen und Projekte lenkt: ein Chef kältesten Blutes, ein Macher und Menschenschinder. Es ist kein Zufall, dass Isaacson sein Buch mit der Starship-Saga enden lässt. Weltraumbahnhof Boca Chica, US-Bundesstaat Texas, 20. April 2023. Musks Mond-und-Mars-Vehikel Starship explodiert knapp vier Minuten nach dem Start. "Entschuldigen Kühnheit und Selbstvertrauen, die ihn zu Höchstleistungen anspornen, sein schlechtes Benehmen, seine Kaltschnäuzigkeit, seine Rücksichtslosigkeit?", resümiert der Biograf: "Die Zeiten, in denen er ein Arschloch ist? Die Antwort lautet: Nein, natürlich nicht. Man kann die guten Eigenschaften eines Menschen bewundern und die schlechten beklagen. Doch es ist auch wichtig, zu verstehen, wie die einzelnen Stränge miteinander verwoben sind, und das zuweilen aufs Engste."The Sky is the Limit.
Walter Isaacson: Elon Musk. Die Biografie. Deutsch von Sylvia Bieker, Gisela Fichtl, Katharina Martl, Ulrike Strerath-Bolz, Anke Wagner-Wolff u. Henriette Zeltner-Shane. C. Bertelsmann. 832 S., EUR 39,10