Thomas Maurer
Im Unterhalten großer Säle bin ich geübter, Kafka las selten öffentlich aus seinen Büchern. Vermutlich ist aber sein Humor langlebiger. Schauen wir, was an meinem 100. Todestag passieren wird.
Was soll denn passieren?
Thomas Maurer
Großer Festakt, alle meine Freunde halten bewegte Reden! Obwohl, Moment: Ich wünsche ja niemandem Böses, fände es aber doch ungerecht, wenn meine Freunde dann noch in der körperlichen Verfassung wären, dieses Jubiläum zu begehen.
Anfang Juni jährt sich Kafkas 100. Todestag. Haben wir von dem Prager ein falsches Bild?
Thomas Maurer
Es ist ein keineswegs komplettes Bild. Vielen wurde Kafka in der Schule ausgetrieben, obwohl er ein guter Pubertätsautor ist, weil bei ihm alles bedrohlich und angstbesetzt ist. Kafka ist ein merkwürdig opaker Autor, seine Komik, die nie ganz ohne Schrecken ist, steckt im Text wie das verborgene Motiv in so einem Magisches-Auge-Bild. Man muss lernen, sie zu sehen, dann aber sieht man sie immer.
Der Wiener Zeichner Nicolas Mahler hat genau darüber kürzlich eine Comic-Biografie Kafkas veröffentlicht.
Thomas Maurer
Die ist ein Meisterwerk! Auch Kafkas Nachlassverwalter, der Schriftsteller Max Brod, hat erklärt: „Na ja, Frohnatur war er keine, aber so furchtbar depressiv war er auch wieder nicht!“ Vielleicht spielt mit, dass er nach 1945 verstärkt wiederentdeckt wurde, in der Hochkonjunktur des schwarzen Menschenbildes, der überstandenen Apokalypse, als willkommener Visionär des Finsteren. Das ist natürlich auch Kafka – aber nicht nur.
2024 ist Kafka-Jahr. Bestsellerautor Daniel Kehlmann schrieb das Drehbuch für die Miniserie „Kafka“ von Regisseur David Schalko, die im Frühjahr 2024 ausgestrahlt werden wird.
Thomas Maurer
Ich durfte darin eine kleine Rolle übernehmen. Ich bin Dr. Mühlstein, der historisch verbürgte Hausarzt der Kafkas, der dem bereits Todkranken, der genau um die Dramatik seiner Tuberkulose-Diagnose Bescheid weiß, aufmunternde Ratschläge gibt: „Herr Doktor Kafka, Sie bilden sich das alles nur ein! Hühnersuppe mit Knödeln – dann reißen Sie bald wieder Bäume aus!“
Angenommen, man errichtete ihm zum 100. Todestag ein Denkmal. In welcher Pose sollte Kafka verewigt werden?
Thomas Maurer
Monumentalität wäre ihm gar nicht recht. Man darf ihm in seiner fast schon pathologischen Sucht, sich selbst klein und unbedeutend zu machen, aber auch nicht nachgeben, sonst würde wahrscheinlich im hintersten Winkel eines neu erschlossenen Wohnbaugebiets, wo jetzt noch Gemüsefelder sind, ein Heizungskeller nach ihm benannt werden. Sicher entsetzt wäre er über den, pardon, kafkaesk monströsen Porträt-Schädel aus Edelstahl, den man ihm in Prag aufgestellt hat.
Ihr neues Programm, das kommenden Mittwoch im Wiener Rabenhof Premiere feiern wird, trägt den Titel „Maurer. Kafka. Komisch“. Wäre eine Revue à la „Maurer. Ernst Jünger. Komisch“ ebenso realisierbar?
Thomas Maurer
Zu Kafka und seiner sträflich unterbeleuchteten komischen Seite hege ich eine langjährige Affinität. Ernst Jünger ließe sich allenfalls auf unfreiwillig komisch bürsten.
Kafka war ein Virtuose des Nichtgelingens. Eine ideale Humorvorgabe?
Thomas Maurer
Die Urformen der Komik sind Stolpern, Auf-den-Arsch-Fallen und ähnliche Dinge, bei denen die Horde in der Höhle mitlachte. Wenige haben sich vollkommener dem Scheitern gewidmet als Meister Kafka. Er kommt aber, bei aller Sanftmut, immer wieder durchaus an die Grenze zum Sadistischen, zum Verlachen. Das Interessante ist dieses Oszillieren – siehe seine notorische Kleinmacherei, in der ein Triumph der Demut liegt, für den er sich dann erst recht wieder abmahnt. Man wird mit Kafka nie fertig. Bei ihm ist alles bodenlos.
Kafka schrieb, er beschäftige sich mit „nichts anderem als Gefoltert-werden und Foltern“.
Thomas Maurer
Zugleich gibt es Aussagen von Zeitzeugen, die belegen, dass er sich über seine eigenen Werke zerkugeln konnte. Ein unkomplizierter Mensch war Kafka mit Sicherheit nicht: Vermutlich hatten alle, die ihn mochten – und das scheinen die allermeisten gewesen zu sein, denen er begegnete –, aufgrund seiner ständigen Selbstbezichtigungen irgendwann das Bedürfnis, ihn zu schütteln. Kafka war bis zu seiner Krankheit ein attraktiver, halbwegs sportlicher Mann von überdurchschnittlichem Wuchs, der sich selbst in einer Art und Weise als grotesk und bizarr empfunden hat, dass man nur staunend daneben stehen konnte.
Anführungsstriche sind in seinen Texten kaum denkbar. Wie hielt er es mit der Ironie?
Thomas Maurer
Seine Ironie ist in das Ganze eingefügt. Er hätte es vermutlich als äußerst unzart empfunden, mit Anführungszeichen eigens darauf hinzuweisen. In seiner kauzigen Weltsicht wird ohnehin vieles selbstverständlich. Da ist dann halt die dringendste Sorge von einem, der gerade als Ungeziefer aufgewacht ist, dass er den Zug versäumen und zu spät zur Arbeit kommen wird.
In „Maurer. Kafka. Komisch“ werden Sie ausgesuchte Schriften des Pragers vorlesen. Wird nicht jeder Text, entsprechend intoniert, am Ende zum Lacherfolg?
Thomas Maurer
Ich bezweifle, dass ich die Novelle zum Bundesverwaltungsgesetz so vorlesen könnte, dass der Vortrag zündet. Bei Peter Handke dürfte es auch eher schwierig werden, wenn er nicht gerade in einem Interview schimpft. Ich werde bei Kafka manche Farben kräftiger anrühren, als er es wohl selbst getan hätte. Sein Werk steht ja seit 100 Jahren solide da. Es hat Generationen von Gymnasialprofessoren vertragen, die nur Tod und Verfall darin gesehen und gelehrt haben. Meinen Abend steckt Kafka locker weg.
Kann man von Kafka je genug bekommen?
Thomas Maurer
Wer einmal Blut geleckt hat, wahrscheinlich nicht. Man kann sich daran überessen, wie bei allem, was sehr ausgeprägt ist. Fast alles bei Kafka ist großartig und begeisternd, aber auch bedrückend und anstrengend zu lesen, Vergnügen und Strapaze zugleich.
Gesetzt den Fall, Sie müssten Ihre Kafka-Passion als Sport ausdrücken. Welche Sportart wäre das?
Thomas Maurer
Olympisches Ringen ohne Zeitlimit.
Kafka als ewiger Kontrahent.
Thomas Maurer
Manchmal möchte man ihn anschnauzen: „Schluss mit dem Quatsch!“ Und dann wieder kann man ihn nur bewundern. Das wäre ihm aber vermutlich eh unangenehmer gewesen, als angeschnauzt zu werden.
Unser Gespräch ist durchaus amüsant verlaufen. Man darf über Kafka lachen.
Thomas Maurer
Die Eucharistie des heiligen Franz, der für uns gestorben ist, werde ich jedenfalls nicht zelebrieren.