Whitney Houston: Das tragische Leben der Sängerin als Film-Doku

Das tragische Leben der Sängerin Whitney Houston ist Thema eines Films, der leider kaum neue Erkenntnisse zu bieten hat.

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Nein, die Frau, die man in der Badewanne ihrer Suite gerade gefunden habe, atme offenbar nicht mehr, meldet eine erstaunlich ruhige Männerstimme aus der Hotel-Security am Nachmittag des 11. Februar 2012 der Rettungszentrale. Die Nachricht vom Herz- und Drogentod Whitney Houstons im Beverly Hilton Hotel in Los Angeles geht wenige Stunden später um die Welt. Mit dem telefonischen Notruf setzt die Erzählung vom tragischen Leben der Pop-Diva ein: "Whitney: Can I Be Me“ (Österreich-Kinostart: 14. Juli), ein neuer, von dem US-Pay-TV-Sender Showtime mit BBC-Beteiligung produzierter Film, berichtet von Entziehungskuren, Familienkrisen und fatalen Leidenschaften, von Erfolgsdruck und Reichtum und nicht zuletzt auch von der Identitätssuche einer Sängerin, die von den Menschen ihres Umfelds, das von den Erträgen ihres Talents bestens lebte, dazu angehalten wurde, sich von Soul, R’n’B und Gospel möglichst fernzuhalten, um sich mit lukrativerem weißen Mainstream-Pop zu verkaufen.

Kometenhafter Aufstieg

Die MTV-Ära beschleunigt Whitney Houstons kometenhaften Aufstieg. Ihr Debütalbum erscheint im Februar 1985 und setzt eine Karriere in Gang, an deren Ende rund 200 Millionen weltweit verkaufte Tonträger stehen - etwa so viele, wie Prince und Bob Dylan zusammen absetzen konnten. Houston erhält mehr Auszeichnungen als jede andere Pop-Performerin vor und nach ihr, darunter sieben Grammys, und zwischenzeitlich reüssiert sie gar als Blockbuster-Schauspielerin ("The Bodyguard“, 1992). Der äußere Glanz täuscht über die Misere dieses Lebens hinweg: Einer Musikerinnenfamilie entstammend - Dionne Warwick ist ihre Cousine - und aufgewachsen in New Jersey mit drogenabhängigen Brüdern sowie einer kontrollierenden Mutter, die als Sängerin selbst gerne zum Star avanciert wäre, kämpft Whitney Houston zeitlebens gegen Image-, Sucht- und Stimmprobleme. 1992 heiratet sie den Rapper Bobby Brown, einen selbst ernannten Bad Boy, der sie zum Party-Girl und Paparazzi-Futter macht und von dem sie sich erst 2006 lösen kann. Die Suchtbeziehung führt zur dramatischen Ausweitung der Drogen im Leben des Paars: Er bringt sie zum Alkohol, sie ihn zum Kokain. Die gemeinsame Tochter, Bobbi Kristina Brown, wird keine drei Jahre nach ihrer Mutter mit Alkohol und Medikamenten im Blut ebenfalls leblos in der Badewanne gefunden; sie stirbt, erst 22-jährig, im Juli 2015, nach sechs Monaten im Koma.

Dolezal als Co-Regisseur

Von alldem erzählt "Whitney: Can I Be Me“ seltsam bruchlos und schematisch. Der Brite Nick Broomfield, 69, der Houston nie kennengelernt hatte, machte den Wiener Pop-Dokumentaristen Rudi Dolezal zum Co-Regisseur, weil dieser über wertvolles Material verfügte. Dolezal hatte 1999 im Rahmen der letzten erfolgreichen Welttournee Houstons (2010 absolvierte sie eine viel kritisierte allerletzte) Backstage-Szenen gedreht, die nie veröffentlicht worden waren. Er plante eine große Kinoreportage über die Künstlerin, aber als er schließlich auch ihr unübersehbares Drogenproblem thematisieren wollte, schlossen sich sämtliche Türen. Dolezals Konzertbilder und Interviews vitalisieren nun Broomfields konventionelle, aus talking heads und Archivbildern montierte Doku, die er unter fast unmöglichen Bedingungen herstellte: Mangels Lizenz musste er auf nahezu alle wesentlichen Houston-Songs verzichten - und er hatte weder Zugang zur Familie, die versucht hatte, dieses Projekt zu untersagen, gerichtlich aber abblitzte, noch zu entscheidenden Figuren wie Bobby Brown, Clive Davis, jenem Plattenfirmen-Chef, der Houston zum Superstar machte, oder ihrer langjährigen Partnerin Robyn Crawford, der die Künstlerin wohl auch romantisch verbunden war. Sie alle treten nur in gefundenen (Fernseh-)Bildern oder in Dolezals 18 Jahre altem Material auf. Stattdessen setzt Broomfield als Kronzeugen Whitney Houstons walisischen Bodyguard, ein paar Musiker und ihre Stylistin in Szene.

Zur komplizierten Genese dieses Films gehört zudem der Umstand, dass ein zweites Houston-Porträt parallel (und gegen Broomfields Entwurf) entstand: Der schottische Regisseur Kevin MacDonald wird 2018 die "offizielle“ Version dieser Geschichte, in enger Kooperation mit Houstons Familie, veröffentlichen. Bobby Browns aktenkundige Verhaftung wegen häuslicher Gewalt 2003 bleibt - bei aller Freiheit des "Inoffiziellen“ - in Broomfields Film unerwähnt; der Verdacht, dass juristische Absprachen im Hintergrund hier zur Ausklammerung bestimmter Themen führten, liegt nahe. Die Frage, warum Whitney Elizabeth Houston, die nur 48 Jahre alt wurde, niemals sie selbst sein konnte, muss weiterhin als unbeantwortet gelten.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.