Interview

"Wie ein Keulenschlag": Maria Happel reagiert auf die Vorwürfe

Überlastung, Machtmissbrauch und Vetternwirtschaft? Die Schauspielerin Maria Happel, in Bedrängnis gebracht durch einen Aufsehen erregenden offenen Brief der Studierenden des Max-Reinhardt-Seminars, das sie leitet, erklärt im Gespräch mit profil ihre Sicht der Dinge.

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In einem offenen Brief, datiert mit 11. Mai 2023, werden heftige Vorwürfe auch gegen Sie erhoben. Ein Großteil der am Wiener Max-Reinhardt-Seminar Studierenden bringt darin seine Frustration zum Ausdruck: Von „Machtmissbrauch“ ist die Rede, von „Nepotismus“ und „Intransparenz“, von „psychischer und physischer Überlastung“. Der Ruf des Instituts, das Sie leiten, sei „beschädigt“, das Vertrauen in Sie „unwiederbringlich zerrüttet“, man fürchte „um Qualität und Relevanz der Ausbildung“. Was ist da schiefgegangen?
Happel
Wenn ich das wüsste. Dieser Brief kam ganz unangekündigt, er hat mich erwischt wie ein Keulenschlag. Da steht also, dass zwei Drittel der 44 am Max-Reinhardt-Seminar aktuell studierenden Menschen solche Vorwürfe erheben. Wer genau diese Leute sind, weiß niemand, das Schreiben ist anonym. Alles andere geht völlig in Ordnung; wir haben diese Leute ja ausgesucht, wir wollten Persönlichkeiten finden, die wir dort ausbilden können. Und ich finde toll, dass sie die Initiative ergreifen, etwas wollen, Dinge fordern, dass sie etwas bewegen und eben nicht die Klappe halten. Das ist die nächste Generation, und wir haben sie so erzogen, dass sie aktiv werden, wenn ihnen etwas nicht passt. Dass man sich beispielsweise auch der Regie nicht zwangsweise unterordnet –  darin bin ich absolut auf der Seite der Studierenden. Ich finde nur den Vorgang enttäuschend. Ich hatte ja auch Mentoren und Mentorinnen für jeden Jahrgang eingesetzt, an die wurden diese Klagen aber auch nicht vorab herangetragen. Den Schritt, direkt nach oben und an die Medien zu gehen, das entspricht nicht meinen Wertvorstellungen.
Niemand hat Ihnen gegenüber je irgendetwas beklagt?
Happel
Im Gegenteil: Man schloss sogar Leute, mit denen ich gerade eine Produktion (Gefesselte Phantasie) machte, aus der Kommunikation aus, damit ich von dem Unmut nichts zu früh erfahre. Das ist nicht nett. Ich halte es für einen unangemessenen Loyalitätsbruch, der niemandem etwas nützt.
Die Vorwürfe richten sich nicht an Sie allein. Welche Rolle spielt etwa Ihre Stellvertreterin Annett Matzke? Sie soll Studierende zum Weinen gebracht haben.
Happel
Sie kann sich an zwei solche  Fälle erinnern. Beide wurden inzwischen in Gesprächen geklärt. Ich habe das, obwohl ich mit ihr seit drei Jahren arbeite, nie mitbekommen. Als ich engagiert wurde, wollte man einen bekannten Namen, der das Max-Reinhardt-Seminar in die Welt tragen sollte – und es war von vornherein klar, dass ich vielbeschäftigt bin. Ich habe das auch vor meiner Bestellung kommuniziert. Annett Matzke sollte daher jene Professorin sein, die ständig am Haus anzutreffen ist, auch wenn ich anderweitig zu tun habe. Ich persönlich habe mich mit ihr in all den Jahren kein einziges Mal gestritten.
Ihnen wird cholerisches Verhalten unterstellt. Sie hätten wütend eine Hochschwangere angeschrien? Erinnern Sie sich daran?
Happel
Natürlich, das ist ja nicht lange her. Ich wurde etwas lauter, aber mit gutem Grund. Zum einen war sie nicht hochschwanger und ich habe, als ich laut wurde, dazu gesagt, dass ich mich einfach ärgerte, aber keineswegs über sie! Es ging um eine schlecht vorbereitete Situation, es gab einen Workshop mit einem Regisseur aus Bukarest. Mir wurde nicht kommuniziert, dass dabei das ganze Haus lahmgelegt werden sollte, weil dieser Workshop sich überall abspielte. Ich kam also ahnungslos da hin, und mir wurde der Zutritt zu meinem Büro verwehrt. Und es wurde gefilmt, was Kosten verursachte, die ich eigentlich vorab hätte absegnen müssen. Das war mit mir nicht abgesprochen. Da bin ich zum ersten und, ich glaube, zum einzigen Mal in meinen drei Jahren am Haus laut geworden, was mir heute sehr leid tut.
Ihre Wut richtete sich nicht gegen die Schwangere?
Happel
Natürlich nicht! Und wir haben das seither längst miteinander geklärt.
Verstehen Sie die Klage, sie seien im persönlichen Umgang zu ungehalten, zu laut?
Happel
Wenn man mit Künstlern arbeiten will, liegt das in der Natur der Sache. Beamte sind wahrscheinlich leiser.
Sie seien zudem nahezu nie am Institut, heißt es.
Happel
Das ist absolut übertrieben. Jede Senatssitzung nimmt vier Stunden Lebenszeit in Anspruch, ich betreue Diplome, erstelle Wissensbilanzen und Entwicklungspläne. Das gehört alles dazu. Dass ich nicht ständig vor Ort sein kann, war im Vorfeld bekannt. In den ersten beiden Jahren war das nicht so schlimm, da hatten wir eine Pandemie, und alle waren daheim. Aber im letzten Jahr hatte ich am Burgtheater Produktionen wie „Die Dämonen“, da war meine Präsenz einfach gefordert. Aus dieser sehr belastenden Situation habe ich inzwischen meine Konsequenzen gezogen: Am 8. Februar schon ließ ich mich am Burgtheater für die kommende Spielzeit karenzieren, um mich für das Max-Reinhardt-Seminar freizuschaufeln und meinen Studierenden mehr zur Verfügung zu stehen.
Der Brief ist bereits drei Wochen alt. Gab es seither ein klärendes Gespräch mit den Studierenden?
Happel
Nein, obwohl ich meine Bereitschaft dazu ständig signalisiere. Ich bin aber natürlich auch weisungsgebunden, und das Universitätsrektorat wollte erst selbst mit den Studierenden sprechen. Das findet dieser Tage statt. Danach wird es Gespräche mit mir geben, die ich mir auch sehr wünsche.
Sie bemühen sich derzeit, die vergiftete Stimmung am Haus nicht wahrzunehmen?
Happel
Wer wirklich hinter diesem Brief steckt, weiß ich ja nicht. Wenn mich jemand am Gang freundlich grüßt und mir dabei in die Augen schaut, grüße ich natürlich ebenso zurück. Ich würde mir einfach wünschen, dass es ein Zeitfenster von ein paar Monaten gäbe, dass ich die Gelegenheit hätte zu sagen: Reichen wir einander doch die Hand! Dazu brauchen wir Hilfe von außen, die Situation ist zu verfahren. Das hat aber gar nichts mit mir zu tun: Meine Vorgänger mussten schon infolge eines offenen Briefs gehen, der offenbar alle drei Jahre angeflattert kommt. Ich will die Vorwürfe nun klären, und ich will teilhaben an der Zukunft des Seminars und des Theaters.   
Sie schließen einen Rücktritt aus?
Happel
Ja. Es gibt eben einen Generationenkonflikt, ich kenne das, habe Töchter in diesem Alter. Wenn wir uns aber weiterhin so schwer tun im Miteinander, wird das nicht gut sein für die Kunst. Es ist nichts gewonnen, wenn man die Leitung wechselt. Wir müssen uns helfen lassen, uns zusammentun, die Strukturen aufbrechen.  
Es geht in dem Brief tatsächlich nicht nur um Sie, sondern grundsätzlicher um eine Universität, an der die Verantwortlichen vor einem Jahr erklärt haben, man werde allen #MeToo-Fällen nachgehen und klare Konsequenzen ziehen. Aber praktisch nichts sei geschehen. Und beklagt wird auch, dass Sie Ihre Familie überall mitbeschäftigen; Ihr Mann, der Schauspieler Dirk Nocker, hat einen Lehrauftrag am Max-Reinhardt-Seminar, und spielt – wie auch Ihre Tochter Paula – bei den von Ihnen geleiteten Festspielen Reichenau.
Happel
Das sind zwei ganz verschiedene Baustellen.
Gut, bleiben wir zunächst beim Seminar: Wie kommt Ihr Mann dazu, das doch sehr theoretische Wissensgebiet Filmanalyse unterrichten?
Happel
Dirk ist ein absoluter Filmkenner, wir leben praktisch in einer Videothek. Er hat die Berliner Ernst-Busch-Schauspielschule absolviert, sich nebenbei immer mit Film beschäftigt. Die Idee war, das Seminar verstärkt für Filmisches zu öffnen. Ich stellte damals einen Antrag, er wurde im Gremium abgesegnet. Ich habe meinen Mann ja nicht ohne Absprachen eingesetzt. Aber ich fand eben, es gibt für das Fach Filmanalyse keinen Besseren.
Auch in Reichenau haben Sie Ehemann und Tochter besetzt.
Happel
Dort spielt Dirk seit fast 20 Jahren. Und Paula, die inzwischen auch Nestroy-Preisträgerin ist, hat in Reichenau heuer bereits ihre sechste oder siebente Produktion. Es ärgert mich, dass es bei manchen Leuten Dynastie heißt, und bei mir nennt man es Nepotismus! Was soll denn das? Paulas Großmutter, Edith Elmay, hat in den Kammerspielen debütiert und war die Marilyn Monroe von Österreich.
Sie müssen zugeben, dass die Optik nicht schön ist, wenn Sie Ihrem Mann Jobs verschaffen.
Happel
Wieso denn? Wieso ist das bei mir ein Problem, und bei anderen wird nicht einmal ein Wort darüber verloren. Ich könnte Ihnen unzählige Beispiele aufzeigen, aber es liegt nicht in meiner Natur, andere anzuschwärzen. In Reichenau waren Dirk und Paula, lange bevor ich das Festival übernommen habe, regelmäßig zu Gast. Ich freue mich nur darüber, dass sie trotz meiner Intendanz dort bleiben.
Sie leiten und moderieren in Reichenau, sind aktuell in fünf Produktionen am Burgtheater zu sehen, haben die Institutsleitung und einen Lehrauftrag am Reinhardt-Seminar inne, daneben spielen Sie in Serien wie „SOKO Donau“, in Kino- und Fernsehfilmen. Warum tun Sie sich so viel zugleich an?
Happel
Ich mache es ja nicht zugleich, sondern nacheinander.
Sind Sie derart arbeitssüchtig?
Happel
Ich bin schauspielbesessen! Für mich ist das keine Arbeit. Es macht mir Freude, und diese Freude möchte ich an meine Studierenden weitergeben. Und nachts beantworte ich noch 20 Mails.
Ihre zahllosen Jobs und Leitungsfunktionen werden Ihnen nie zu viel?
Happel
Würden Sie das einen Mann auch fragen?
Natürlich.
Happel
Martin Kušej hat auch eine Professur am Seminar, macht neben dem Burgtheater Opern und inszeniert bei den Salzburger Festspielen. Da regt sich niemand auf! Wir leben in einer Zeit, in der es für Frauen immer noch schwierig ist, dieselben professionellen Ansprüche wie Männer zu haben.
Kušej wurde für seine mangelnde Präsenz am Burgtheater, übrigens gerade in profil, heftig kritisiert.
Happel
Ich finde die Arbeit am Seminar, diese Auseinandersetzung mit jungen Menschen, die vor Idealismus so brennen, eben spannend! Sie stellen sich Fragen, die ich mir oft nicht mehr stellen würde. Und nochmal: Da, wo ich bin, ob auf der Bühne oder beim Unterrichten, bin ich zu 100 Prozent. Sollte das irgendwann nicht mehr funktionieren, würde ich sofort etwas ändern. Ich schade niemandem, im Gegenteil! Ich bin vielbeschäftigt, aber ich beschäftige auch viele Menschen. Der Komplex Theater war immer meine Familie! Gestern dachte ich: Mit wem rede ich denn jetzt? Viele sind nicht mehr da, der große Peter Simonischek ist nun auch abgereist. An wen kann ich mich noch halten? Hab ich niemanden mehr vor mir, der mir Ratschläge geben kann? Der mir die Werte, die ich vermitteln will, bestätigt? Dann habe ich mich gestern Abend mit meiner Kollegin Kirsten Dene getroffen, und sie rückte mein Weltbild wieder gerade.
Verstehen Sie die Sorgen der Studierenden, wenn sie sagen, dass es geschützte Räume braucht? Schauspielunterricht ist eine „körpernahe“ Tätigkeit, sie öffnet Missbrauch Tür und Tor.
Happel
Natürlich verstehe ich das. Wir haben daher heuer als erste österreichische Schauspielschule einen Intimitätskurs angeboten, in dem Achtsamkeit und Schutzmaßnahmen im Fall von Liebesszenen diskutiert wurden. Die jungen Leute sollen auf die Barrikaden gehen, aber dieses Nichtmiteinander-Können ist destruktiv. Da würde ich gerne die Debatte öffnen, die Hand reichen, den Weg zu einem besseren Miteinander gehen.
Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.